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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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indem sie ihre Pachtflächen zerstückeln, was nur in der Nachbarschaft großer
Märkte erlaubt ist, auf dem flachen Lande aber, fern von Städten und Eisen¬
bahnen, nothwendig ins Elend führen muß. Eine Pachtstelle, die sich lohnen
soll, muß wenigstens 15 Acres oder 6 Hectaren groß sein, nur die Hälfte der
irischen Pachter verfügt über dieses Maß, ein Fünftel derselben hat weniger
als fünf und 51910 haben sogar weniger als einen Acre. Der Gang der
Dinge, der hiezu geführt hat, war folgender. Ein Mann übernahm die Pacht
einer hinreichend großen Landstände, als er heirathete. Als seine Kinder her¬
anwuchsen, vertheilte er letztere unter dieselben nach der Kopfzahl, und so ent¬
standen Pachtfleckchen, welche die sie bewirthschaftende Familie höchstens mit
Kartoffeln ernähren konnten. Geheirathet wird sehr frühzeitig, und die Ehen
sind "zum Entsetzen fruchtbar". Hat ein Ire ohne Kinder eine ausgedehnte Pacht¬
flur inne, so spielt er den Grundherren und zerlegt sie in Afterpachtungen, treibt
von den Afterpächtern den Zins ein und lebt dann von dem Ueberschuß, den
dieser ihm über den von ihm an den eigentlichen Besitzer zu zahlenden Pacht¬
schilling gewährt.

Wenn daher die Iren, welche das "Home-Rule", die politische Autonomie,
ein eigenes Parlament und einen eignen Regenten in Dublin auf ihre Fahne
schreiben, die weitere Forderung: "Irland für die Iren" erheben und das ihren
Vorfahren entrissene Land aus Pachtungen in volles Eigenthum umgewandelt
sehen wollen, so ist für den Fall, daß man ihnen willfahrte, mit Sicherheit
vorauszusagen, daß sie sich durch Zwergwirthschaft und Uebervölkerung in das
größte agrarische Elend bringen würden.

Die keltische Bevölkerung in Irland, die zugleich die katholische ist, nimmt
von Jahr zu Jahr mehr ab. "Schon heute beten und fluchen "/^o der Be¬
wohner der Smaragdinsel auf gut Englisch." Aber die Opposition der Iren
gegen England ist dadurch nicht schwächer geworden. Sehr viele der einwan¬
dernden Engländer treten zum Katholicismus über, der diese Opposition durch
seine Priester nach Kräften schürt. Das zweite Geschlecht der Einwanderer
wird seiner nationalen Gesinnung nach fast ausnahmelos irisch. So wird,
nach Krümmels Ansicht, der irische Nationalgeist niemals erlöschen, wie sehr sich
auch das keltische Blut verdünne, und vergeblich hoffen viele Engländer, daß
bei einem Abfall der keltischen Bevölkerung wenigstens die protestantischen
Jrländer, die sogenannten Orcmgisten, sich zum Mutterlande halten werden, und
daß namentlich Ulster sich von den drei anderen Provinzen lossagen werde,
da dort die Protestanten den Katholiken an Zahl ungefähr gewachsen sind, die
Angelsachsen durch ihren Besitz stark ins Gewicht fallen und die alte Sprache
der Insel in schnellem Verlöschen begriffen ist. "Die Raufereien zwischen Papisten
Und Orangisten sind nur häusliche Zwiste, während in geschichtlichen und poli-


indem sie ihre Pachtflächen zerstückeln, was nur in der Nachbarschaft großer
Märkte erlaubt ist, auf dem flachen Lande aber, fern von Städten und Eisen¬
bahnen, nothwendig ins Elend führen muß. Eine Pachtstelle, die sich lohnen
soll, muß wenigstens 15 Acres oder 6 Hectaren groß sein, nur die Hälfte der
irischen Pachter verfügt über dieses Maß, ein Fünftel derselben hat weniger
als fünf und 51910 haben sogar weniger als einen Acre. Der Gang der
Dinge, der hiezu geführt hat, war folgender. Ein Mann übernahm die Pacht
einer hinreichend großen Landstände, als er heirathete. Als seine Kinder her¬
anwuchsen, vertheilte er letztere unter dieselben nach der Kopfzahl, und so ent¬
standen Pachtfleckchen, welche die sie bewirthschaftende Familie höchstens mit
Kartoffeln ernähren konnten. Geheirathet wird sehr frühzeitig, und die Ehen
sind „zum Entsetzen fruchtbar". Hat ein Ire ohne Kinder eine ausgedehnte Pacht¬
flur inne, so spielt er den Grundherren und zerlegt sie in Afterpachtungen, treibt
von den Afterpächtern den Zins ein und lebt dann von dem Ueberschuß, den
dieser ihm über den von ihm an den eigentlichen Besitzer zu zahlenden Pacht¬
schilling gewährt.

Wenn daher die Iren, welche das „Home-Rule", die politische Autonomie,
ein eigenes Parlament und einen eignen Regenten in Dublin auf ihre Fahne
schreiben, die weitere Forderung: „Irland für die Iren" erheben und das ihren
Vorfahren entrissene Land aus Pachtungen in volles Eigenthum umgewandelt
sehen wollen, so ist für den Fall, daß man ihnen willfahrte, mit Sicherheit
vorauszusagen, daß sie sich durch Zwergwirthschaft und Uebervölkerung in das
größte agrarische Elend bringen würden.

Die keltische Bevölkerung in Irland, die zugleich die katholische ist, nimmt
von Jahr zu Jahr mehr ab. „Schon heute beten und fluchen "/^o der Be¬
wohner der Smaragdinsel auf gut Englisch." Aber die Opposition der Iren
gegen England ist dadurch nicht schwächer geworden. Sehr viele der einwan¬
dernden Engländer treten zum Katholicismus über, der diese Opposition durch
seine Priester nach Kräften schürt. Das zweite Geschlecht der Einwanderer
wird seiner nationalen Gesinnung nach fast ausnahmelos irisch. So wird,
nach Krümmels Ansicht, der irische Nationalgeist niemals erlöschen, wie sehr sich
auch das keltische Blut verdünne, und vergeblich hoffen viele Engländer, daß
bei einem Abfall der keltischen Bevölkerung wenigstens die protestantischen
Jrländer, die sogenannten Orcmgisten, sich zum Mutterlande halten werden, und
daß namentlich Ulster sich von den drei anderen Provinzen lossagen werde,
da dort die Protestanten den Katholiken an Zahl ungefähr gewachsen sind, die
Angelsachsen durch ihren Besitz stark ins Gewicht fallen und die alte Sprache
der Insel in schnellem Verlöschen begriffen ist. „Die Raufereien zwischen Papisten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/412>, abgerufen am 22.07.2024.