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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Germanen Gemüth beilegen zu wollen -- und wie viele Romanen haben es schon
vor ihm gezeigt! -- so tritt in der ruhigeren, maßvolleren Natur seines Bruders
die Kraft und Innigkeit edelsten Gefühlslebens vielleicht noch unmittelbarer hervor.
Es ist kein schöneres Verhältniß zwischen Brüdern denkbar, als es zwischen Paul
und Alfred de Musset bestanden hat. Zahlreiche Züge, welche uns der erstere in
der Lebensgeschichte seines Bruders*) mittheilt, zeigen uns, daß der eouSatus xaens
Amor ti-sÄ-um, um ein schönes Wort des Cicero zu gebrauchen, unter wechselnden
Bedingungen durch alle Altersstufen hindurch in gleicher Stärke bestanden hat. Der
vierzehnjährige baut mit dem achtjährigen, ganz wie deutsche Kinder zu thun pflegen,
aus Büchern Königspalaste, indem er auf alle Neigungen des Kleinen eingeht, sie
leben zusammen in der Ritter- und Zauberwelt, und mit der Erfindungskraft der
Liebe weiß Paul Alfred zu täuschen, wenn er sieht, daß diesem ein Irrthum, wie
der Glaube an die Existenz einer geheimen Thür, Freude macht. Als dann der
Bruder, im ersten Jünglingsalter, wie er selbst später sagt, noch als ein Kind**),
mit den Fontes ä'Lsxaxne et ä'Italie die ersten Lorbeeren erntete, genoß Paul in
den Erfolgen seines Bruders das reinste Glück, und als der rasch und ungestüm
lebende Dichter den bitteren Nachgeschmack mancher süßen Thorheit kosten mußte,
stand der ältere ihm wie ein guter Engel mahnend, tröstend, ermuthigend zur Seite.
So bewährte er sich auch während jenes unseligen Verhältnisses zu George Sand
und nach demselben. Nicht weniger als die zärtliche Mutter war es der liebevolle
Bruder, dessen treuer und kluger Pflege es der Dichter verdankte, wenn er an Leib
und Seele genas und sich "zu neuen Sphären reiner Thätigkeit" erhob.

Alfred wußte, was er an Paul hatte: wenn er sich in seinen Briefen an ihn
zuweilen unterzeichnet: ton trürs ot arm, so ist das in dem vollsten und höchsten Sinne
dieser beiden Namen aufzufassen. Einen in seiner Einfachheit rührenden Ausdruck
findet das Bedürfniß mit dem Bruder zu leben in dem Gedichte, mit welchem er
im Jahre 1844 den aus Italien heimkehrenden begrüßt. Zwei dieser so leichten
und doch so herzlichen Strophen mögen hier Platz finden:


Froh kehrst du heim, von Sorgen frei,
schneidest die Feder, singst dabei
Ein Liedelein;
Du bringst zurück in unser Nest
Die Hoffnung, die uns nur verläßt,
Um neu zu sein.
Freund, geh' nicht wieder fort so weit!
Dein Beistand frommt mir jeder Zeit,
Wie's Los auch Me.
'
Wohin mein Weg? Habs nicht erkannt/
Doch geht sich's baß, wenn meine Hand
Die deine hält,



*) Lioxraxuis as ^.ItreÄ ac Uusset. 8" vie et ses osuvrss. Lixiöws öäition. ?"ris,
0. eüarxeutisr, 187S.
**) In dem Sonett an den Leser, 1840, heißt es: Reh xrewiers vors "out ä'no en^ut.
Grenzboten II. 1LS0. S4

Germanen Gemüth beilegen zu wollen — und wie viele Romanen haben es schon
vor ihm gezeigt! — so tritt in der ruhigeren, maßvolleren Natur seines Bruders
die Kraft und Innigkeit edelsten Gefühlslebens vielleicht noch unmittelbarer hervor.
Es ist kein schöneres Verhältniß zwischen Brüdern denkbar, als es zwischen Paul
und Alfred de Musset bestanden hat. Zahlreiche Züge, welche uns der erstere in
der Lebensgeschichte seines Bruders*) mittheilt, zeigen uns, daß der eouSatus xaens
Amor ti-sÄ-um, um ein schönes Wort des Cicero zu gebrauchen, unter wechselnden
Bedingungen durch alle Altersstufen hindurch in gleicher Stärke bestanden hat. Der
vierzehnjährige baut mit dem achtjährigen, ganz wie deutsche Kinder zu thun pflegen,
aus Büchern Königspalaste, indem er auf alle Neigungen des Kleinen eingeht, sie
leben zusammen in der Ritter- und Zauberwelt, und mit der Erfindungskraft der
Liebe weiß Paul Alfred zu täuschen, wenn er sieht, daß diesem ein Irrthum, wie
der Glaube an die Existenz einer geheimen Thür, Freude macht. Als dann der
Bruder, im ersten Jünglingsalter, wie er selbst später sagt, noch als ein Kind**),
mit den Fontes ä'Lsxaxne et ä'Italie die ersten Lorbeeren erntete, genoß Paul in
den Erfolgen seines Bruders das reinste Glück, und als der rasch und ungestüm
lebende Dichter den bitteren Nachgeschmack mancher süßen Thorheit kosten mußte,
stand der ältere ihm wie ein guter Engel mahnend, tröstend, ermuthigend zur Seite.
So bewährte er sich auch während jenes unseligen Verhältnisses zu George Sand
und nach demselben. Nicht weniger als die zärtliche Mutter war es der liebevolle
Bruder, dessen treuer und kluger Pflege es der Dichter verdankte, wenn er an Leib
und Seele genas und sich „zu neuen Sphären reiner Thätigkeit" erhob.

Alfred wußte, was er an Paul hatte: wenn er sich in seinen Briefen an ihn
zuweilen unterzeichnet: ton trürs ot arm, so ist das in dem vollsten und höchsten Sinne
dieser beiden Namen aufzufassen. Einen in seiner Einfachheit rührenden Ausdruck
findet das Bedürfniß mit dem Bruder zu leben in dem Gedichte, mit welchem er
im Jahre 1844 den aus Italien heimkehrenden begrüßt. Zwei dieser so leichten
und doch so herzlichen Strophen mögen hier Platz finden:


Froh kehrst du heim, von Sorgen frei,
schneidest die Feder, singst dabei
Ein Liedelein;
Du bringst zurück in unser Nest
Die Hoffnung, die uns nur verläßt,
Um neu zu sein.
Freund, geh' nicht wieder fort so weit!
Dein Beistand frommt mir jeder Zeit,
Wie's Los auch Me.
'
Wohin mein Weg? Habs nicht erkannt/
Doch geht sich's baß, wenn meine Hand
Die deine hält,



*) Lioxraxuis as ^.ItreÄ ac Uusset. 8» vie et ses osuvrss. Lixiöws öäition. ?»ris,
0. eüarxeutisr, 187S.
**) In dem Sonett an den Leser, 1840, heißt es: Reh xrewiers vors »out ä'no en^ut.
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[0429] Germanen Gemüth beilegen zu wollen — und wie viele Romanen haben es schon vor ihm gezeigt! — so tritt in der ruhigeren, maßvolleren Natur seines Bruders die Kraft und Innigkeit edelsten Gefühlslebens vielleicht noch unmittelbarer hervor. Es ist kein schöneres Verhältniß zwischen Brüdern denkbar, als es zwischen Paul und Alfred de Musset bestanden hat. Zahlreiche Züge, welche uns der erstere in der Lebensgeschichte seines Bruders*) mittheilt, zeigen uns, daß der eouSatus xaens Amor ti-sÄ-um, um ein schönes Wort des Cicero zu gebrauchen, unter wechselnden Bedingungen durch alle Altersstufen hindurch in gleicher Stärke bestanden hat. Der vierzehnjährige baut mit dem achtjährigen, ganz wie deutsche Kinder zu thun pflegen, aus Büchern Königspalaste, indem er auf alle Neigungen des Kleinen eingeht, sie leben zusammen in der Ritter- und Zauberwelt, und mit der Erfindungskraft der Liebe weiß Paul Alfred zu täuschen, wenn er sieht, daß diesem ein Irrthum, wie der Glaube an die Existenz einer geheimen Thür, Freude macht. Als dann der Bruder, im ersten Jünglingsalter, wie er selbst später sagt, noch als ein Kind**), mit den Fontes ä'Lsxaxne et ä'Italie die ersten Lorbeeren erntete, genoß Paul in den Erfolgen seines Bruders das reinste Glück, und als der rasch und ungestüm lebende Dichter den bitteren Nachgeschmack mancher süßen Thorheit kosten mußte, stand der ältere ihm wie ein guter Engel mahnend, tröstend, ermuthigend zur Seite. So bewährte er sich auch während jenes unseligen Verhältnisses zu George Sand und nach demselben. Nicht weniger als die zärtliche Mutter war es der liebevolle Bruder, dessen treuer und kluger Pflege es der Dichter verdankte, wenn er an Leib und Seele genas und sich „zu neuen Sphären reiner Thätigkeit" erhob. Alfred wußte, was er an Paul hatte: wenn er sich in seinen Briefen an ihn zuweilen unterzeichnet: ton trürs ot arm, so ist das in dem vollsten und höchsten Sinne dieser beiden Namen aufzufassen. Einen in seiner Einfachheit rührenden Ausdruck findet das Bedürfniß mit dem Bruder zu leben in dem Gedichte, mit welchem er im Jahre 1844 den aus Italien heimkehrenden begrüßt. Zwei dieser so leichten und doch so herzlichen Strophen mögen hier Platz finden: Froh kehrst du heim, von Sorgen frei, schneidest die Feder, singst dabei Ein Liedelein; Du bringst zurück in unser Nest Die Hoffnung, die uns nur verläßt, Um neu zu sein. Freund, geh' nicht wieder fort so weit! Dein Beistand frommt mir jeder Zeit, Wie's Los auch Me. ' Wohin mein Weg? Habs nicht erkannt/ Doch geht sich's baß, wenn meine Hand Die deine hält, *) Lioxraxuis as ^.ItreÄ ac Uusset. 8» vie et ses osuvrss. Lixiöws öäition. ?»ris, 0. eüarxeutisr, 187S. **) In dem Sonett an den Leser, 1840, heißt es: Reh xrewiers vors »out ä'no en^ut. Grenzboten II. 1LS0. S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/429>, abgerufen am 24.08.2024.