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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Cymbal denken. Das Instrument roth, e^ab",1uM (S. 48) ist jedenfalls eine Er¬
findung Herrn Reißmanns; rota (rotta) ist ein Saiteninstrument. Offenbar hat der
Verfasser in einer Aufzählung verschiedener Instrumente die beiden Worte als zu¬
sammengehörig gefaßt und daraus ein Instrument mit radförmig (roth, -- Rad)
zusammengestellten Glöckchen gemacht. Eine seltsame Autorität für "jene Zeiträume"
ist S. 53 der Leipziger Thomascantor Seth Kalvitz (Calvisius, 1' 1615). Daß
wir bei Erwähnung der ältesten Orgeln in Deutschland der Wasserorgel des Ktesibius
nicht entgehen würden, war vorauszusehen, daß aber sowohl diese wie die Magre-
pha der Hebräer durch Illustrationen von dreistester Willkür veranschaulicht werden,
ist ein starkes Stück. Beachtenswerth ist endlich noch die Etymologie von orA-iin-
Ltruw, mit der uns Herr Reißmann beschenkt: er hält es für eine Zusammensetzung
aus und instrumentum! -- Der Schluß der ersten Lieferung verheißt neue
Ergötzlichkeiten; der Vortitel der dritten Periode (?) lautet: "Der gregorianische Gesang
erzeugt neue weltliche Weisen". Zwei einleitende Seiten beweisen, daß Herr Rei߬
mann auf dem besten Wege ist, in den folgenden Abschnitten neue wissenschaftliche
Narrheiten zu "erzeugen"."

Doch genug und übergenug. -- Die "Grenzboten sind sich Wohl bewußt, daß
sie durch eine Kritik wie die in dem hiermit abschließenden Artikel geübte von
gewissen Seiten ein starkes Odium auf sich laden; aber sie erhalten dafür auch von
anderer Seite tröstliche Zustimmung. Unsre Polemik gilt nicht dem einzelnen lite¬
rarischen Erzeugniß -- dies dient uns nur zum Exempel --, sie gilt einer ganzen
Richtung in der literarischen Production, die, trotz mancher erfreulichen Ausnahmen,
doch im Ganzen unserem Volke weder zur Ehre noch zum Nutzen gereicht. Der
bessere Theil der deutschen Zeitschriften verhält sich dieser Richtung gegenüber stumm;
Todtschweigen ist aber eine zu feine Kampfesart, die von der großen Masse nicht
verstanden wird. Fast die gesammte Tagespresse befördert jene Richtung, blind
oder sehend, durch die organisirte Reclame dafür, zu der sie sich hergiebt. Kann
man es uns verargen, daß wir den Mund aufthun, wo Alle schweigen, die zum
Reden berufen wären? Verargen, daß uns hin und wieder dabei auch ein derbes
Wort entfährt? Wir sind vollständig gefaßt auf den Vorwurf, der gegen die
Zischer im Theater erhoben wird: den Vorwurf "unanständiger Störung". Gezischt
wird aber immer nur dann, wenn schlechten Leistungen gegenüber die Claque es
gar zu auffällig treibt.




Literatur.
Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793
bis 1813. Von Leopold von Ranke. Erster Band. Leipzig, Duncker K
Humblot, 1880.

Im Jahre 1877 erschienen die Denkwürdigkeiten des Fürsten von Hardenberg
von Leopold von Ranke. Das Werk zerfiel in zwei nur in loser Verbindung stehende


Cymbal denken. Das Instrument roth, e^ab»,1uM (S. 48) ist jedenfalls eine Er¬
findung Herrn Reißmanns; rota (rotta) ist ein Saiteninstrument. Offenbar hat der
Verfasser in einer Aufzählung verschiedener Instrumente die beiden Worte als zu¬
sammengehörig gefaßt und daraus ein Instrument mit radförmig (roth, — Rad)
zusammengestellten Glöckchen gemacht. Eine seltsame Autorität für „jene Zeiträume"
ist S. 53 der Leipziger Thomascantor Seth Kalvitz (Calvisius, 1' 1615). Daß
wir bei Erwähnung der ältesten Orgeln in Deutschland der Wasserorgel des Ktesibius
nicht entgehen würden, war vorauszusehen, daß aber sowohl diese wie die Magre-
pha der Hebräer durch Illustrationen von dreistester Willkür veranschaulicht werden,
ist ein starkes Stück. Beachtenswerth ist endlich noch die Etymologie von orA-iin-
Ltruw, mit der uns Herr Reißmann beschenkt: er hält es für eine Zusammensetzung
aus und instrumentum! — Der Schluß der ersten Lieferung verheißt neue
Ergötzlichkeiten; der Vortitel der dritten Periode (?) lautet: „Der gregorianische Gesang
erzeugt neue weltliche Weisen". Zwei einleitende Seiten beweisen, daß Herr Rei߬
mann auf dem besten Wege ist, in den folgenden Abschnitten neue wissenschaftliche
Narrheiten zu „erzeugen"."

Doch genug und übergenug. — Die „Grenzboten sind sich Wohl bewußt, daß
sie durch eine Kritik wie die in dem hiermit abschließenden Artikel geübte von
gewissen Seiten ein starkes Odium auf sich laden; aber sie erhalten dafür auch von
anderer Seite tröstliche Zustimmung. Unsre Polemik gilt nicht dem einzelnen lite¬
rarischen Erzeugniß — dies dient uns nur zum Exempel —, sie gilt einer ganzen
Richtung in der literarischen Production, die, trotz mancher erfreulichen Ausnahmen,
doch im Ganzen unserem Volke weder zur Ehre noch zum Nutzen gereicht. Der
bessere Theil der deutschen Zeitschriften verhält sich dieser Richtung gegenüber stumm;
Todtschweigen ist aber eine zu feine Kampfesart, die von der großen Masse nicht
verstanden wird. Fast die gesammte Tagespresse befördert jene Richtung, blind
oder sehend, durch die organisirte Reclame dafür, zu der sie sich hergiebt. Kann
man es uns verargen, daß wir den Mund aufthun, wo Alle schweigen, die zum
Reden berufen wären? Verargen, daß uns hin und wieder dabei auch ein derbes
Wort entfährt? Wir sind vollständig gefaßt auf den Vorwurf, der gegen die
Zischer im Theater erhoben wird: den Vorwurf „unanständiger Störung". Gezischt
wird aber immer nur dann, wenn schlechten Leistungen gegenüber die Claque es
gar zu auffällig treibt.




Literatur.
Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793
bis 1813. Von Leopold von Ranke. Erster Band. Leipzig, Duncker K
Humblot, 1880.

Im Jahre 1877 erschienen die Denkwürdigkeiten des Fürsten von Hardenberg
von Leopold von Ranke. Das Werk zerfiel in zwei nur in loser Verbindung stehende


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[0446] Cymbal denken. Das Instrument roth, e^ab»,1uM (S. 48) ist jedenfalls eine Er¬ findung Herrn Reißmanns; rota (rotta) ist ein Saiteninstrument. Offenbar hat der Verfasser in einer Aufzählung verschiedener Instrumente die beiden Worte als zu¬ sammengehörig gefaßt und daraus ein Instrument mit radförmig (roth, — Rad) zusammengestellten Glöckchen gemacht. Eine seltsame Autorität für „jene Zeiträume" ist S. 53 der Leipziger Thomascantor Seth Kalvitz (Calvisius, 1' 1615). Daß wir bei Erwähnung der ältesten Orgeln in Deutschland der Wasserorgel des Ktesibius nicht entgehen würden, war vorauszusehen, daß aber sowohl diese wie die Magre- pha der Hebräer durch Illustrationen von dreistester Willkür veranschaulicht werden, ist ein starkes Stück. Beachtenswerth ist endlich noch die Etymologie von orA-iin- Ltruw, mit der uns Herr Reißmann beschenkt: er hält es für eine Zusammensetzung aus und instrumentum! — Der Schluß der ersten Lieferung verheißt neue Ergötzlichkeiten; der Vortitel der dritten Periode (?) lautet: „Der gregorianische Gesang erzeugt neue weltliche Weisen". Zwei einleitende Seiten beweisen, daß Herr Rei߬ mann auf dem besten Wege ist, in den folgenden Abschnitten neue wissenschaftliche Narrheiten zu „erzeugen"." Doch genug und übergenug. — Die „Grenzboten sind sich Wohl bewußt, daß sie durch eine Kritik wie die in dem hiermit abschließenden Artikel geübte von gewissen Seiten ein starkes Odium auf sich laden; aber sie erhalten dafür auch von anderer Seite tröstliche Zustimmung. Unsre Polemik gilt nicht dem einzelnen lite¬ rarischen Erzeugniß — dies dient uns nur zum Exempel —, sie gilt einer ganzen Richtung in der literarischen Production, die, trotz mancher erfreulichen Ausnahmen, doch im Ganzen unserem Volke weder zur Ehre noch zum Nutzen gereicht. Der bessere Theil der deutschen Zeitschriften verhält sich dieser Richtung gegenüber stumm; Todtschweigen ist aber eine zu feine Kampfesart, die von der großen Masse nicht verstanden wird. Fast die gesammte Tagespresse befördert jene Richtung, blind oder sehend, durch die organisirte Reclame dafür, zu der sie sich hergiebt. Kann man es uns verargen, daß wir den Mund aufthun, wo Alle schweigen, die zum Reden berufen wären? Verargen, daß uns hin und wieder dabei auch ein derbes Wort entfährt? Wir sind vollständig gefaßt auf den Vorwurf, der gegen die Zischer im Theater erhoben wird: den Vorwurf „unanständiger Störung". Gezischt wird aber immer nur dann, wenn schlechten Leistungen gegenüber die Claque es gar zu auffällig treibt. Literatur. Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793 bis 1813. Von Leopold von Ranke. Erster Band. Leipzig, Duncker K Humblot, 1880. Im Jahre 1877 erschienen die Denkwürdigkeiten des Fürsten von Hardenberg von Leopold von Ranke. Das Werk zerfiel in zwei nur in loser Verbindung stehende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/446>, abgerufen am 03.07.2024.