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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Lehrers bestritten wird, gründet sich zwar, so viel wir wissen, nicht auf gesetz¬
liche Bestimmungen, aber auf einen humanen Usus. Jeder Lehrer weiß, wie
ermüdend und abstumpfend alles Conferenzensitzen ist; keiner würde, wenn er
die Wahl hätte zwischen drei anstrengenden Lectionen und drei Conferenzstunden,
die letzteren vorziehen. Es ist billig, daß diese Sitzungen nicht zu den regel¬
mäßigen Lehrstunden hinzuaddirt werden. Daß an großen Lehranstalten mit
fünf bis sechs Hundert Schülern sich zu Ostern vier solche Conferenzen nöthig
machen, wo ein normales Gymnasium mit 250-- 300 Schülern mit zweien
auskommt, ist bedauerlich, aber uicht zu ändern. Es ist auch das wieder einer
von den Nachtheilen, die bedacht werden müßten, ehe man die erste Parallel¬
klasse an einem Gymnasium errichtet und damit den Grund zu einem monströsen
Doppelgymnasium legt.

Aber eine Schaustellung wie der Valedietionsactns dürste vielleicht ent¬
behrlich scheinen? Wenn das Anfertigen, Corrigiren und Memoriren der
Valedictionsvorträge wegfiele, könnte nicht das ganze Maturitätsexamen wesent¬
lich später angesetzt werden und die Abschiedsfeier sich möglichst bald an die
mündlichen Prüfungen anschließen? -- So weit der "Actus" auf eine Schau¬
stellung hinausläuft, sind wir allerdings dieser Ansicht. Wir können es zwar
nicht billigen, wenn, wie es hie und da geschieht, die Abiturienten gleichsam
bei verschlossenen Thüren ohne Sang und Klang von der Schule verabschiedet
werdeu; das einzig Würdige ist es gewiß, daß sie in öffentlicher Feier, in
Gegenwart ihrer Eltern und Angehörigen, der Schule, der sie ihre Ausbildung
verdanken, Valet sagen. Aber wozu vorher das Declamiren auswendig gelernter
Anssütze und Gedichte in deutscher, französischer, lateinischer, griechischer, ja selbst
hebräischer Sprache? Schlagen wir ein altes Schulprogramm aus dem Ende
des 16. oder dem Anfange des 17. Jahrhunderts, aus der Blüthezeit der
.Schulooirwöäia" auf und lesen da, wie "die gesamten Hochansehnlichen und
Hochzuehrenden Herren InsxsetorsZ und ?atrvlli, wie auch alle andere Lieb¬
haber derer gelehrten Studien, sämmtliche Gönner, Förderer und Wohlthäter
allhiesigen Lycei zu dem auf nechstkttnsftigen ... zu haltenden -^col oratorio,
der in dem Saale des Ober - ^.uäitorii der Schulen mit 12 Rednern gehalten
werdeu foll, auf das feyerlichste hiemit und gantz ergebenst eingeladen werden",
so haben wir ohne weiteres den anheimelnden Eindruck einer stilvollen Ein-
richtung; wir fühlen: diese Sache gehörte in diese Zeit, denn sie war selbst
nichts andres als eine Art Schulcomödie. Wer heute dagegen in einem Vale¬
dietionsactns sitzt, der erhält, wenn er anders historisches Stilgefühl hat, den
Eindruck eines starken Anachronismus; konnte er vom modernen Costüm
abstrahiren, er würde sich mit einen Schlage in die Perrückenzeit zurückversetzt
fühlen. Die fremdsprachigen Abschiedsreden sind -- wie die ganzen Schul-


Lehrers bestritten wird, gründet sich zwar, so viel wir wissen, nicht auf gesetz¬
liche Bestimmungen, aber auf einen humanen Usus. Jeder Lehrer weiß, wie
ermüdend und abstumpfend alles Conferenzensitzen ist; keiner würde, wenn er
die Wahl hätte zwischen drei anstrengenden Lectionen und drei Conferenzstunden,
die letzteren vorziehen. Es ist billig, daß diese Sitzungen nicht zu den regel¬
mäßigen Lehrstunden hinzuaddirt werden. Daß an großen Lehranstalten mit
fünf bis sechs Hundert Schülern sich zu Ostern vier solche Conferenzen nöthig
machen, wo ein normales Gymnasium mit 250— 300 Schülern mit zweien
auskommt, ist bedauerlich, aber uicht zu ändern. Es ist auch das wieder einer
von den Nachtheilen, die bedacht werden müßten, ehe man die erste Parallel¬
klasse an einem Gymnasium errichtet und damit den Grund zu einem monströsen
Doppelgymnasium legt.

Aber eine Schaustellung wie der Valedietionsactns dürste vielleicht ent¬
behrlich scheinen? Wenn das Anfertigen, Corrigiren und Memoriren der
Valedictionsvorträge wegfiele, könnte nicht das ganze Maturitätsexamen wesent¬
lich später angesetzt werden und die Abschiedsfeier sich möglichst bald an die
mündlichen Prüfungen anschließen? — So weit der „Actus" auf eine Schau¬
stellung hinausläuft, sind wir allerdings dieser Ansicht. Wir können es zwar
nicht billigen, wenn, wie es hie und da geschieht, die Abiturienten gleichsam
bei verschlossenen Thüren ohne Sang und Klang von der Schule verabschiedet
werdeu; das einzig Würdige ist es gewiß, daß sie in öffentlicher Feier, in
Gegenwart ihrer Eltern und Angehörigen, der Schule, der sie ihre Ausbildung
verdanken, Valet sagen. Aber wozu vorher das Declamiren auswendig gelernter
Anssütze und Gedichte in deutscher, französischer, lateinischer, griechischer, ja selbst
hebräischer Sprache? Schlagen wir ein altes Schulprogramm aus dem Ende
des 16. oder dem Anfange des 17. Jahrhunderts, aus der Blüthezeit der
.Schulooirwöäia" auf und lesen da, wie „die gesamten Hochansehnlichen und
Hochzuehrenden Herren InsxsetorsZ und ?atrvlli, wie auch alle andere Lieb¬
haber derer gelehrten Studien, sämmtliche Gönner, Förderer und Wohlthäter
allhiesigen Lycei zu dem auf nechstkttnsftigen ... zu haltenden -^col oratorio,
der in dem Saale des Ober - ^.uäitorii der Schulen mit 12 Rednern gehalten
werdeu foll, auf das feyerlichste hiemit und gantz ergebenst eingeladen werden",
so haben wir ohne weiteres den anheimelnden Eindruck einer stilvollen Ein-
richtung; wir fühlen: diese Sache gehörte in diese Zeit, denn sie war selbst
nichts andres als eine Art Schulcomödie. Wer heute dagegen in einem Vale¬
dietionsactns sitzt, der erhält, wenn er anders historisches Stilgefühl hat, den
Eindruck eines starken Anachronismus; konnte er vom modernen Costüm
abstrahiren, er würde sich mit einen Schlage in die Perrückenzeit zurückversetzt
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[0035] Lehrers bestritten wird, gründet sich zwar, so viel wir wissen, nicht auf gesetz¬ liche Bestimmungen, aber auf einen humanen Usus. Jeder Lehrer weiß, wie ermüdend und abstumpfend alles Conferenzensitzen ist; keiner würde, wenn er die Wahl hätte zwischen drei anstrengenden Lectionen und drei Conferenzstunden, die letzteren vorziehen. Es ist billig, daß diese Sitzungen nicht zu den regel¬ mäßigen Lehrstunden hinzuaddirt werden. Daß an großen Lehranstalten mit fünf bis sechs Hundert Schülern sich zu Ostern vier solche Conferenzen nöthig machen, wo ein normales Gymnasium mit 250— 300 Schülern mit zweien auskommt, ist bedauerlich, aber uicht zu ändern. Es ist auch das wieder einer von den Nachtheilen, die bedacht werden müßten, ehe man die erste Parallel¬ klasse an einem Gymnasium errichtet und damit den Grund zu einem monströsen Doppelgymnasium legt. Aber eine Schaustellung wie der Valedietionsactns dürste vielleicht ent¬ behrlich scheinen? Wenn das Anfertigen, Corrigiren und Memoriren der Valedictionsvorträge wegfiele, könnte nicht das ganze Maturitätsexamen wesent¬ lich später angesetzt werden und die Abschiedsfeier sich möglichst bald an die mündlichen Prüfungen anschließen? — So weit der „Actus" auf eine Schau¬ stellung hinausläuft, sind wir allerdings dieser Ansicht. Wir können es zwar nicht billigen, wenn, wie es hie und da geschieht, die Abiturienten gleichsam bei verschlossenen Thüren ohne Sang und Klang von der Schule verabschiedet werdeu; das einzig Würdige ist es gewiß, daß sie in öffentlicher Feier, in Gegenwart ihrer Eltern und Angehörigen, der Schule, der sie ihre Ausbildung verdanken, Valet sagen. Aber wozu vorher das Declamiren auswendig gelernter Anssütze und Gedichte in deutscher, französischer, lateinischer, griechischer, ja selbst hebräischer Sprache? Schlagen wir ein altes Schulprogramm aus dem Ende des 16. oder dem Anfange des 17. Jahrhunderts, aus der Blüthezeit der .Schulooirwöäia" auf und lesen da, wie „die gesamten Hochansehnlichen und Hochzuehrenden Herren InsxsetorsZ und ?atrvlli, wie auch alle andere Lieb¬ haber derer gelehrten Studien, sämmtliche Gönner, Förderer und Wohlthäter allhiesigen Lycei zu dem auf nechstkttnsftigen ... zu haltenden -^col oratorio, der in dem Saale des Ober - ^.uäitorii der Schulen mit 12 Rednern gehalten werdeu foll, auf das feyerlichste hiemit und gantz ergebenst eingeladen werden", so haben wir ohne weiteres den anheimelnden Eindruck einer stilvollen Ein- richtung; wir fühlen: diese Sache gehörte in diese Zeit, denn sie war selbst nichts andres als eine Art Schulcomödie. Wer heute dagegen in einem Vale¬ dietionsactns sitzt, der erhält, wenn er anders historisches Stilgefühl hat, den Eindruck eines starken Anachronismus; konnte er vom modernen Costüm abstrahiren, er würde sich mit einen Schlage in die Perrückenzeit zurückversetzt fühlen. Die fremdsprachigen Abschiedsreden sind — wie die ganzen Schul-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/35>, abgerufen am 22.07.2024.