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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Ins Glas, in dem ich will ertränken meine Qual,
Laß lieber mitleidsvoll sich eine Thräne senken,
Wie es der Freundschaft ziemt für altes Angedenken.

Sollten aber auch noch andere und schlimmere Anschuldigungen, wie sie die be¬
rüchtigte Mogador gegen Alfred de Musset erhoben, nicht ganz unbegründet sein,
auf wen dürfte man denn jenes sonst nicht unbedenkliche Wort aus dem "Rolla",
welches mit leidenschaftlicher Entschiedenheit die Unzerstörbarkeit echten Seelenadels
ausspricht, mit mehr Fug und Recht anwenden, als auf den Dichter selbst?


Wenn schaffend die Natur ihr Edles will entfalten,
Sie, die dort oben schaut, wie wir im Erdenbann,
Kennt sie die Zauberkunst, ein Wesen zu gestalten,
Das eine ganze Welt ihr nicht beflecken kann.
Die Auserlesenen, sie sind von reinem Erz:
Sie darf in schwarzen Sumpf sie werfen ohne Zagen,
Sie weiß, wie Marmor bleibt stets unberührt ihr Herz,
Wie Marmor, dessen Glanz kein Regen kann zernagen.

So fehlt, wie gesagt, der Biographie Paul de Müssets jene höhere Wahrheit
nicht, auf die es doch vor allem ankommt, zumal bei einem Dichter, der so von
innen heraus zum Dichten getrieben wurde wie Alfred de Musset, welcher unter
allen französischen Dichtern am meisten von Goethes Wesen an sich hat. Kor
Oeuvre v'est lui-mSme, sagt der Biograph gleich auf der ersten Seite, und in
einem Briefe, in welchem der liebenswürdige Mann mir noch wenige Wochen vor
seinem Tode eine Anfrage beantwortete, sagt er unter anderem, er habe in seiner
Biographie eine Fülle von Einzelheiten über Alfred gegeben, deren Kenntniß uner¬
läßlich sei xour bien M^er son oeuvre et son ooeur.

So ist denn der Treffliche in hohem Alter seinem geliebten Bruder nachgefolgt,
der ihm vor der Zeit und doch "nach frühem Ermatten und spätem Erkalten" voran¬
gegangen war. Sein Andenken wird in Ehren bleiben, doppelt in Ehren in einem
Zeitalter, wo neidlose Hingebung an eine überlegene Kraft und echte Pietät sel¬
tener sind denn je.


A. Brieger.


Zwei "illustrirte" Musikgeschichten.
(Schluß.)

An Herrn Reißmanns "illustrirte" Musikgeschichte*) wird jeder, der die schrift¬
stellerische Thätigkeit und das sonstige Gebühren dieses Herrn eine Zeit lang mit



*) Jllustrirte Geschichte der deutschen Musik. Von Dr. Aug. Reißmann.
Mit authentischen Abbildungen und facsimilirten Beilagen. Leipzig, Fues, 1880. Liefrg. 1.
Ins Glas, in dem ich will ertränken meine Qual,
Laß lieber mitleidsvoll sich eine Thräne senken,
Wie es der Freundschaft ziemt für altes Angedenken.

Sollten aber auch noch andere und schlimmere Anschuldigungen, wie sie die be¬
rüchtigte Mogador gegen Alfred de Musset erhoben, nicht ganz unbegründet sein,
auf wen dürfte man denn jenes sonst nicht unbedenkliche Wort aus dem „Rolla",
welches mit leidenschaftlicher Entschiedenheit die Unzerstörbarkeit echten Seelenadels
ausspricht, mit mehr Fug und Recht anwenden, als auf den Dichter selbst?


Wenn schaffend die Natur ihr Edles will entfalten,
Sie, die dort oben schaut, wie wir im Erdenbann,
Kennt sie die Zauberkunst, ein Wesen zu gestalten,
Das eine ganze Welt ihr nicht beflecken kann.
Die Auserlesenen, sie sind von reinem Erz:
Sie darf in schwarzen Sumpf sie werfen ohne Zagen,
Sie weiß, wie Marmor bleibt stets unberührt ihr Herz,
Wie Marmor, dessen Glanz kein Regen kann zernagen.

So fehlt, wie gesagt, der Biographie Paul de Müssets jene höhere Wahrheit
nicht, auf die es doch vor allem ankommt, zumal bei einem Dichter, der so von
innen heraus zum Dichten getrieben wurde wie Alfred de Musset, welcher unter
allen französischen Dichtern am meisten von Goethes Wesen an sich hat. Kor
Oeuvre v'est lui-mSme, sagt der Biograph gleich auf der ersten Seite, und in
einem Briefe, in welchem der liebenswürdige Mann mir noch wenige Wochen vor
seinem Tode eine Anfrage beantwortete, sagt er unter anderem, er habe in seiner
Biographie eine Fülle von Einzelheiten über Alfred gegeben, deren Kenntniß uner¬
läßlich sei xour bien M^er son oeuvre et son ooeur.

So ist denn der Treffliche in hohem Alter seinem geliebten Bruder nachgefolgt,
der ihm vor der Zeit und doch „nach frühem Ermatten und spätem Erkalten" voran¬
gegangen war. Sein Andenken wird in Ehren bleiben, doppelt in Ehren in einem
Zeitalter, wo neidlose Hingebung an eine überlegene Kraft und echte Pietät sel¬
tener sind denn je.


A. Brieger.


Zwei „illustrirte" Musikgeschichten.
(Schluß.)

An Herrn Reißmanns „illustrirte" Musikgeschichte*) wird jeder, der die schrift¬
stellerische Thätigkeit und das sonstige Gebühren dieses Herrn eine Zeit lang mit



*) Jllustrirte Geschichte der deutschen Musik. Von Dr. Aug. Reißmann.
Mit authentischen Abbildungen und facsimilirten Beilagen. Leipzig, Fues, 1880. Liefrg. 1.
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[0432] Ins Glas, in dem ich will ertränken meine Qual, Laß lieber mitleidsvoll sich eine Thräne senken, Wie es der Freundschaft ziemt für altes Angedenken. Sollten aber auch noch andere und schlimmere Anschuldigungen, wie sie die be¬ rüchtigte Mogador gegen Alfred de Musset erhoben, nicht ganz unbegründet sein, auf wen dürfte man denn jenes sonst nicht unbedenkliche Wort aus dem „Rolla", welches mit leidenschaftlicher Entschiedenheit die Unzerstörbarkeit echten Seelenadels ausspricht, mit mehr Fug und Recht anwenden, als auf den Dichter selbst? Wenn schaffend die Natur ihr Edles will entfalten, Sie, die dort oben schaut, wie wir im Erdenbann, Kennt sie die Zauberkunst, ein Wesen zu gestalten, Das eine ganze Welt ihr nicht beflecken kann. Die Auserlesenen, sie sind von reinem Erz: Sie darf in schwarzen Sumpf sie werfen ohne Zagen, Sie weiß, wie Marmor bleibt stets unberührt ihr Herz, Wie Marmor, dessen Glanz kein Regen kann zernagen. So fehlt, wie gesagt, der Biographie Paul de Müssets jene höhere Wahrheit nicht, auf die es doch vor allem ankommt, zumal bei einem Dichter, der so von innen heraus zum Dichten getrieben wurde wie Alfred de Musset, welcher unter allen französischen Dichtern am meisten von Goethes Wesen an sich hat. Kor Oeuvre v'est lui-mSme, sagt der Biograph gleich auf der ersten Seite, und in einem Briefe, in welchem der liebenswürdige Mann mir noch wenige Wochen vor seinem Tode eine Anfrage beantwortete, sagt er unter anderem, er habe in seiner Biographie eine Fülle von Einzelheiten über Alfred gegeben, deren Kenntniß uner¬ läßlich sei xour bien M^er son oeuvre et son ooeur. So ist denn der Treffliche in hohem Alter seinem geliebten Bruder nachgefolgt, der ihm vor der Zeit und doch „nach frühem Ermatten und spätem Erkalten" voran¬ gegangen war. Sein Andenken wird in Ehren bleiben, doppelt in Ehren in einem Zeitalter, wo neidlose Hingebung an eine überlegene Kraft und echte Pietät sel¬ tener sind denn je. A. Brieger. Zwei „illustrirte" Musikgeschichten. (Schluß.) An Herrn Reißmanns „illustrirte" Musikgeschichte*) wird jeder, der die schrift¬ stellerische Thätigkeit und das sonstige Gebühren dieses Herrn eine Zeit lang mit *) Jllustrirte Geschichte der deutschen Musik. Von Dr. Aug. Reißmann. Mit authentischen Abbildungen und facsimilirten Beilagen. Leipzig, Fues, 1880. Liefrg. 1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/432>, abgerufen am 22.07.2024.