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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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sie dieselben in den Kreis ihrer Action ziehen, sie unter ihr Protectorat nehmen
wollten; es wäre nicht im Stande, sie abzuhalten, wenn sie es für nützlich er¬
achteten, in jenen Fürstentümern Unruhen und Gewaltthaten, Gelegenheiten
zur Einmischung hervorzurufen, Vorwände zu schaffen, die sie unter dem Scheine
des Rechts ihrer Beute näher rücken ließen, und Conjuneturen herbeizuführen,
unter denen das Gebäude eines etwaigen Donaustaaten-Bundes wie Wachs an
der Sonne zusammenschmelzen würde. Kein Zweifel, daß man in einer freund¬
licher behandelten und durch Reformen gekräftigten Türkei ein besseres Pfand
für die Erhaltung der Ordnung auf der Balkanhalbinsel und für die Sicherung
des Weltfriedeus besitzen würde als in solchen Afterschöpfungen einer falschen
Humanität.

Auch betreffs der inneren Verhältnisse hat Herr Gladstone bis jetzt noch
keine Erfolge zu verzeichnen, eher das Gegentheil. Sein unglücklicher Ausfall
auf Oesterreich hatte ihn zu einer Entschuldigung genöthigt, die auch nicht
glücklich ausfiel. In Folge dessen gab es für ihn am 21. Mai schwere und
verdrießliche Stunden. Es war fast ein parlamentarisches Spießruthenlaufen
zu nennen. Grenville, Argyll und Kimberley, der Staatssecretär für die Colo-
nien, traten tapfer für ihn auf, Salisbury und Beaconssield gingen ihm mit
gewaltigen Schlägen zu Leibe. Jener nahm in unwiderlegbarer Weise das
moderne Oesterreich gegen die grundlosen Vorwürfe Gladstones in Schutz, die
auf Erinnerungen aus halbvergessener Zeit beruhten, Beaconssield kehrte gewandt
die ernstere Seite des Mißgriffs hervor, den Umstand nämlich, daß der Premier
ganz kurz vor seinem Amtsantritt das Verhältniß zu einer befreundeten Macht
getrübt und dann als Minister in einer für England demüthigenden Manier
um Entschuldigung gebeten, dabei aber wieder unterlassen, die Beleidigung voll¬
ständig zurückzunehmen, so daß noch immer unangehme Folgen zu befürchte"
seien. Man darf annehmen, daß diese Angelegenheit im Parlamente noch mehr
als einmal zur Sprache gebracht werden wird. Auch sonst giebt es für das neue
Cabinet Verlegenheit und Verdruß. Wie Proteste aus verschiedenen Theilen
des Landes schließen lassen, gefällt es vielen Leuten nicht, daß man einen
"Papisten" wie Lord Ripon zum Vicekönig von Indien gemacht hat, zumal da
obendrein in Gestalt Lord Denmares ein zweiter Katholik in der neuen Regie¬
rung Verwendung gefunden hat. Die Gläubigen der Hochkirche lassen in solchen
Dingen nicht mit sich scherzen, und Gladstone könnte sich durch seine Toleranz
bei diesen Anstellungen auch einen Theil der Nonconformisten entfremdet haben,
die bisher eine feste Stütze für ihn waren. Ferner hat sich Bradlaugh als
einer von den Freunden bewiesen, in Betreff derer man den Stoßseufzer zu
hören Pflegt: Gott bewahre mich vor ihnen! Da er anläßlich der Eidesleistung
sich als Gottesleugner deeouvrirte, so nahm man an, die Regierung werde dem


sie dieselben in den Kreis ihrer Action ziehen, sie unter ihr Protectorat nehmen
wollten; es wäre nicht im Stande, sie abzuhalten, wenn sie es für nützlich er¬
achteten, in jenen Fürstentümern Unruhen und Gewaltthaten, Gelegenheiten
zur Einmischung hervorzurufen, Vorwände zu schaffen, die sie unter dem Scheine
des Rechts ihrer Beute näher rücken ließen, und Conjuneturen herbeizuführen,
unter denen das Gebäude eines etwaigen Donaustaaten-Bundes wie Wachs an
der Sonne zusammenschmelzen würde. Kein Zweifel, daß man in einer freund¬
licher behandelten und durch Reformen gekräftigten Türkei ein besseres Pfand
für die Erhaltung der Ordnung auf der Balkanhalbinsel und für die Sicherung
des Weltfriedeus besitzen würde als in solchen Afterschöpfungen einer falschen
Humanität.

Auch betreffs der inneren Verhältnisse hat Herr Gladstone bis jetzt noch
keine Erfolge zu verzeichnen, eher das Gegentheil. Sein unglücklicher Ausfall
auf Oesterreich hatte ihn zu einer Entschuldigung genöthigt, die auch nicht
glücklich ausfiel. In Folge dessen gab es für ihn am 21. Mai schwere und
verdrießliche Stunden. Es war fast ein parlamentarisches Spießruthenlaufen
zu nennen. Grenville, Argyll und Kimberley, der Staatssecretär für die Colo-
nien, traten tapfer für ihn auf, Salisbury und Beaconssield gingen ihm mit
gewaltigen Schlägen zu Leibe. Jener nahm in unwiderlegbarer Weise das
moderne Oesterreich gegen die grundlosen Vorwürfe Gladstones in Schutz, die
auf Erinnerungen aus halbvergessener Zeit beruhten, Beaconssield kehrte gewandt
die ernstere Seite des Mißgriffs hervor, den Umstand nämlich, daß der Premier
ganz kurz vor seinem Amtsantritt das Verhältniß zu einer befreundeten Macht
getrübt und dann als Minister in einer für England demüthigenden Manier
um Entschuldigung gebeten, dabei aber wieder unterlassen, die Beleidigung voll¬
ständig zurückzunehmen, so daß noch immer unangehme Folgen zu befürchte»
seien. Man darf annehmen, daß diese Angelegenheit im Parlamente noch mehr
als einmal zur Sprache gebracht werden wird. Auch sonst giebt es für das neue
Cabinet Verlegenheit und Verdruß. Wie Proteste aus verschiedenen Theilen
des Landes schließen lassen, gefällt es vielen Leuten nicht, daß man einen
„Papisten" wie Lord Ripon zum Vicekönig von Indien gemacht hat, zumal da
obendrein in Gestalt Lord Denmares ein zweiter Katholik in der neuen Regie¬
rung Verwendung gefunden hat. Die Gläubigen der Hochkirche lassen in solchen
Dingen nicht mit sich scherzen, und Gladstone könnte sich durch seine Toleranz
bei diesen Anstellungen auch einen Theil der Nonconformisten entfremdet haben,
die bisher eine feste Stütze für ihn waren. Ferner hat sich Bradlaugh als
einer von den Freunden bewiesen, in Betreff derer man den Stoßseufzer zu
hören Pflegt: Gott bewahre mich vor ihnen! Da er anläßlich der Eidesleistung
sich als Gottesleugner deeouvrirte, so nahm man an, die Regierung werde dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/459>, abgerufen am 22.07.2024.