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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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über die "nahen Beziehungen" der ägyptischen Musik zur Religion, zum Staat und
zur gesammten Cultur, namentlich zur Astronomie, woran sich die Texte (!) von
zwei ägyptischen Liedern in deutscher Uebersetzung anschließen. "Waren die Ton¬
weisen, die sich mit solchen Gesängen verschmolzen, nur annähernd ebenso stimmungs¬
voll wie diese, so ist die Musik bei den Aegyptern schon großer Wirkungen sähig
gewesen." Dann kommt der übliche Passus über das musikalische System der
Aegypter, über das wir leider "weit weniger bestimmtes wissen als über diejenigen
der Chinesen und Inder. Dies hat darin seinen Grund, daß uns die gelegentliche
Auffindung eines vereinzelten Papyros oder Palimpsestes (!) -- was ist denn ein
Palimpsest? Herr Naumann scheint es für Eselshaut oder für sonst ein Material
zu halten? -- nicht den Mangel jener heiligen Bücher zu ersetzen vermochte, welche
sich bei deu Chinesen und Indern erhalten haben." Gleichwohl werden ein paar
Seiten mit diesem "System" gefüllt, alles natürlich die baare Hypothese, von der
der urtheilslose Leser aber doch den dämmrigen Eindruck bekommen muß, er habe
etwas darüber erfahren, und zum Schlüsse werden wieder die ägyptischen Musik¬
instrumente vorgeführt, diesmal, an der Hand der Denkmäler, in einer historischen
Folge, die durch den pompösen Satz eingeleitet wird: "Die Geschichte der ägypti¬
schen Musik steht im engsten Zusammenhang mit der politischen Geschichte der
Aegypter". Geschichte der ägyptischen Musik! Und dabei haben wir nicht einen
einzigen Ton von dieser Musik erhalten.

Wenn unsere Leser sagen werden, daß wir dem Naumcmnschen Opus viel zu
viel Ehre angethan, indem wir es ernsthaft von einem wissenschaftlichen Standpunkte
aus beurtheilt, so haben wir darauf nichts zu entgegnen. Freilich sollte man solchen
offenbaren Hnmbug, der nur auf unmündige Leser rechnet, bloß vom moralischen
Standpunkte aus beurtheilen.

Wenn das Buch nun wenigstens lesbar geschrieben wäre! Es wäre doch immer¬
hin etwas. Der Prospect rühmt ja vom Verfasser, daß er "mit wissenschaftlicher
Gründlichkeit die Schönheit einer von künstlerischem Geist beherrschten Sprache" ver¬
binde, und wir können bestätigen, daß Herr Naumann sonst eine ziemlich glatte und
einschmeichelnde Feder zu führen versteht. Freilich, wenn man, wie hier, nichts zu
sagen hat, weil man selber nichts weiß, so muß man sich wohl in unbeholfenen
Phrasen winden. Oder soll die "Schönheit einer von künstlerischem Geist beherrschten
Sprache" vielleicht darin liegen, daß ein einfaches Wort wie "zeigen" consequent
vermieden und dnrch die gesuchte Wendung "gewahren lassen" ersetzt wird?*) Und
der künstlerische "Geist" vielleicht in den wohlfeilen Späßchen, die gelegentlich
angeflochten werden?**)




*) Vgl. S. 2: in dem großen Gegensatze, welchen uns hinsichtlich ihrer Auffassung der
Tonkunst die ältesten Culturvölker Asiens und Europas gewahren lassen -- S, 6: daß
diese Länder und Völker auch darin eine Gemeinsamkeit gewahren lassen -- S. 24: wie
sie uns die indische Plastik in ihren aufgequollenen Gestalten gewahren läßt - S. 34:
die Wände der Denkmale lassen mehr als eine ans Musik bezügliche Inschrift gewahren.
Vgl, S. 10: Das F hieß bei den Chinesen Kaiser, das G Minister, das A unter-

über die „nahen Beziehungen" der ägyptischen Musik zur Religion, zum Staat und
zur gesammten Cultur, namentlich zur Astronomie, woran sich die Texte (!) von
zwei ägyptischen Liedern in deutscher Uebersetzung anschließen. „Waren die Ton¬
weisen, die sich mit solchen Gesängen verschmolzen, nur annähernd ebenso stimmungs¬
voll wie diese, so ist die Musik bei den Aegyptern schon großer Wirkungen sähig
gewesen." Dann kommt der übliche Passus über das musikalische System der
Aegypter, über das wir leider „weit weniger bestimmtes wissen als über diejenigen
der Chinesen und Inder. Dies hat darin seinen Grund, daß uns die gelegentliche
Auffindung eines vereinzelten Papyros oder Palimpsestes (!) — was ist denn ein
Palimpsest? Herr Naumann scheint es für Eselshaut oder für sonst ein Material
zu halten? — nicht den Mangel jener heiligen Bücher zu ersetzen vermochte, welche
sich bei deu Chinesen und Indern erhalten haben." Gleichwohl werden ein paar
Seiten mit diesem „System" gefüllt, alles natürlich die baare Hypothese, von der
der urtheilslose Leser aber doch den dämmrigen Eindruck bekommen muß, er habe
etwas darüber erfahren, und zum Schlüsse werden wieder die ägyptischen Musik¬
instrumente vorgeführt, diesmal, an der Hand der Denkmäler, in einer historischen
Folge, die durch den pompösen Satz eingeleitet wird: „Die Geschichte der ägypti¬
schen Musik steht im engsten Zusammenhang mit der politischen Geschichte der
Aegypter". Geschichte der ägyptischen Musik! Und dabei haben wir nicht einen
einzigen Ton von dieser Musik erhalten.

Wenn unsere Leser sagen werden, daß wir dem Naumcmnschen Opus viel zu
viel Ehre angethan, indem wir es ernsthaft von einem wissenschaftlichen Standpunkte
aus beurtheilt, so haben wir darauf nichts zu entgegnen. Freilich sollte man solchen
offenbaren Hnmbug, der nur auf unmündige Leser rechnet, bloß vom moralischen
Standpunkte aus beurtheilen.

Wenn das Buch nun wenigstens lesbar geschrieben wäre! Es wäre doch immer¬
hin etwas. Der Prospect rühmt ja vom Verfasser, daß er „mit wissenschaftlicher
Gründlichkeit die Schönheit einer von künstlerischem Geist beherrschten Sprache" ver¬
binde, und wir können bestätigen, daß Herr Naumann sonst eine ziemlich glatte und
einschmeichelnde Feder zu führen versteht. Freilich, wenn man, wie hier, nichts zu
sagen hat, weil man selber nichts weiß, so muß man sich wohl in unbeholfenen
Phrasen winden. Oder soll die „Schönheit einer von künstlerischem Geist beherrschten
Sprache" vielleicht darin liegen, daß ein einfaches Wort wie „zeigen" consequent
vermieden und dnrch die gesuchte Wendung „gewahren lassen" ersetzt wird?*) Und
der künstlerische „Geist" vielleicht in den wohlfeilen Späßchen, die gelegentlich
angeflochten werden?**)




*) Vgl. S. 2: in dem großen Gegensatze, welchen uns hinsichtlich ihrer Auffassung der
Tonkunst die ältesten Culturvölker Asiens und Europas gewahren lassen — S, 6: daß
diese Länder und Völker auch darin eine Gemeinsamkeit gewahren lassen — S. 24: wie
sie uns die indische Plastik in ihren aufgequollenen Gestalten gewahren läßt - S. 34:
die Wände der Denkmale lassen mehr als eine ans Musik bezügliche Inschrift gewahren.
Vgl, S. 10: Das F hieß bei den Chinesen Kaiser, das G Minister, das A unter-
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[0395] über die „nahen Beziehungen" der ägyptischen Musik zur Religion, zum Staat und zur gesammten Cultur, namentlich zur Astronomie, woran sich die Texte (!) von zwei ägyptischen Liedern in deutscher Uebersetzung anschließen. „Waren die Ton¬ weisen, die sich mit solchen Gesängen verschmolzen, nur annähernd ebenso stimmungs¬ voll wie diese, so ist die Musik bei den Aegyptern schon großer Wirkungen sähig gewesen." Dann kommt der übliche Passus über das musikalische System der Aegypter, über das wir leider „weit weniger bestimmtes wissen als über diejenigen der Chinesen und Inder. Dies hat darin seinen Grund, daß uns die gelegentliche Auffindung eines vereinzelten Papyros oder Palimpsestes (!) — was ist denn ein Palimpsest? Herr Naumann scheint es für Eselshaut oder für sonst ein Material zu halten? — nicht den Mangel jener heiligen Bücher zu ersetzen vermochte, welche sich bei deu Chinesen und Indern erhalten haben." Gleichwohl werden ein paar Seiten mit diesem „System" gefüllt, alles natürlich die baare Hypothese, von der der urtheilslose Leser aber doch den dämmrigen Eindruck bekommen muß, er habe etwas darüber erfahren, und zum Schlüsse werden wieder die ägyptischen Musik¬ instrumente vorgeführt, diesmal, an der Hand der Denkmäler, in einer historischen Folge, die durch den pompösen Satz eingeleitet wird: „Die Geschichte der ägypti¬ schen Musik steht im engsten Zusammenhang mit der politischen Geschichte der Aegypter". Geschichte der ägyptischen Musik! Und dabei haben wir nicht einen einzigen Ton von dieser Musik erhalten. Wenn unsere Leser sagen werden, daß wir dem Naumcmnschen Opus viel zu viel Ehre angethan, indem wir es ernsthaft von einem wissenschaftlichen Standpunkte aus beurtheilt, so haben wir darauf nichts zu entgegnen. Freilich sollte man solchen offenbaren Hnmbug, der nur auf unmündige Leser rechnet, bloß vom moralischen Standpunkte aus beurtheilen. Wenn das Buch nun wenigstens lesbar geschrieben wäre! Es wäre doch immer¬ hin etwas. Der Prospect rühmt ja vom Verfasser, daß er „mit wissenschaftlicher Gründlichkeit die Schönheit einer von künstlerischem Geist beherrschten Sprache" ver¬ binde, und wir können bestätigen, daß Herr Naumann sonst eine ziemlich glatte und einschmeichelnde Feder zu führen versteht. Freilich, wenn man, wie hier, nichts zu sagen hat, weil man selber nichts weiß, so muß man sich wohl in unbeholfenen Phrasen winden. Oder soll die „Schönheit einer von künstlerischem Geist beherrschten Sprache" vielleicht darin liegen, daß ein einfaches Wort wie „zeigen" consequent vermieden und dnrch die gesuchte Wendung „gewahren lassen" ersetzt wird?*) Und der künstlerische „Geist" vielleicht in den wohlfeilen Späßchen, die gelegentlich angeflochten werden?**) *) Vgl. S. 2: in dem großen Gegensatze, welchen uns hinsichtlich ihrer Auffassung der Tonkunst die ältesten Culturvölker Asiens und Europas gewahren lassen — S, 6: daß diese Länder und Völker auch darin eine Gemeinsamkeit gewahren lassen — S. 24: wie sie uns die indische Plastik in ihren aufgequollenen Gestalten gewahren läßt - S. 34: die Wände der Denkmale lassen mehr als eine ans Musik bezügliche Inschrift gewahren. Vgl, S. 10: Das F hieß bei den Chinesen Kaiser, das G Minister, das A unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/395>, abgerufen am 03.07.2024.