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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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sammentreffen, daß Schilling der Schüler Rietschels und Drakes ist, die wir
oben als die Hauptvertreter der Richtung nannten, welche Schilling ein so
großes Stück Weges weiter zum Ziele gefördert hat. Er fühlte sich von vorn¬
herein congenial mit diesen Meistern, oder es wurden durch sie in seinem Innern
schlummernde Kräfte erweckt, die für jene Richtung gleichsam prädestinirt waren.

Auch Fritz Schayer, der Schöpfer des Goethedenkmals in Berlin, dessen
Enthüllung für die erste Juniwoche bevorsteht, gehört diesem Kreise von Bild¬
hauern an, obwohl er niemals zu einem von ihnen in Schulbeziehungen getreten
ist. Geboren am 31. Juli 1841 zu Alsleben im Mansfeldschen kam er mit
seinem sechzehnten Jahre nach Halle zu einem Steinmetz in die Lehre, wo er
drei Jahre blieb. Dann machte er auf der Kunstakademie zu Berlin einen
zweijährigen Cursus durch, nach dessen Beendigung er in das Atelier Albert
Wolffs trat. Die geistigen Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler waren
nicht besonders enge. In der Gewalt des dramatischen Ausdrucks hat Wolfs
gelegentlich wohl seinen Meister Rauch übertroffen, aber den monumentalen
Stil und die Portraitplastik hat er nur innerhalb der von Rauch einmal fest¬
gestellten Grenzen cultivirt, ohne sich von der Tradition zu entfernen. Schayer
hat dagegen schon frühzeitig danach gestrebt, mit dieser Tradition zu brechen
und das monumentale Schema umzugestalten. Andrerseits war es ihm darum
zu thun, in dem Gesichtsausdrucke seiner Figuren alle Stimmungen des Gemüths
mitsprechen zu lassen, vornehmlich aber die lange vernachlässigte Anmuth mit
der überlieferten Würde zu paaren. Schon seine erste selbständige Arbeit, eine
ans zwei sitzenden Figuren bestehende Gruppe, "Bacchus, der die verlassene
Ariadne tröstet" (im Privatbesitz zu Halle) zeigte im Keim dieses Bestreben.
Nur die Ausführung war noch etwas befangen und schüchtern; noch lag zwischen
der Absicht und dem Können ein gewisser Zwiespalt, den die junge Kraft noch
uicht überbrücken konnte. Aber auf dem Ganzen ruhte bereits ein Hauch von
bezaubernder Anmuth, namentlich in der holdseligen Art, wie Ariadne gleichsam
noch unter Thränen zu lächeln beginnt.

Ein Jahr darauf, 1867, erhielt er in der Concurrenz um das Uhland-
denkmal für Tübingen den ersten Preis. Die Ausführung des Denkmals wurde
aber nicht ihm, wie es so oft in diesen unglückseligen Cvncurrenzen zu gehen
Pflegt, sondern dein Bildhauer Kietz in Dresden, einem Schüler Rietschels, über¬
tragen. Schayer unternahm sodann eine Reise nach Paris zur Weltausstellung,
wo das Studium der französischen Plastik nicht ohne Einfluß auf sein Streben
nach feinster Durchbildung der Form war, und ging dann nach München und
Wien. Größere Studienreisen hat er nicht gemacht. Dazu ließen ihm die Auf¬
trüge, die nun schnell nach einander folgten, keine Zeit. Zunächst waren es das
Grabdenkmal für den Commerzienrath Boltze in Salzmünde bei Halle und das


sammentreffen, daß Schilling der Schüler Rietschels und Drakes ist, die wir
oben als die Hauptvertreter der Richtung nannten, welche Schilling ein so
großes Stück Weges weiter zum Ziele gefördert hat. Er fühlte sich von vorn¬
herein congenial mit diesen Meistern, oder es wurden durch sie in seinem Innern
schlummernde Kräfte erweckt, die für jene Richtung gleichsam prädestinirt waren.

Auch Fritz Schayer, der Schöpfer des Goethedenkmals in Berlin, dessen
Enthüllung für die erste Juniwoche bevorsteht, gehört diesem Kreise von Bild¬
hauern an, obwohl er niemals zu einem von ihnen in Schulbeziehungen getreten
ist. Geboren am 31. Juli 1841 zu Alsleben im Mansfeldschen kam er mit
seinem sechzehnten Jahre nach Halle zu einem Steinmetz in die Lehre, wo er
drei Jahre blieb. Dann machte er auf der Kunstakademie zu Berlin einen
zweijährigen Cursus durch, nach dessen Beendigung er in das Atelier Albert
Wolffs trat. Die geistigen Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler waren
nicht besonders enge. In der Gewalt des dramatischen Ausdrucks hat Wolfs
gelegentlich wohl seinen Meister Rauch übertroffen, aber den monumentalen
Stil und die Portraitplastik hat er nur innerhalb der von Rauch einmal fest¬
gestellten Grenzen cultivirt, ohne sich von der Tradition zu entfernen. Schayer
hat dagegen schon frühzeitig danach gestrebt, mit dieser Tradition zu brechen
und das monumentale Schema umzugestalten. Andrerseits war es ihm darum
zu thun, in dem Gesichtsausdrucke seiner Figuren alle Stimmungen des Gemüths
mitsprechen zu lassen, vornehmlich aber die lange vernachlässigte Anmuth mit
der überlieferten Würde zu paaren. Schon seine erste selbständige Arbeit, eine
ans zwei sitzenden Figuren bestehende Gruppe, „Bacchus, der die verlassene
Ariadne tröstet" (im Privatbesitz zu Halle) zeigte im Keim dieses Bestreben.
Nur die Ausführung war noch etwas befangen und schüchtern; noch lag zwischen
der Absicht und dem Können ein gewisser Zwiespalt, den die junge Kraft noch
uicht überbrücken konnte. Aber auf dem Ganzen ruhte bereits ein Hauch von
bezaubernder Anmuth, namentlich in der holdseligen Art, wie Ariadne gleichsam
noch unter Thränen zu lächeln beginnt.

Ein Jahr darauf, 1867, erhielt er in der Concurrenz um das Uhland-
denkmal für Tübingen den ersten Preis. Die Ausführung des Denkmals wurde
aber nicht ihm, wie es so oft in diesen unglückseligen Cvncurrenzen zu gehen
Pflegt, sondern dein Bildhauer Kietz in Dresden, einem Schüler Rietschels, über¬
tragen. Schayer unternahm sodann eine Reise nach Paris zur Weltausstellung,
wo das Studium der französischen Plastik nicht ohne Einfluß auf sein Streben
nach feinster Durchbildung der Form war, und ging dann nach München und
Wien. Größere Studienreisen hat er nicht gemacht. Dazu ließen ihm die Auf¬
trüge, die nun schnell nach einander folgten, keine Zeit. Zunächst waren es das
Grabdenkmal für den Commerzienrath Boltze in Salzmünde bei Halle und das


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[0379] sammentreffen, daß Schilling der Schüler Rietschels und Drakes ist, die wir oben als die Hauptvertreter der Richtung nannten, welche Schilling ein so großes Stück Weges weiter zum Ziele gefördert hat. Er fühlte sich von vorn¬ herein congenial mit diesen Meistern, oder es wurden durch sie in seinem Innern schlummernde Kräfte erweckt, die für jene Richtung gleichsam prädestinirt waren. Auch Fritz Schayer, der Schöpfer des Goethedenkmals in Berlin, dessen Enthüllung für die erste Juniwoche bevorsteht, gehört diesem Kreise von Bild¬ hauern an, obwohl er niemals zu einem von ihnen in Schulbeziehungen getreten ist. Geboren am 31. Juli 1841 zu Alsleben im Mansfeldschen kam er mit seinem sechzehnten Jahre nach Halle zu einem Steinmetz in die Lehre, wo er drei Jahre blieb. Dann machte er auf der Kunstakademie zu Berlin einen zweijährigen Cursus durch, nach dessen Beendigung er in das Atelier Albert Wolffs trat. Die geistigen Beziehungen zwischen Lehrer und Schüler waren nicht besonders enge. In der Gewalt des dramatischen Ausdrucks hat Wolfs gelegentlich wohl seinen Meister Rauch übertroffen, aber den monumentalen Stil und die Portraitplastik hat er nur innerhalb der von Rauch einmal fest¬ gestellten Grenzen cultivirt, ohne sich von der Tradition zu entfernen. Schayer hat dagegen schon frühzeitig danach gestrebt, mit dieser Tradition zu brechen und das monumentale Schema umzugestalten. Andrerseits war es ihm darum zu thun, in dem Gesichtsausdrucke seiner Figuren alle Stimmungen des Gemüths mitsprechen zu lassen, vornehmlich aber die lange vernachlässigte Anmuth mit der überlieferten Würde zu paaren. Schon seine erste selbständige Arbeit, eine ans zwei sitzenden Figuren bestehende Gruppe, „Bacchus, der die verlassene Ariadne tröstet" (im Privatbesitz zu Halle) zeigte im Keim dieses Bestreben. Nur die Ausführung war noch etwas befangen und schüchtern; noch lag zwischen der Absicht und dem Können ein gewisser Zwiespalt, den die junge Kraft noch uicht überbrücken konnte. Aber auf dem Ganzen ruhte bereits ein Hauch von bezaubernder Anmuth, namentlich in der holdseligen Art, wie Ariadne gleichsam noch unter Thränen zu lächeln beginnt. Ein Jahr darauf, 1867, erhielt er in der Concurrenz um das Uhland- denkmal für Tübingen den ersten Preis. Die Ausführung des Denkmals wurde aber nicht ihm, wie es so oft in diesen unglückseligen Cvncurrenzen zu gehen Pflegt, sondern dein Bildhauer Kietz in Dresden, einem Schüler Rietschels, über¬ tragen. Schayer unternahm sodann eine Reise nach Paris zur Weltausstellung, wo das Studium der französischen Plastik nicht ohne Einfluß auf sein Streben nach feinster Durchbildung der Form war, und ging dann nach München und Wien. Größere Studienreisen hat er nicht gemacht. Dazu ließen ihm die Auf¬ trüge, die nun schnell nach einander folgten, keine Zeit. Zunächst waren es das Grabdenkmal für den Commerzienrath Boltze in Salzmünde bei Halle und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/379>, abgerufen am 03.07.2024.