Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.Es ist eine Welt, welche, nur nach ihren charakteristischen Aeußerlichkeiten Es war die Zeit, in welcher durch die unseligsten und schimpflichsten Vor¬ Theodor Storms erzählende Dichtungen, nach denen das Publikum der Es ist eine Welt, welche, nur nach ihren charakteristischen Aeußerlichkeiten Es war die Zeit, in welcher durch die unseligsten und schimpflichsten Vor¬ Theodor Storms erzählende Dichtungen, nach denen das Publikum der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146825"/> <p xml:id="ID_946"> Es ist eine Welt, welche, nur nach ihren charakteristischen Aeußerlichkeiten<lb/> beurtheilt, zum erstenmal in der deutschen Poesie auftauchte und was den land¬<lb/> schaftlichen Hintergrund, den Einfluß der Landschaft auf Sitte, Denkweise<lb/> und Stimmung der Menschen anlangt, beinahe gleichzeitig in Klaus Groths<lb/> Ouickborngedichten und Theodor Storms Erzählungen und kleinen Lebensbildern<lb/> die Aufmerksamkeit und Theilnahme des deutschen Volkes auf sich zog.</p><lb/> <p xml:id="ID_947"> Es war die Zeit, in welcher durch die unseligsten und schimpflichsten Vor¬<lb/> gänge in "der deutschen Geschichte der fünfziger Jahre die nordalbingischen Lande<lb/> Deutschland für immer verloren zu gehen schienen, die Zeit, in welcher ein so<lb/> tief mit Aer Heimat verwachsener Dichter wie Theodor Storm Schleswig und<lb/> der „grauen Stadt am Meer" (Husum) wehmüthig entschlossen den Rücken<lb/> kehren mußte, um seinen innersten Idealen treu bleiben zu können. Eben in<lb/> dieser Zeit gelang es zwei Schleswig-holsteinischen Dichtern Leben und Eigenart<lb/> ihres Landes und Stammes dem deutschen Volke näher zu bringen. Wo der<lb/> Name Theodor Storms genannt wird, taucht zu seinen Gestalten auch der eigen¬<lb/> thümliche Hintergrund empor, von dem sich diese Gestalten fast ausnahmslos<lb/> abheben. Das Marschland mit seinem Erntesegen, die waldigen Buchten an der<lb/> Ostsee, die begrasten Deiche und die Watten am grauen Strand der Westsee, vor<lb/> dem im Nebel die Halliginseln liegen, die Haide im Sonnenschein mit ihren rothen<lb/> Blüthen und surrenden Bienen, die einsamen Bauernhöfe weit im Lande, die<lb/> stillen Städte und Städtchen am Meer, ihre Patricierhäuser, ihre kleinen Gärten<lb/> mit alten Obstbäumen, die wunderlich verborgenen Plätzchen, die sich die Jugend<lb/> zum Spiel erkiest, Alles steht uns vor Augen und bildet die natürliche Bühne<lb/> für die Menschenschicksale und die Charaktere, welche Theodor Storm darzu¬<lb/> stellen hat. In einigen wenigen Erzählungen wechselt er die Scene, und wir<lb/> haben den Hintergrund des Eichsfeldes, einer Landschaft, in der der Dichter<lb/> einige Zeit gelebt hat, die ihm aber nicht ans Herz gewachsen ist, wie die<lb/> fchleswigfche Heimat. Nur wo die Abendsonne die Haide vergoldet, nur wo<lb/> der Meerhauch in die Gassen der Stadt und bis in die Häuser hereinweht,<lb/> gelingen ihm die Menschengestalten ganz, die äußerlich so gehalten und gemessen<lb/> erscheinen und innerlich ein so warmes Leben, so viel Blut und Gluth haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_948" next="#ID_949"> Theodor Storms erzählende Dichtungen, nach denen das Publikum der<lb/> Gegenwart zumeist zu fragen Pflegt, ruhen auf dem Untergrunde einer tiefen<lb/> und echten Lyrik. Jene Kritik, die aus einzelnen Ausnahmen Regeln und Sätze<lb/> zu münzen pflegt, möchte uns überreden, weil thatsächlich bei einigen hervor¬<lb/> ragenden Dichtern das lyrische Talent nicht zur besonderen, künstlerisch durch¬<lb/> bildeten Aussprache gelangt ist, sei es überhaupt das Kennzeichen des gestaltenden<lb/> und eigentlich schaffenden Dichters, der Lyrik zu entbehren, oder, wie eine andere<lb/> Lesart lautet, sich ihres jugendlichen Stammelns männlich zu enthalten. Uns</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
Es ist eine Welt, welche, nur nach ihren charakteristischen Aeußerlichkeiten
beurtheilt, zum erstenmal in der deutschen Poesie auftauchte und was den land¬
schaftlichen Hintergrund, den Einfluß der Landschaft auf Sitte, Denkweise
und Stimmung der Menschen anlangt, beinahe gleichzeitig in Klaus Groths
Ouickborngedichten und Theodor Storms Erzählungen und kleinen Lebensbildern
die Aufmerksamkeit und Theilnahme des deutschen Volkes auf sich zog.
Es war die Zeit, in welcher durch die unseligsten und schimpflichsten Vor¬
gänge in "der deutschen Geschichte der fünfziger Jahre die nordalbingischen Lande
Deutschland für immer verloren zu gehen schienen, die Zeit, in welcher ein so
tief mit Aer Heimat verwachsener Dichter wie Theodor Storm Schleswig und
der „grauen Stadt am Meer" (Husum) wehmüthig entschlossen den Rücken
kehren mußte, um seinen innersten Idealen treu bleiben zu können. Eben in
dieser Zeit gelang es zwei Schleswig-holsteinischen Dichtern Leben und Eigenart
ihres Landes und Stammes dem deutschen Volke näher zu bringen. Wo der
Name Theodor Storms genannt wird, taucht zu seinen Gestalten auch der eigen¬
thümliche Hintergrund empor, von dem sich diese Gestalten fast ausnahmslos
abheben. Das Marschland mit seinem Erntesegen, die waldigen Buchten an der
Ostsee, die begrasten Deiche und die Watten am grauen Strand der Westsee, vor
dem im Nebel die Halliginseln liegen, die Haide im Sonnenschein mit ihren rothen
Blüthen und surrenden Bienen, die einsamen Bauernhöfe weit im Lande, die
stillen Städte und Städtchen am Meer, ihre Patricierhäuser, ihre kleinen Gärten
mit alten Obstbäumen, die wunderlich verborgenen Plätzchen, die sich die Jugend
zum Spiel erkiest, Alles steht uns vor Augen und bildet die natürliche Bühne
für die Menschenschicksale und die Charaktere, welche Theodor Storm darzu¬
stellen hat. In einigen wenigen Erzählungen wechselt er die Scene, und wir
haben den Hintergrund des Eichsfeldes, einer Landschaft, in der der Dichter
einige Zeit gelebt hat, die ihm aber nicht ans Herz gewachsen ist, wie die
fchleswigfche Heimat. Nur wo die Abendsonne die Haide vergoldet, nur wo
der Meerhauch in die Gassen der Stadt und bis in die Häuser hereinweht,
gelingen ihm die Menschengestalten ganz, die äußerlich so gehalten und gemessen
erscheinen und innerlich ein so warmes Leben, so viel Blut und Gluth haben.
Theodor Storms erzählende Dichtungen, nach denen das Publikum der
Gegenwart zumeist zu fragen Pflegt, ruhen auf dem Untergrunde einer tiefen
und echten Lyrik. Jene Kritik, die aus einzelnen Ausnahmen Regeln und Sätze
zu münzen pflegt, möchte uns überreden, weil thatsächlich bei einigen hervor¬
ragenden Dichtern das lyrische Talent nicht zur besonderen, künstlerisch durch¬
bildeten Aussprache gelangt ist, sei es überhaupt das Kennzeichen des gestaltenden
und eigentlich schaffenden Dichters, der Lyrik zu entbehren, oder, wie eine andere
Lesart lautet, sich ihres jugendlichen Stammelns männlich zu enthalten. Uns
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