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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Regierung wird diese Aenderung ihres Vorsatzes keinesfalls unmotivirt lassen,
aber man kann bedauern, daß die Motivirung nicht sogleich bei der Einbringung
der Vorlage gegeben worden. Es hatte verlautet, die Vorlage werde nicht dem
Präsidium bloß schriftlich übersendet worden, wie es mehr und mehr üblich ge¬
worden, sondern sie werde im Hause durch einen der Minister persönlich über¬
reicht und mit einem begründenden Vortrage eingeführt werden. Daß dies
nicht geschehen ist, mag wohl darin seinen Grund haben, daß, seitdem die sehr
zweckmäßige Einrichtung der drei Lesungen besteht, der begründende Vortrag am
wirksamsten, weil sogleich auf den Beschluß über die geschäftliche Behandlung
Einfluß nehmend, bei der ersten Lesung gegeben wird. Immerhin ist aus dieser
richtigen Idee diesmal der Nachtheil entstanden, daß die öffentliche Meinung
einige Tage mit leicht zu entkräftenden Vorwürfen gegen die Vorlage einge¬
nommen und verstimmt wird.

Leicht genug sind diese Vorwürfe zu entkräften. Seit dem 17. März wird
ohne Zweifel die Staatsregierung Gelegenheit gehabt haben, sich in der Ueber¬
zeugung unerschütterlich zu befestigen, daß mit Rom kein auf einer wie immer
gearteten Gegenseitigkeit beruhendes Einverstündniß möglich ist. Ans dieser
nunmehr definitiven Ueberzeugung wird die Regierung zu dem Entschlüsse ge¬
langt sein, ganz selbständig vorzugehen, also ohne jede vorausgehende Leistung
Roms sich die Mittel einer nachsichtigen Handhabung der Kirchengesetze zu ver¬
schaffen, ohne die Befugniß zur Handhabung nach der ganzen Strenge des
Wortlautes aus der Hand zu geben. Ausgenommen einige durch die Erfahrung
als unhaltbar erkannte Punkte, die sogleich definitiv geändert werden. Die
katholische Bevölkerung wird dann Gelegenheit haben zu urtheilen, wer die
Strenge veranlaßt, sobald sie beibehalten oder von neuem in Uebung gesetzt
wird. Für eine clericale Kampfespolitik ist das Feld, welches die Regierung
von ihrem Landtage beansprucht, ungünstiger als das bisherige. Die clericale
Politik wird weit deutlicher erkennen lassen müssen, daß Trotz und erobernde
Vermessenheit ihre Triebfedern sind, oder sie wird aus Gründen der Weltlage
einen moäus vivcmäi zulassen, dessen Unterbrechung bei für die Curie günstigen
Umständen die Willkür jener Politik nur um so auffälliger hervortreten lassen
würde. Es hat nichts auf sich, es ist sogar ein vortheilhafter Umstand, daß
dem moclus vivendi, falls er eintreten sollte, alle und jede Verbriefung fehlen
würde, welche von der Curie nicht zu erlangen ist, welche die letztere aber auch
nöthigt, dem anderen Theil die volle Freiheit zu lassen.

Was den kurzsichtigen Angen, welche es unternehmen, als schärfer blickend
die öffentliche Meinung zu belehren, an der neuen Vorlage als ein Einschlagen
des Weges nach Kanossa erscheint, das ist vielmehr der feste Entschluß der
deutschen Politik, den Kampf, wenn die jetzt freiwillig und ohne vorangegangene


Regierung wird diese Aenderung ihres Vorsatzes keinesfalls unmotivirt lassen,
aber man kann bedauern, daß die Motivirung nicht sogleich bei der Einbringung
der Vorlage gegeben worden. Es hatte verlautet, die Vorlage werde nicht dem
Präsidium bloß schriftlich übersendet worden, wie es mehr und mehr üblich ge¬
worden, sondern sie werde im Hause durch einen der Minister persönlich über¬
reicht und mit einem begründenden Vortrage eingeführt werden. Daß dies
nicht geschehen ist, mag wohl darin seinen Grund haben, daß, seitdem die sehr
zweckmäßige Einrichtung der drei Lesungen besteht, der begründende Vortrag am
wirksamsten, weil sogleich auf den Beschluß über die geschäftliche Behandlung
Einfluß nehmend, bei der ersten Lesung gegeben wird. Immerhin ist aus dieser
richtigen Idee diesmal der Nachtheil entstanden, daß die öffentliche Meinung
einige Tage mit leicht zu entkräftenden Vorwürfen gegen die Vorlage einge¬
nommen und verstimmt wird.

Leicht genug sind diese Vorwürfe zu entkräften. Seit dem 17. März wird
ohne Zweifel die Staatsregierung Gelegenheit gehabt haben, sich in der Ueber¬
zeugung unerschütterlich zu befestigen, daß mit Rom kein auf einer wie immer
gearteten Gegenseitigkeit beruhendes Einverstündniß möglich ist. Ans dieser
nunmehr definitiven Ueberzeugung wird die Regierung zu dem Entschlüsse ge¬
langt sein, ganz selbständig vorzugehen, also ohne jede vorausgehende Leistung
Roms sich die Mittel einer nachsichtigen Handhabung der Kirchengesetze zu ver¬
schaffen, ohne die Befugniß zur Handhabung nach der ganzen Strenge des
Wortlautes aus der Hand zu geben. Ausgenommen einige durch die Erfahrung
als unhaltbar erkannte Punkte, die sogleich definitiv geändert werden. Die
katholische Bevölkerung wird dann Gelegenheit haben zu urtheilen, wer die
Strenge veranlaßt, sobald sie beibehalten oder von neuem in Uebung gesetzt
wird. Für eine clericale Kampfespolitik ist das Feld, welches die Regierung
von ihrem Landtage beansprucht, ungünstiger als das bisherige. Die clericale
Politik wird weit deutlicher erkennen lassen müssen, daß Trotz und erobernde
Vermessenheit ihre Triebfedern sind, oder sie wird aus Gründen der Weltlage
einen moäus vivcmäi zulassen, dessen Unterbrechung bei für die Curie günstigen
Umständen die Willkür jener Politik nur um so auffälliger hervortreten lassen
würde. Es hat nichts auf sich, es ist sogar ein vortheilhafter Umstand, daß
dem moclus vivendi, falls er eintreten sollte, alle und jede Verbriefung fehlen
würde, welche von der Curie nicht zu erlangen ist, welche die letztere aber auch
nöthigt, dem anderen Theil die volle Freiheit zu lassen.

Was den kurzsichtigen Angen, welche es unternehmen, als schärfer blickend
die öffentliche Meinung zu belehren, an der neuen Vorlage als ein Einschlagen
des Weges nach Kanossa erscheint, das ist vielmehr der feste Entschluß der
deutschen Politik, den Kampf, wenn die jetzt freiwillig und ohne vorangegangene


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[0403] Regierung wird diese Aenderung ihres Vorsatzes keinesfalls unmotivirt lassen, aber man kann bedauern, daß die Motivirung nicht sogleich bei der Einbringung der Vorlage gegeben worden. Es hatte verlautet, die Vorlage werde nicht dem Präsidium bloß schriftlich übersendet worden, wie es mehr und mehr üblich ge¬ worden, sondern sie werde im Hause durch einen der Minister persönlich über¬ reicht und mit einem begründenden Vortrage eingeführt werden. Daß dies nicht geschehen ist, mag wohl darin seinen Grund haben, daß, seitdem die sehr zweckmäßige Einrichtung der drei Lesungen besteht, der begründende Vortrag am wirksamsten, weil sogleich auf den Beschluß über die geschäftliche Behandlung Einfluß nehmend, bei der ersten Lesung gegeben wird. Immerhin ist aus dieser richtigen Idee diesmal der Nachtheil entstanden, daß die öffentliche Meinung einige Tage mit leicht zu entkräftenden Vorwürfen gegen die Vorlage einge¬ nommen und verstimmt wird. Leicht genug sind diese Vorwürfe zu entkräften. Seit dem 17. März wird ohne Zweifel die Staatsregierung Gelegenheit gehabt haben, sich in der Ueber¬ zeugung unerschütterlich zu befestigen, daß mit Rom kein auf einer wie immer gearteten Gegenseitigkeit beruhendes Einverstündniß möglich ist. Ans dieser nunmehr definitiven Ueberzeugung wird die Regierung zu dem Entschlüsse ge¬ langt sein, ganz selbständig vorzugehen, also ohne jede vorausgehende Leistung Roms sich die Mittel einer nachsichtigen Handhabung der Kirchengesetze zu ver¬ schaffen, ohne die Befugniß zur Handhabung nach der ganzen Strenge des Wortlautes aus der Hand zu geben. Ausgenommen einige durch die Erfahrung als unhaltbar erkannte Punkte, die sogleich definitiv geändert werden. Die katholische Bevölkerung wird dann Gelegenheit haben zu urtheilen, wer die Strenge veranlaßt, sobald sie beibehalten oder von neuem in Uebung gesetzt wird. Für eine clericale Kampfespolitik ist das Feld, welches die Regierung von ihrem Landtage beansprucht, ungünstiger als das bisherige. Die clericale Politik wird weit deutlicher erkennen lassen müssen, daß Trotz und erobernde Vermessenheit ihre Triebfedern sind, oder sie wird aus Gründen der Weltlage einen moäus vivcmäi zulassen, dessen Unterbrechung bei für die Curie günstigen Umständen die Willkür jener Politik nur um so auffälliger hervortreten lassen würde. Es hat nichts auf sich, es ist sogar ein vortheilhafter Umstand, daß dem moclus vivendi, falls er eintreten sollte, alle und jede Verbriefung fehlen würde, welche von der Curie nicht zu erlangen ist, welche die letztere aber auch nöthigt, dem anderen Theil die volle Freiheit zu lassen. Was den kurzsichtigen Angen, welche es unternehmen, als schärfer blickend die öffentliche Meinung zu belehren, an der neuen Vorlage als ein Einschlagen des Weges nach Kanossa erscheint, das ist vielmehr der feste Entschluß der deutschen Politik, den Kampf, wenn die jetzt freiwillig und ohne vorangegangene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/403>, abgerufen am 22.07.2024.