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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Theodor Htorm.
v Adolf Stern. on

Wer in reicher ausgestatteten Bildersälen größere Gruppen von Gemälden
Jacob Ruysdaels beisammen gesehen, der hat auch sicher den Zauber gewisser
Schöpfungen empfunden, welche räumlich zu den kleinsten, stofflich zu den ein¬
fachsten, in der Ausführung hingegen zu deu vollendetsten und uns im Tiefsten
ergreifenden Bildern des holländischen Landschaftsdichters gehören- Sie sind
schwer zu charakterisiren und nicht leicht von einander zu unterscheiden, sie stellen
meist nur ein Stück Feld oder Wiese, ein stilles Wasser zwischen wenigen
Bäumen, ein einsames Haus, ein altes Gemäuer hinter Buschwerk, einen
Weg längs einer hügelähnlichen Bodenanschwellung dar. In ihrem Licht, im
Zug und Spiel der Wolken über diesen stillen Auen und Wassern, in einem
unsagbaren Duft und Hauch, der in solcher Stärke und Eigenart oft den
größeren Bildern Ruysdaels nicht eigen ist, liegt die Wirkung. Vermeintlich
tausendmal gesehenen Dingen gewinnt der Maler einen poetischen Reiz ab, der
uns gewiß macht, daß wir die Dinge eben doch nicht gesehen haben. Und in
all dieser Poesie fehlt ein Moment schlichtester Wahrhaftigkeit und eindringlicher
Wirklichkeit nicht. Die Bilder stellen Einzelheiten einer Landschaft dar, von
denen man meinen sollte, daß sie nicht in der Seele haften könnten -- und
siehe, sie kehren unablässig wieder und treten in unsere wachen Träume.

Ein Dichter, der ähnliche Wirkungen hervorbrächte, der uns aus der Eigen¬
art eines von der Poesie wenig beachteten, als hart, herb und nüchtern verrufenen
Lebens eine Fülle niegeahnter Schönheiten erschlösse, müßte er nicht unwillkürlich
an den Meister von Harlem und seine tiefsten Wirkungen gemahnen? Freilich
liegen die Tage weit hinter uns, in denen unsere literaturbeflissenen Altvordern
in den "Discursen der Maler" Aufschluß für Grundfragen der Poesie suchten-
Die Vergleichung der Erscheinungen der einen Kunst mit Erscheinungen der anderen
sind mit Recht in einen gewissen Verruf gekommen. Zudem pflegen alle diese
Vergleiche entschieden zu hinken: Wer im Begriff steht bei Theodor Storms
wunderbar schlichten und doch innerlich reichen Lebensbildern an Ruysdael zu
mahnen, der muß sich im gleichen Augenblicke erinnern, daß der neue deutsche
Dichter seine kleine Welt zumeist "im Sonnenschein" darzustellen liebt, und der
alte holländische Meister ein melancholisches Düster, schwer herabhängende Wolken
vorzog. Und doch kehrt der hinkende Vergleich wieder und wieder. So oft der
innerlich theilnehmende Leser sich die besten Erzählungen Storms wieder aus-


Theodor Htorm.
v Adolf Stern. on

Wer in reicher ausgestatteten Bildersälen größere Gruppen von Gemälden
Jacob Ruysdaels beisammen gesehen, der hat auch sicher den Zauber gewisser
Schöpfungen empfunden, welche räumlich zu den kleinsten, stofflich zu den ein¬
fachsten, in der Ausführung hingegen zu deu vollendetsten und uns im Tiefsten
ergreifenden Bildern des holländischen Landschaftsdichters gehören- Sie sind
schwer zu charakterisiren und nicht leicht von einander zu unterscheiden, sie stellen
meist nur ein Stück Feld oder Wiese, ein stilles Wasser zwischen wenigen
Bäumen, ein einsames Haus, ein altes Gemäuer hinter Buschwerk, einen
Weg längs einer hügelähnlichen Bodenanschwellung dar. In ihrem Licht, im
Zug und Spiel der Wolken über diesen stillen Auen und Wassern, in einem
unsagbaren Duft und Hauch, der in solcher Stärke und Eigenart oft den
größeren Bildern Ruysdaels nicht eigen ist, liegt die Wirkung. Vermeintlich
tausendmal gesehenen Dingen gewinnt der Maler einen poetischen Reiz ab, der
uns gewiß macht, daß wir die Dinge eben doch nicht gesehen haben. Und in
all dieser Poesie fehlt ein Moment schlichtester Wahrhaftigkeit und eindringlicher
Wirklichkeit nicht. Die Bilder stellen Einzelheiten einer Landschaft dar, von
denen man meinen sollte, daß sie nicht in der Seele haften könnten — und
siehe, sie kehren unablässig wieder und treten in unsere wachen Träume.

Ein Dichter, der ähnliche Wirkungen hervorbrächte, der uns aus der Eigen¬
art eines von der Poesie wenig beachteten, als hart, herb und nüchtern verrufenen
Lebens eine Fülle niegeahnter Schönheiten erschlösse, müßte er nicht unwillkürlich
an den Meister von Harlem und seine tiefsten Wirkungen gemahnen? Freilich
liegen die Tage weit hinter uns, in denen unsere literaturbeflissenen Altvordern
in den „Discursen der Maler" Aufschluß für Grundfragen der Poesie suchten-
Die Vergleichung der Erscheinungen der einen Kunst mit Erscheinungen der anderen
sind mit Recht in einen gewissen Verruf gekommen. Zudem pflegen alle diese
Vergleiche entschieden zu hinken: Wer im Begriff steht bei Theodor Storms
wunderbar schlichten und doch innerlich reichen Lebensbildern an Ruysdael zu
mahnen, der muß sich im gleichen Augenblicke erinnern, daß der neue deutsche
Dichter seine kleine Welt zumeist „im Sonnenschein" darzustellen liebt, und der
alte holländische Meister ein melancholisches Düster, schwer herabhängende Wolken
vorzog. Und doch kehrt der hinkende Vergleich wieder und wieder. So oft der
innerlich theilnehmende Leser sich die besten Erzählungen Storms wieder aus-


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[0318] Theodor Htorm. v Adolf Stern. on Wer in reicher ausgestatteten Bildersälen größere Gruppen von Gemälden Jacob Ruysdaels beisammen gesehen, der hat auch sicher den Zauber gewisser Schöpfungen empfunden, welche räumlich zu den kleinsten, stofflich zu den ein¬ fachsten, in der Ausführung hingegen zu deu vollendetsten und uns im Tiefsten ergreifenden Bildern des holländischen Landschaftsdichters gehören- Sie sind schwer zu charakterisiren und nicht leicht von einander zu unterscheiden, sie stellen meist nur ein Stück Feld oder Wiese, ein stilles Wasser zwischen wenigen Bäumen, ein einsames Haus, ein altes Gemäuer hinter Buschwerk, einen Weg längs einer hügelähnlichen Bodenanschwellung dar. In ihrem Licht, im Zug und Spiel der Wolken über diesen stillen Auen und Wassern, in einem unsagbaren Duft und Hauch, der in solcher Stärke und Eigenart oft den größeren Bildern Ruysdaels nicht eigen ist, liegt die Wirkung. Vermeintlich tausendmal gesehenen Dingen gewinnt der Maler einen poetischen Reiz ab, der uns gewiß macht, daß wir die Dinge eben doch nicht gesehen haben. Und in all dieser Poesie fehlt ein Moment schlichtester Wahrhaftigkeit und eindringlicher Wirklichkeit nicht. Die Bilder stellen Einzelheiten einer Landschaft dar, von denen man meinen sollte, daß sie nicht in der Seele haften könnten — und siehe, sie kehren unablässig wieder und treten in unsere wachen Träume. Ein Dichter, der ähnliche Wirkungen hervorbrächte, der uns aus der Eigen¬ art eines von der Poesie wenig beachteten, als hart, herb und nüchtern verrufenen Lebens eine Fülle niegeahnter Schönheiten erschlösse, müßte er nicht unwillkürlich an den Meister von Harlem und seine tiefsten Wirkungen gemahnen? Freilich liegen die Tage weit hinter uns, in denen unsere literaturbeflissenen Altvordern in den „Discursen der Maler" Aufschluß für Grundfragen der Poesie suchten- Die Vergleichung der Erscheinungen der einen Kunst mit Erscheinungen der anderen sind mit Recht in einen gewissen Verruf gekommen. Zudem pflegen alle diese Vergleiche entschieden zu hinken: Wer im Begriff steht bei Theodor Storms wunderbar schlichten und doch innerlich reichen Lebensbildern an Ruysdael zu mahnen, der muß sich im gleichen Augenblicke erinnern, daß der neue deutsche Dichter seine kleine Welt zumeist „im Sonnenschein" darzustellen liebt, und der alte holländische Meister ein melancholisches Düster, schwer herabhängende Wolken vorzog. Und doch kehrt der hinkende Vergleich wieder und wieder. So oft der innerlich theilnehmende Leser sich die besten Erzählungen Storms wieder aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/318>, abgerufen am 03.07.2024.