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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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geschah, hatte bis auf Nordenskjöld herab nicht den Zweck, die ganze Nordost¬
grenze zu bewältigen.

Doch ruhte die Entdeckungsarbeit an den Küsten des asiatischen Eismeeres
nur wenige Jahrzehnte. Dann machten die seefahrenden Westeuropäer den land¬
reisenden Osteuropäern Platz, welche die Aufgabe theilten. Mit einer für die
Verhältnisse außerordentlichen Schnelligkeit hatten die Kosaken, diese Pioniere
Rußlands, die ungeheure Strecke zwischen dem Ural und dem Stillen Ocean
zurückgelegt, und während die maritime Entdeckung Sibiriens den Anstrengungen
der Engländer und Holländer nicht glücken wollte, war schon 1577 die erste Er¬
oberung jenseits des Ural gemacht und 62 Jahre später das Gestade des ochozki-
schen Meeres erreicht. Gleichen Schritt mit diesem südlichen Vorrücken hielt die
Entschleierung der Eismeerküste; schon 1600 war Alt Mangaseja am Tas ent¬
standen, und 1646 fuhren die Kosaken die Kolyma abwärts zum Eismeer. Die
unermüdlichen Eroberer aber gaben sich mit ihren Erfolgen zu Lande nicht zu¬
frieden, fondern einer derselben, Deschnew mit Namen, erreichte von der Mün¬
dung der Kolyma aus den Anadyr. Ihm gebührt das Verdienst, das Ostkap
entdeckt zu haben, und Bering bewegte sich -- wider sein Erwarten -- auf be¬
reits befahrenen Bahnen. Denn auch Deschnews Leistung fand keine Beachtung,
gerade so wie die Entdeckung des Nordkaps, nnr nicht so lange Jahrhunderte.
Nicht einmal zu den Ohren der nächsten Behörden nach Jcckutsk oder nach
Moskau gelangte die Kunde von der That des kühnen Kosaken, geschweige denn
nach Westeuropa. Während heutzutage jeder Zeitungsleser von der denkwür¬
digen That Nordensljölds und seiner Begleiter wenige Monate, nachdem sie
geschehen war, Kunde erhielt, hatten von einer ähnlichen Leistung die größten
geographischen Gelehrten des 17. Jahrhunderts mehrere Jahrzehnte nach dem
Ereigniß keine Silbe davon erfahren.

Aber auch während die übrigen überseeischen Entdeckungen mit wenigen
und geringfügigen Ausnahmen von 1648 bis 1764 ruhten, arbeiteten die Russen
an der Feststellung der Nordgrenze Asiens weiter fort, und zwar mit Zugrunde¬
legung eines bestimmten Planes. Nachdem der in russischen Diensten stehende
Däne Vitus Bering schon 1728 Serdze Kamen erreicht hatte, das ein wenig
westlich vom Ostkap auf der nordsibirischen Küste liegt, ohne daß er von seiner
Entdeckung dieses die Trennung' des alten vom neuen Welttheil markirenden
Punktes eine Ahnung gehabt hatte, suchte man von 1734 bis 42 die Erforschung
der Eismeerküste durchzusetzen, dadurch, daß man die ganze Küste vom Weißen
Meere bis zur nachmaligen Beringstraße in Unterabtheilungen zerlegte und in an¬
nähernd gleicher Zeit vou besonderen Expeditionen in Angriff nehmen ließ. Trotz
dieser Arbeitstheilung gelang es nicht, die Aufgabe ganz zu lösen. Doch wurde
damals wenigstens der Grund zu unserer heutigen Kenntniß jener Küsten gelegt,


geschah, hatte bis auf Nordenskjöld herab nicht den Zweck, die ganze Nordost¬
grenze zu bewältigen.

Doch ruhte die Entdeckungsarbeit an den Küsten des asiatischen Eismeeres
nur wenige Jahrzehnte. Dann machten die seefahrenden Westeuropäer den land¬
reisenden Osteuropäern Platz, welche die Aufgabe theilten. Mit einer für die
Verhältnisse außerordentlichen Schnelligkeit hatten die Kosaken, diese Pioniere
Rußlands, die ungeheure Strecke zwischen dem Ural und dem Stillen Ocean
zurückgelegt, und während die maritime Entdeckung Sibiriens den Anstrengungen
der Engländer und Holländer nicht glücken wollte, war schon 1577 die erste Er¬
oberung jenseits des Ural gemacht und 62 Jahre später das Gestade des ochozki-
schen Meeres erreicht. Gleichen Schritt mit diesem südlichen Vorrücken hielt die
Entschleierung der Eismeerküste; schon 1600 war Alt Mangaseja am Tas ent¬
standen, und 1646 fuhren die Kosaken die Kolyma abwärts zum Eismeer. Die
unermüdlichen Eroberer aber gaben sich mit ihren Erfolgen zu Lande nicht zu¬
frieden, fondern einer derselben, Deschnew mit Namen, erreichte von der Mün¬
dung der Kolyma aus den Anadyr. Ihm gebührt das Verdienst, das Ostkap
entdeckt zu haben, und Bering bewegte sich — wider sein Erwarten — auf be¬
reits befahrenen Bahnen. Denn auch Deschnews Leistung fand keine Beachtung,
gerade so wie die Entdeckung des Nordkaps, nnr nicht so lange Jahrhunderte.
Nicht einmal zu den Ohren der nächsten Behörden nach Jcckutsk oder nach
Moskau gelangte die Kunde von der That des kühnen Kosaken, geschweige denn
nach Westeuropa. Während heutzutage jeder Zeitungsleser von der denkwür¬
digen That Nordensljölds und seiner Begleiter wenige Monate, nachdem sie
geschehen war, Kunde erhielt, hatten von einer ähnlichen Leistung die größten
geographischen Gelehrten des 17. Jahrhunderts mehrere Jahrzehnte nach dem
Ereigniß keine Silbe davon erfahren.

Aber auch während die übrigen überseeischen Entdeckungen mit wenigen
und geringfügigen Ausnahmen von 1648 bis 1764 ruhten, arbeiteten die Russen
an der Feststellung der Nordgrenze Asiens weiter fort, und zwar mit Zugrunde¬
legung eines bestimmten Planes. Nachdem der in russischen Diensten stehende
Däne Vitus Bering schon 1728 Serdze Kamen erreicht hatte, das ein wenig
westlich vom Ostkap auf der nordsibirischen Küste liegt, ohne daß er von seiner
Entdeckung dieses die Trennung' des alten vom neuen Welttheil markirenden
Punktes eine Ahnung gehabt hatte, suchte man von 1734 bis 42 die Erforschung
der Eismeerküste durchzusetzen, dadurch, daß man die ganze Küste vom Weißen
Meere bis zur nachmaligen Beringstraße in Unterabtheilungen zerlegte und in an¬
nähernd gleicher Zeit vou besonderen Expeditionen in Angriff nehmen ließ. Trotz
dieser Arbeitstheilung gelang es nicht, die Aufgabe ganz zu lösen. Doch wurde
damals wenigstens der Grund zu unserer heutigen Kenntniß jener Küsten gelegt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/496>, abgerufen am 03.07.2024.