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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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zahlreichen Manchesterpolitikern im Reichstage, sondern mit einem seiner bisherigen
Collegen und dessen Räthen, mit freihändlerischen Regierungen und deren Beamten
zu thun hatte und Glaubenssätzen gegenüber stand, die von einem sehr großen Theile
des Volkes seit Jahren wie ein Evangelium oder eine mathematische Wahrheit be¬
trachtet wurden. Ihm gebührt der Ruhm, die Initiative zur Cur dieser Del-
brttckschen Krankheit, dieser Brightschen Niere am wirthschaftlichen Körper der
Deutschen, ergriffen zu haben. Auf ihm lastete die Hauptarbeit, er war's, der das
rechte Mittel fand, sie zu bekämpfen und die Besserung anzubahnen, die bis jetzt
guten Fortgang genommen hat. Es war hohe Zeit, daß etwas geschah gegen
diese "Delbrücksche Krankheit", durch die wir im Laufe der Jahre, in denen sie
an uns zehrte, verhältnißmäßig fortwährend ärmer geworden waren. Ohne
die fünf Milliarden von 1871 wären wir dem Bankerott schon ein halbes
Jahrzehnt eher so nahe gekommen als in der Zeit, wo die Abhilfe kam. Die
Freihändler werden das Verdienst, das wir hier rühmen, allerdings nicht an¬
erkennen, die Reform spöttisch mit Anführungszeichen versehen. Die Erfahrung
aber hat gelehrt und wird weiter lehren, daß der Kanzler mit dieser System¬
änderung den rechten Weg betreten hat und ein Wohlthäter der Nation ge¬
worden ist. Wenn die Schule noch grollt und schmäht und Unheil weissagt,
so weiß das Volk in seiner großen Mehrzahl, das die Folgen des importirten
Irrthums zu empfinden hatte, was es von der Sache zu halten hat; wiederholt
gingen dem Reformator Dankadressen für sein Wirken zu.

> Immer hat der Kanzler die nationalen Interessen gegenüber particulari-
stischen Einrichtungen, Wünschen und Bestrebungen, gegenüber dem Egoismus
gewisser Klassen und Bevölkerungsschichten und gegenüber der Schulweisheit
vertreten, mit neuen Gedanken und festen Entschlüssen, obwohl er dabei an¬
fangs fast immer allein stand. Zuletzt war er der einzige Verfechter jener
allgemeinen Interessen gegenüber dem Hamburger Particularismus. Die Natio¬
nalliberalen, besonders die vom linken Flügel, empfinden und denken hier nicht
national, sondern blos liberal und daneben particularistisch. Die Herren Laster,
Bamberger, Wolfssohn und Rickert sind hier nicht anders zu beurtheilen als
ihr College Sonnemann, die Socialisten, die Polen und die Welsen. National
sind sie und ihre Genossen nur, wenn Fragen der Art sich um die Ansprüche
eines Monarchen -- sagen wir, des Königs von Baiern -- drehen. Aber wo
es sich um den Particularismus einer Republik, fast kann man sagen, einer
socialdemokratischen Republik handelt, wie hier, wo die Socialdemokraten bei
den Wahlen jedes Jahr mehr Boden gewonnen haben, da muß dieser Parti¬
cularismus unterstützt werden, da muß man kräftigst opponiren. Die wirklich
nationalen sehen das anders an und zählen die Politik des Kanzlers gegen
die Hamburger zu seinen entschiedenen Verdiensten aus dem Felde der inneren


Grenzboten II. 1880. "7

zahlreichen Manchesterpolitikern im Reichstage, sondern mit einem seiner bisherigen
Collegen und dessen Räthen, mit freihändlerischen Regierungen und deren Beamten
zu thun hatte und Glaubenssätzen gegenüber stand, die von einem sehr großen Theile
des Volkes seit Jahren wie ein Evangelium oder eine mathematische Wahrheit be¬
trachtet wurden. Ihm gebührt der Ruhm, die Initiative zur Cur dieser Del-
brttckschen Krankheit, dieser Brightschen Niere am wirthschaftlichen Körper der
Deutschen, ergriffen zu haben. Auf ihm lastete die Hauptarbeit, er war's, der das
rechte Mittel fand, sie zu bekämpfen und die Besserung anzubahnen, die bis jetzt
guten Fortgang genommen hat. Es war hohe Zeit, daß etwas geschah gegen
diese „Delbrücksche Krankheit", durch die wir im Laufe der Jahre, in denen sie
an uns zehrte, verhältnißmäßig fortwährend ärmer geworden waren. Ohne
die fünf Milliarden von 1871 wären wir dem Bankerott schon ein halbes
Jahrzehnt eher so nahe gekommen als in der Zeit, wo die Abhilfe kam. Die
Freihändler werden das Verdienst, das wir hier rühmen, allerdings nicht an¬
erkennen, die Reform spöttisch mit Anführungszeichen versehen. Die Erfahrung
aber hat gelehrt und wird weiter lehren, daß der Kanzler mit dieser System¬
änderung den rechten Weg betreten hat und ein Wohlthäter der Nation ge¬
worden ist. Wenn die Schule noch grollt und schmäht und Unheil weissagt,
so weiß das Volk in seiner großen Mehrzahl, das die Folgen des importirten
Irrthums zu empfinden hatte, was es von der Sache zu halten hat; wiederholt
gingen dem Reformator Dankadressen für sein Wirken zu.

> Immer hat der Kanzler die nationalen Interessen gegenüber particulari-
stischen Einrichtungen, Wünschen und Bestrebungen, gegenüber dem Egoismus
gewisser Klassen und Bevölkerungsschichten und gegenüber der Schulweisheit
vertreten, mit neuen Gedanken und festen Entschlüssen, obwohl er dabei an¬
fangs fast immer allein stand. Zuletzt war er der einzige Verfechter jener
allgemeinen Interessen gegenüber dem Hamburger Particularismus. Die Natio¬
nalliberalen, besonders die vom linken Flügel, empfinden und denken hier nicht
national, sondern blos liberal und daneben particularistisch. Die Herren Laster,
Bamberger, Wolfssohn und Rickert sind hier nicht anders zu beurtheilen als
ihr College Sonnemann, die Socialisten, die Polen und die Welsen. National
sind sie und ihre Genossen nur, wenn Fragen der Art sich um die Ansprüche
eines Monarchen — sagen wir, des Königs von Baiern — drehen. Aber wo
es sich um den Particularismus einer Republik, fast kann man sagen, einer
socialdemokratischen Republik handelt, wie hier, wo die Socialdemokraten bei
den Wahlen jedes Jahr mehr Boden gewonnen haben, da muß dieser Parti¬
cularismus unterstützt werden, da muß man kräftigst opponiren. Die wirklich
nationalen sehen das anders an und zählen die Politik des Kanzlers gegen
die Hamburger zu seinen entschiedenen Verdiensten aus dem Felde der inneren


Grenzboten II. 1880. «7
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[0529] zahlreichen Manchesterpolitikern im Reichstage, sondern mit einem seiner bisherigen Collegen und dessen Räthen, mit freihändlerischen Regierungen und deren Beamten zu thun hatte und Glaubenssätzen gegenüber stand, die von einem sehr großen Theile des Volkes seit Jahren wie ein Evangelium oder eine mathematische Wahrheit be¬ trachtet wurden. Ihm gebührt der Ruhm, die Initiative zur Cur dieser Del- brttckschen Krankheit, dieser Brightschen Niere am wirthschaftlichen Körper der Deutschen, ergriffen zu haben. Auf ihm lastete die Hauptarbeit, er war's, der das rechte Mittel fand, sie zu bekämpfen und die Besserung anzubahnen, die bis jetzt guten Fortgang genommen hat. Es war hohe Zeit, daß etwas geschah gegen diese „Delbrücksche Krankheit", durch die wir im Laufe der Jahre, in denen sie an uns zehrte, verhältnißmäßig fortwährend ärmer geworden waren. Ohne die fünf Milliarden von 1871 wären wir dem Bankerott schon ein halbes Jahrzehnt eher so nahe gekommen als in der Zeit, wo die Abhilfe kam. Die Freihändler werden das Verdienst, das wir hier rühmen, allerdings nicht an¬ erkennen, die Reform spöttisch mit Anführungszeichen versehen. Die Erfahrung aber hat gelehrt und wird weiter lehren, daß der Kanzler mit dieser System¬ änderung den rechten Weg betreten hat und ein Wohlthäter der Nation ge¬ worden ist. Wenn die Schule noch grollt und schmäht und Unheil weissagt, so weiß das Volk in seiner großen Mehrzahl, das die Folgen des importirten Irrthums zu empfinden hatte, was es von der Sache zu halten hat; wiederholt gingen dem Reformator Dankadressen für sein Wirken zu. > Immer hat der Kanzler die nationalen Interessen gegenüber particulari- stischen Einrichtungen, Wünschen und Bestrebungen, gegenüber dem Egoismus gewisser Klassen und Bevölkerungsschichten und gegenüber der Schulweisheit vertreten, mit neuen Gedanken und festen Entschlüssen, obwohl er dabei an¬ fangs fast immer allein stand. Zuletzt war er der einzige Verfechter jener allgemeinen Interessen gegenüber dem Hamburger Particularismus. Die Natio¬ nalliberalen, besonders die vom linken Flügel, empfinden und denken hier nicht national, sondern blos liberal und daneben particularistisch. Die Herren Laster, Bamberger, Wolfssohn und Rickert sind hier nicht anders zu beurtheilen als ihr College Sonnemann, die Socialisten, die Polen und die Welsen. National sind sie und ihre Genossen nur, wenn Fragen der Art sich um die Ansprüche eines Monarchen — sagen wir, des Königs von Baiern — drehen. Aber wo es sich um den Particularismus einer Republik, fast kann man sagen, einer socialdemokratischen Republik handelt, wie hier, wo die Socialdemokraten bei den Wahlen jedes Jahr mehr Boden gewonnen haben, da muß dieser Parti¬ cularismus unterstützt werden, da muß man kräftigst opponiren. Die wirklich nationalen sehen das anders an und zählen die Politik des Kanzlers gegen die Hamburger zu seinen entschiedenen Verdiensten aus dem Felde der inneren Grenzboten II. 1880. «7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/529>, abgerufen am 22.07.2024.