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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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standen und "Ihrer Majestät getreueste Opposition" waren, hatte sich bei ihnen
eine Umgestaltung vollzogen. Manche Ideen hatten sich verändert, andere Ein¬
flüsse waren zur Geltung gelangt, verschiedene Persönlichkeiten hatten sich in der
Partei Ansehen erworben oder mehr Beachtung gewonnen, als sie früher genossen.
Namentlich hatten die Radicalen, die amerikanische Partei, die in den letzten Par¬
lamenten wenig zahlreich vertreten gewesen waren und dort nur die Rolle eines
Sauerteigs gespielt hatten, während der Aprilwahlen eine unerwartete Kraft
entfaltet, und es schien nicht recht mehr zu umgehe", ihnen einen einflu߬
reichen Platz in der neuen Regierung zu gewähren. Vielfach wurde angenom¬
men, daß Gladstone bei der Bildung des Cabinets hiernach verfahren werde.
Dieselbe Strömung, die ihn an die erste Stelle im Rathe der Krone getragen,
schien bestimmt zu sein, ihm einige Vertreter der radicalen Partei unmittelbar
an die Seite zu stellen. Dies geschah zwar, aber nicht ganz in dem Maße,
auf welches die Radicalen sich Rechnung gemacht. Dieselben sind allerdings
bei der Besetzung der Posten im neuen Ministerium berücksichtigt worden, aber
in einer Weise, die der Bedeutung, welche ihre Partei, nach den Wahlen zu
urtheilen, erlangt hat, nicht völlig entspricht. Wenigstens ist die Partei, welche
in Frankreich auf sie rechnete, die Umgebung Gambettas, dieser Ansicht. Aber
Gladstone hat wohl nicht Unrecht, wenn er sich mehr an altbewährte Mit¬
arbeiter hielt und den Radicalen, die in Regierungsgeschäften keine hinreichende
Erfahrung besaßen, meist untergeordnete Posten im Ministerium zutheilte,
ganz abgesehen davon, daß manche derselben vermuthlich weiterstreben, als er
jetzt, in verantwortlicher Stellung, zu gehen entschlossen ist. Die Ministerstellen,
die mit Männern dieser Parteigruppe besetzt worden sind, sind Posten zweiten
Ranges, und außerdem sind einige Radicale als Unterstaatssecretäre ins Cabinet
berufen worden.

Zur Charakteristik der bedeutendsten von den jetzt am Ruder stehenden
Politikern diene Folgendes. Gladstone gehörte in seinen jüngeren Jahren
zu den Tones. 1809 geboren, wurde er schon 1832 ins Parlament gewählt.
1835 war er unter Peel Unterstaatssecretär für die Colonien, 1844 Colonial-
minister. Bei der Abschaffung der Kornzölle bekannte er sich, von Cobden
gewonnen, offen zu den Grundsätzen der Freihandelspartei, und von nun an
konnte man ihn nicht mehr zu den Tories zählen. 1847 stimmte er für die
Zulassung der Juden zum Parlament, und 1850 bildete er im Verein mit dem
Grafen Aberdeen und einigen andern Politikern die Peelitenpartei oder Man¬
chesterschule, die sich ebenso von den Whigs wie von den Tories schied, und
deren Hauptziele vollständiger Freihandel, religiöse Gleichberechtigung, Erhaltung
des Friedens mit allen Nationen und größte Sparsamkeit in der Verwaltung
waren. Gladstone bekundete sich als ein Talent in Finanzfragen, aber als


standen und „Ihrer Majestät getreueste Opposition" waren, hatte sich bei ihnen
eine Umgestaltung vollzogen. Manche Ideen hatten sich verändert, andere Ein¬
flüsse waren zur Geltung gelangt, verschiedene Persönlichkeiten hatten sich in der
Partei Ansehen erworben oder mehr Beachtung gewonnen, als sie früher genossen.
Namentlich hatten die Radicalen, die amerikanische Partei, die in den letzten Par¬
lamenten wenig zahlreich vertreten gewesen waren und dort nur die Rolle eines
Sauerteigs gespielt hatten, während der Aprilwahlen eine unerwartete Kraft
entfaltet, und es schien nicht recht mehr zu umgehe», ihnen einen einflu߬
reichen Platz in der neuen Regierung zu gewähren. Vielfach wurde angenom¬
men, daß Gladstone bei der Bildung des Cabinets hiernach verfahren werde.
Dieselbe Strömung, die ihn an die erste Stelle im Rathe der Krone getragen,
schien bestimmt zu sein, ihm einige Vertreter der radicalen Partei unmittelbar
an die Seite zu stellen. Dies geschah zwar, aber nicht ganz in dem Maße,
auf welches die Radicalen sich Rechnung gemacht. Dieselben sind allerdings
bei der Besetzung der Posten im neuen Ministerium berücksichtigt worden, aber
in einer Weise, die der Bedeutung, welche ihre Partei, nach den Wahlen zu
urtheilen, erlangt hat, nicht völlig entspricht. Wenigstens ist die Partei, welche
in Frankreich auf sie rechnete, die Umgebung Gambettas, dieser Ansicht. Aber
Gladstone hat wohl nicht Unrecht, wenn er sich mehr an altbewährte Mit¬
arbeiter hielt und den Radicalen, die in Regierungsgeschäften keine hinreichende
Erfahrung besaßen, meist untergeordnete Posten im Ministerium zutheilte,
ganz abgesehen davon, daß manche derselben vermuthlich weiterstreben, als er
jetzt, in verantwortlicher Stellung, zu gehen entschlossen ist. Die Ministerstellen,
die mit Männern dieser Parteigruppe besetzt worden sind, sind Posten zweiten
Ranges, und außerdem sind einige Radicale als Unterstaatssecretäre ins Cabinet
berufen worden.

Zur Charakteristik der bedeutendsten von den jetzt am Ruder stehenden
Politikern diene Folgendes. Gladstone gehörte in seinen jüngeren Jahren
zu den Tones. 1809 geboren, wurde er schon 1832 ins Parlament gewählt.
1835 war er unter Peel Unterstaatssecretär für die Colonien, 1844 Colonial-
minister. Bei der Abschaffung der Kornzölle bekannte er sich, von Cobden
gewonnen, offen zu den Grundsätzen der Freihandelspartei, und von nun an
konnte man ihn nicht mehr zu den Tories zählen. 1847 stimmte er für die
Zulassung der Juden zum Parlament, und 1850 bildete er im Verein mit dem
Grafen Aberdeen und einigen andern Politikern die Peelitenpartei oder Man¬
chesterschule, die sich ebenso von den Whigs wie von den Tories schied, und
deren Hauptziele vollständiger Freihandel, religiöse Gleichberechtigung, Erhaltung
des Friedens mit allen Nationen und größte Sparsamkeit in der Verwaltung
waren. Gladstone bekundete sich als ein Talent in Finanzfragen, aber als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/453>, abgerufen am 22.07.2024.