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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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die in der Mitte und im Norden Albaniens wohnen. Zwischen diesen Stäm¬
men, die ihrerseits wieder in eine Menge von Claus zerfallen, und deren Dialecte
sich etwa wie Hoch- und Plattdeutsch unterscheiden, herrscht von alten Zeiten
her eine große Abneigung, die sie indeß nicht hinderte, gegen äußere Feinde ge¬
meinsam Front zu machen. Die, Albanesen sind fast ausschließlich Hirten und Acker¬
bauer, daneben aber tüchtige Soldaten, wozu ihnen die unaufhörlichen Fehden,
die zwischen den einzelnen Familien, Stämmen und Ortschaften herrschen, eine
gute Schule sind. Sie haben ihre Nationalität durch alle Stürme der Zeit
mit Zähigkeit bewahrt, aber nicht in derselben Allgemeinheit ihre ursprüngliche
Religion. Nachdem sie von den Türken bis zu einem gewissen Grade unter¬
worfen worden, vertauschten viele von ihnen das Christenthum mit dem Islam.
Dies geschah namentlich von Seiten der Tosken, so daß der Süden, so weit
er arnautisch, fast vollständig muhammedanisch ist, während die Gegen in der
Mitte des Landes vorwiegend den römisch-katholischen Glauben bewahrt haben
und ihre Stammgenossen im Norden der griechisch-orthodoxen Kirche angehören.
Aber diese Spaltung in religiöser Beziehung hat das starke Nationalgefühl des
Volkes nicht zu schwächen vermocht. Allerdings wandert jedes Jahr ein Theil
des letzteren, um Kriegsdienste zu nehmen, in die Fremde, aber er bringt von
dem, was er dort sieht oder hört, nichts in die Heimat zurück. Trotz des krie¬
gerischen Wanderlebens, welches diese Söldnerschaaren führen, halten sie mit
Starrheit an den Anschauungen und Bräuchen fest, in deren Mitte sie aufge¬
wachsen sind. Der Albcmese scheint die Fremde nur kennen zu lernen, um seine
heimatlichen Thäler und Berge, dieses abgeschlossene Stück Erde, das außer
Berührung mit dem Weltverkehr steht, noch schöner zu finden und noch mehr
zu lieben als vorher. Andere Sitten gewinnen keine Macht über ihn, und so
ist Albanien der Theil der Türkei, der noch die meisten Elemente mittelalter¬
licher Barbarei enthält, und der sich in keiner öffentlichen Beziehung, über die
Ideen des Stammverbandes, des Faustrechts und der Blutrache erhoben hat.
Die Gedankenwelt des Volkes bewegt sich in der beschränkten Sphäre häuslichen
Daseins, die ganze Kraft seiner Liebe concentrirt sich auf die Familie, auf den
Stamm, dessen Unauflösbarkeit mit dem toskischen Sprichworte charakterisirt
wird: "Blut wird nicht zu Wasser". Die Beharrlichkeit, mit welcher der Alba-
nese mitten im Frieden kriegerischen Neigungen folgt, hat bisher jede sociale
Entwicklung vereitelt. War kein auswärtiger Feind zu bekämpfen, so befehdeten
sich die zahlreichen "Psare" oder Clarc, in welche die Hauptstämme des Volkes
zerfallen, unter einander. "Choum Phis?" Welcher Feuerstelle gehörst du an?
ist die gewöhnliche Frage, wenn zwei Albanesen verschiedener Stämme sich in
den Bergen begegnen, und dabei hält der Fragende den Finger am Hahne seiner
Flinte. Denn leicht wäre es ja möglich, daß "Tscheta", Fehde, zwischen ihren


die in der Mitte und im Norden Albaniens wohnen. Zwischen diesen Stäm¬
men, die ihrerseits wieder in eine Menge von Claus zerfallen, und deren Dialecte
sich etwa wie Hoch- und Plattdeutsch unterscheiden, herrscht von alten Zeiten
her eine große Abneigung, die sie indeß nicht hinderte, gegen äußere Feinde ge¬
meinsam Front zu machen. Die, Albanesen sind fast ausschließlich Hirten und Acker¬
bauer, daneben aber tüchtige Soldaten, wozu ihnen die unaufhörlichen Fehden,
die zwischen den einzelnen Familien, Stämmen und Ortschaften herrschen, eine
gute Schule sind. Sie haben ihre Nationalität durch alle Stürme der Zeit
mit Zähigkeit bewahrt, aber nicht in derselben Allgemeinheit ihre ursprüngliche
Religion. Nachdem sie von den Türken bis zu einem gewissen Grade unter¬
worfen worden, vertauschten viele von ihnen das Christenthum mit dem Islam.
Dies geschah namentlich von Seiten der Tosken, so daß der Süden, so weit
er arnautisch, fast vollständig muhammedanisch ist, während die Gegen in der
Mitte des Landes vorwiegend den römisch-katholischen Glauben bewahrt haben
und ihre Stammgenossen im Norden der griechisch-orthodoxen Kirche angehören.
Aber diese Spaltung in religiöser Beziehung hat das starke Nationalgefühl des
Volkes nicht zu schwächen vermocht. Allerdings wandert jedes Jahr ein Theil
des letzteren, um Kriegsdienste zu nehmen, in die Fremde, aber er bringt von
dem, was er dort sieht oder hört, nichts in die Heimat zurück. Trotz des krie¬
gerischen Wanderlebens, welches diese Söldnerschaaren führen, halten sie mit
Starrheit an den Anschauungen und Bräuchen fest, in deren Mitte sie aufge¬
wachsen sind. Der Albcmese scheint die Fremde nur kennen zu lernen, um seine
heimatlichen Thäler und Berge, dieses abgeschlossene Stück Erde, das außer
Berührung mit dem Weltverkehr steht, noch schöner zu finden und noch mehr
zu lieben als vorher. Andere Sitten gewinnen keine Macht über ihn, und so
ist Albanien der Theil der Türkei, der noch die meisten Elemente mittelalter¬
licher Barbarei enthält, und der sich in keiner öffentlichen Beziehung, über die
Ideen des Stammverbandes, des Faustrechts und der Blutrache erhoben hat.
Die Gedankenwelt des Volkes bewegt sich in der beschränkten Sphäre häuslichen
Daseins, die ganze Kraft seiner Liebe concentrirt sich auf die Familie, auf den
Stamm, dessen Unauflösbarkeit mit dem toskischen Sprichworte charakterisirt
wird: „Blut wird nicht zu Wasser". Die Beharrlichkeit, mit welcher der Alba-
nese mitten im Frieden kriegerischen Neigungen folgt, hat bisher jede sociale
Entwicklung vereitelt. War kein auswärtiger Feind zu bekämpfen, so befehdeten
sich die zahlreichen „Psare" oder Clarc, in welche die Hauptstämme des Volkes
zerfallen, unter einander. „Choum Phis?" Welcher Feuerstelle gehörst du an?
ist die gewöhnliche Frage, wenn zwei Albanesen verschiedener Stämme sich in
den Bergen begegnen, und dabei hält der Fragende den Finger am Hahne seiner
Flinte. Denn leicht wäre es ja möglich, daß „Tscheta", Fehde, zwischen ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/358>, abgerufen am 01.10.2024.