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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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nicht immer genügen. Unter einem minder begabten Nachfolger mußte eine solche
Negiemngsweise zur Vernachlässigung der wichtigsten Regierungsgeschäfte, zum Ver¬
fall, zur Erschlaffung des ganzen Verwaltungsmechanismus und aller staatlichen
Einrichtungen führen. Aber auch noch andere Schwierigkeiten mußte ein Nachfolger
Friedrichs II. überwinden. Die strenge Disciplin, die peinliche Beaufsichtigung
hatte den Beamten die Initiative, Selbstvertrauen, Freudigkeit und Begeisterung
für jede Thätigkeit geraubt. Mit Mißtrauen und Mißachtung war Friedrich seinen
Beamten begegnet. Konnte ein so herabgewürdigter Beamtenstand durch ideales
Streben, Weite und Kühnheit des Blickes sich auszeichnen? Mußte nicht mehr und
mehr feige und schlau berechnende Selbstsucht ausgebildet werden? Nicht viel besser
aber stand es in der Armee, dem gepriesenen Werkzeuge preußischen Ruhms. Wohl
hatte Friedrich hier dem Officierscorps die exorbitantesten Vorrechte gewährt, aber
der Einzelne galt ihm nur als Instrument seines Wollens. Beharrlich konnte er
einem ehrenwerthen höheren Officier selbst zu einer standesgemäßen Heirath die
Erlaubniß verweigern. Selbst ohne hinreichende Veranlassung erfolgten häufig ent¬
würdigende grobe Schmähungen oder Cassation. Auch hierbei können wir die
Bemerkung machen, daß der große König in den Fehler so vieler thatkräftiger und
genialer Naturen verfiel, daß er zu wenig Werth auf die moralischen Triebfedern und
das Zusammenwirken vieler Einzelindividualitäten legte, sondern alles vom maschinen¬
mäßiger Gehorsam erwartete. Mit wahrhaft socialistischer Allsorgfalt hatte sich
der Staat in alle gewerblichen Verhältnisse eingemischt, um seine Unterthanen auch
wider deren Willen glücklich und reich zu machen. Allenthaben waren mit Friedrichs
Unterstützung Fabriken entstanden; durch Prämien wurden dem undankbaren Boden
Seidenraupenzucht und Tabaksbau aufgedrängt. So hatte sich der Fabrikant daran
gewöhnt, sich auf Unterstützung von oben zu verlassen. Der Ausschluß jeder Con-
currenz führt zur Trägheit und Selbstsucht. Und dieser künstlichen und immer
nothleidenden Industrie wegen wurde der internationale Handel durch enorme Ab¬
gaben, Verbote und Zollplackereien vernichtet. Dein Bauer aber wurde durch hohe
Steuern und hohe Erzeugszölle wie durch das Verbot der Getreideausfuhr der
Lohn seiner Arbeit gekürzt. Schon zu Friedrichs Zeiten wurden Stimmen gegen
dieses protectionistische System laut. Man fand, daß es weder für Handel und
Industrie noch für die Landwirthschaft heilsame Früchte trug. Indessen hatte die
Festigkeit und UnVeränderlichkeit des Friedericianischen Systems, wenn auch langsam,
doch stetig den Wohlstand des Landes während des langen Friedens vermehrt und
damit jene Stimmen zum Schweige" gebracht. Seitdem aber Friedrich die Ver¬
waltung der indirecten Steuern durch die einheimischen Behörden nicht einträglich
genug fand und er dieselbe französischen Beamten, der sogenannten Regie, übergab,
die rin ihrem entwickelten Spür- und Denunciantenwesen Alle bedrückte und dabei
doch einen verhältnißmäßig geringen Gewinn abwarf, wurde die Abneigung gegen
das Verwaltungssystem des Monarchen immer größer. Auch hier fiel dem Nach¬
folger eine schwierige Aufgabe zu, die Wünsche des Volkes mit den Bedürfnissen
des Staates in Einklang zu bringen.


nicht immer genügen. Unter einem minder begabten Nachfolger mußte eine solche
Negiemngsweise zur Vernachlässigung der wichtigsten Regierungsgeschäfte, zum Ver¬
fall, zur Erschlaffung des ganzen Verwaltungsmechanismus und aller staatlichen
Einrichtungen führen. Aber auch noch andere Schwierigkeiten mußte ein Nachfolger
Friedrichs II. überwinden. Die strenge Disciplin, die peinliche Beaufsichtigung
hatte den Beamten die Initiative, Selbstvertrauen, Freudigkeit und Begeisterung
für jede Thätigkeit geraubt. Mit Mißtrauen und Mißachtung war Friedrich seinen
Beamten begegnet. Konnte ein so herabgewürdigter Beamtenstand durch ideales
Streben, Weite und Kühnheit des Blickes sich auszeichnen? Mußte nicht mehr und
mehr feige und schlau berechnende Selbstsucht ausgebildet werden? Nicht viel besser
aber stand es in der Armee, dem gepriesenen Werkzeuge preußischen Ruhms. Wohl
hatte Friedrich hier dem Officierscorps die exorbitantesten Vorrechte gewährt, aber
der Einzelne galt ihm nur als Instrument seines Wollens. Beharrlich konnte er
einem ehrenwerthen höheren Officier selbst zu einer standesgemäßen Heirath die
Erlaubniß verweigern. Selbst ohne hinreichende Veranlassung erfolgten häufig ent¬
würdigende grobe Schmähungen oder Cassation. Auch hierbei können wir die
Bemerkung machen, daß der große König in den Fehler so vieler thatkräftiger und
genialer Naturen verfiel, daß er zu wenig Werth auf die moralischen Triebfedern und
das Zusammenwirken vieler Einzelindividualitäten legte, sondern alles vom maschinen¬
mäßiger Gehorsam erwartete. Mit wahrhaft socialistischer Allsorgfalt hatte sich
der Staat in alle gewerblichen Verhältnisse eingemischt, um seine Unterthanen auch
wider deren Willen glücklich und reich zu machen. Allenthaben waren mit Friedrichs
Unterstützung Fabriken entstanden; durch Prämien wurden dem undankbaren Boden
Seidenraupenzucht und Tabaksbau aufgedrängt. So hatte sich der Fabrikant daran
gewöhnt, sich auf Unterstützung von oben zu verlassen. Der Ausschluß jeder Con-
currenz führt zur Trägheit und Selbstsucht. Und dieser künstlichen und immer
nothleidenden Industrie wegen wurde der internationale Handel durch enorme Ab¬
gaben, Verbote und Zollplackereien vernichtet. Dein Bauer aber wurde durch hohe
Steuern und hohe Erzeugszölle wie durch das Verbot der Getreideausfuhr der
Lohn seiner Arbeit gekürzt. Schon zu Friedrichs Zeiten wurden Stimmen gegen
dieses protectionistische System laut. Man fand, daß es weder für Handel und
Industrie noch für die Landwirthschaft heilsame Früchte trug. Indessen hatte die
Festigkeit und UnVeränderlichkeit des Friedericianischen Systems, wenn auch langsam,
doch stetig den Wohlstand des Landes während des langen Friedens vermehrt und
damit jene Stimmen zum Schweige» gebracht. Seitdem aber Friedrich die Ver¬
waltung der indirecten Steuern durch die einheimischen Behörden nicht einträglich
genug fand und er dieselbe französischen Beamten, der sogenannten Regie, übergab,
die rin ihrem entwickelten Spür- und Denunciantenwesen Alle bedrückte und dabei
doch einen verhältnißmäßig geringen Gewinn abwarf, wurde die Abneigung gegen
das Verwaltungssystem des Monarchen immer größer. Auch hier fiel dem Nach¬
folger eine schwierige Aufgabe zu, die Wünsche des Volkes mit den Bedürfnissen
des Staates in Einklang zu bringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/416>, abgerufen am 22.07.2024.