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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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gewesen wären. Erst die Gegenwart nahm die Arbeit der Engländer und Hol¬
länder wieder auf und führte sie -- freilich mit ganz anderen technischen und
wissenschaftlichen Mitteln -- zu einer glänzenden und ruhmreichen Vollendung.
Und wie der erste Seefahrer am Nordrande Europa-Asiens, so gehört der Held
dieser denkwürdigen That, ebenso wie die meisten seiner Begleiter und Gefährten,
dem nordischen Zweige der germanischen Rasse an.

Adolf Erik Nordenskjöld, ein in Finnland geborener Schwede, ist kein
Neuling auf dem Gebiete der Polarforschung und der wissenschaftlichen Reisen.
Schon in der Jugend machte er mit seinem Vater in seinem in geologischer
Beziehung so interessanten Vaterlande Ausflüge und bildete sich dadurch in
fruchtbringender Weise für sein späteres Specialstudium, die Geologie, vor. Als
er später die Stelle des Conservators am schwedischen Riksmuseum erhalten
hatte, dehnte er seine Excursionen auf ganz Scandimvien ans und betheiligte
sich an den von diesem Lande ausgehenden Polarexpeditionen. So besuchte
er 1858 und 1861 mit Torell, 1864 selbständig, Spitzbergen, erreichte 1868 auf
einer Nordfahrt den 81" n. Br., ging 1870 nach Grönland und vervollständigte
1872/73 die Erforschung Spitzbergens, das er damals zum vierten Male sah. Ohne
Zweifel war niemand in der Welt bekannter und mit allen Vorkommnissen der
starren Eis- und Wassereinöden vertrauter als er, der neben seiner wissenschaftlichen
Tüchtigkeit und praktischen Erfahrung das seltene Glück genoß, in Oscar Dickson
einen Freund zu besitzen, dem für wissenschaftliche Forschungen kein Geldopfer
zu groß war. In dieser ebenso seltenen wie ausnehmend günstigen Gesammt-
situation wandte er sich 1875 derjenigen Aufgabe zu, die ihn zum weltberühmten
Manne machen sollte und die ihn in die Reihe der verdientesten Entdecker stellt.
Doch erfaßte er diese Aufgabe nicht sofort in ihrer ganzen Ausdehnung, sondern
erprobte seine Kräfte erst an einem Theile derselben.

von Baer hatte das Karische Meer, als er es 1837 besuchte, einen "Eiskeller"
genannt und den Ruf feiner Unzugänglichkeit noch mehr befestigt; aber die Reisen von
Johcmnesen, Carlsen und anderen norwegischen Walroßfängern, die um Novaja
Semlja herum bis zur Weißen Insel am Obischen Meerbusen gelangt waren,
hatten zur Genüge das Irrige dieser Ansicht bewiesen. Da die natürlichen
Verhältnisse des Karischen Meeres und seiner Küsten noch vollständig unbekannt
waren, so beschloß Nordenskjöld durch eine Reise diesem Mangel abzuhelfen
und zugleich durch Ausdehnung der Fahrt bis zur Mündung des Jenissei ein
commercielles Problem von größerer Wichtigkeit zu lösen.

Die Kosten der ganzen Expedition trug Oscar Dickson in Gothenburg.
Am 14. Juni 1875 gelangte die Schaluppe "Prooem", mit 4 wissenschaftlichen
Mitgliedern und 12 Walroßjägern bemannt, von Tromsö ans in das offene
Meer und erreichte am 22. eine kleine Bai an der Westküste von Novaja


gewesen wären. Erst die Gegenwart nahm die Arbeit der Engländer und Hol¬
länder wieder auf und führte sie — freilich mit ganz anderen technischen und
wissenschaftlichen Mitteln — zu einer glänzenden und ruhmreichen Vollendung.
Und wie der erste Seefahrer am Nordrande Europa-Asiens, so gehört der Held
dieser denkwürdigen That, ebenso wie die meisten seiner Begleiter und Gefährten,
dem nordischen Zweige der germanischen Rasse an.

Adolf Erik Nordenskjöld, ein in Finnland geborener Schwede, ist kein
Neuling auf dem Gebiete der Polarforschung und der wissenschaftlichen Reisen.
Schon in der Jugend machte er mit seinem Vater in seinem in geologischer
Beziehung so interessanten Vaterlande Ausflüge und bildete sich dadurch in
fruchtbringender Weise für sein späteres Specialstudium, die Geologie, vor. Als
er später die Stelle des Conservators am schwedischen Riksmuseum erhalten
hatte, dehnte er seine Excursionen auf ganz Scandimvien ans und betheiligte
sich an den von diesem Lande ausgehenden Polarexpeditionen. So besuchte
er 1858 und 1861 mit Torell, 1864 selbständig, Spitzbergen, erreichte 1868 auf
einer Nordfahrt den 81" n. Br., ging 1870 nach Grönland und vervollständigte
1872/73 die Erforschung Spitzbergens, das er damals zum vierten Male sah. Ohne
Zweifel war niemand in der Welt bekannter und mit allen Vorkommnissen der
starren Eis- und Wassereinöden vertrauter als er, der neben seiner wissenschaftlichen
Tüchtigkeit und praktischen Erfahrung das seltene Glück genoß, in Oscar Dickson
einen Freund zu besitzen, dem für wissenschaftliche Forschungen kein Geldopfer
zu groß war. In dieser ebenso seltenen wie ausnehmend günstigen Gesammt-
situation wandte er sich 1875 derjenigen Aufgabe zu, die ihn zum weltberühmten
Manne machen sollte und die ihn in die Reihe der verdientesten Entdecker stellt.
Doch erfaßte er diese Aufgabe nicht sofort in ihrer ganzen Ausdehnung, sondern
erprobte seine Kräfte erst an einem Theile derselben.

von Baer hatte das Karische Meer, als er es 1837 besuchte, einen „Eiskeller"
genannt und den Ruf feiner Unzugänglichkeit noch mehr befestigt; aber die Reisen von
Johcmnesen, Carlsen und anderen norwegischen Walroßfängern, die um Novaja
Semlja herum bis zur Weißen Insel am Obischen Meerbusen gelangt waren,
hatten zur Genüge das Irrige dieser Ansicht bewiesen. Da die natürlichen
Verhältnisse des Karischen Meeres und seiner Küsten noch vollständig unbekannt
waren, so beschloß Nordenskjöld durch eine Reise diesem Mangel abzuhelfen
und zugleich durch Ausdehnung der Fahrt bis zur Mündung des Jenissei ein
commercielles Problem von größerer Wichtigkeit zu lösen.

Die Kosten der ganzen Expedition trug Oscar Dickson in Gothenburg.
Am 14. Juni 1875 gelangte die Schaluppe „Prooem", mit 4 wissenschaftlichen
Mitgliedern und 12 Walroßjägern bemannt, von Tromsö ans in das offene
Meer und erreichte am 22. eine kleine Bai an der Westküste von Novaja


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/498>, abgerufen am 22.07.2024.