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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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auch praktisch im Verkehr gebrauchen könne, daß er mit der kleinen Habe an
Sprachkenntniß etwa als Dolmetscher oder Berichterstatter, oder um sich in die
Feder diktiren zu lassen, gebraucht werden könne. Soll es noch einen sonstigen
Werth haben, so könnte es nur der sein, daß es die "allgemeine Bildung"
aufzeigt, die den Besitzer derselben von intellectueller Seite her würdig erscheinen
läßt, in gute Gesellschaft einzutreten. Was aber diesen letzteren Umstand anlangt,
so ist nicht abzusehen, wozu der Paß für die gute Gesellschaft zweier fremder
Sprachen bedarf, da bekanntlich Alles, was ein wenig Englisch oder Französisch
parure, von selbst zur guten Gesellschaft gerechnet wird. Auf den praktischen
Gebrauch der fremden Sprachen kann aber bei den Einjährig-Freiwilligen des¬
halb nicht gerechnet worden sein, weil sie ihre Berechtigung zu dieser Dienst¬
auszeichnung auch durch eine Prüfung im Griechischen und Lateinischen erwerben
können, d. h. in zwei Sprachen, die nicht mehr im Verkehr leben und schwerlich
im militärischen Dienste je zur Anwendung kommen. Es muß also bei der
Annahme bleiben, daß der Besitz eines Quantums fremdsprachiger Kenntnisse
wesentlich nur als Document logischer und grammatischer Schulung aufge¬
faßt wird.

Nun ist es zwar richtig, daß zur Bewältigung zweier Sprachen neben der
Muttersprache ein höheres Maß geistiger Begabung gehört, als zur Erlernung
von nur einer fremden Sprache. Denn wer z. B. das Lateinische lernt, indem
er es mit seinem Deutsch vergleicht und sich die Uebereinstimmungen und Ab¬
weichungen beider zum Bewußtsein bringt, hat eine geringere Arbeit zu ver¬
richten, als wer neben dem Deutschen und Lateinischen noch Französisch lernt
und nun dieses mit dem Deutschen und mit dem Lateinischen vergleichen muß.
Man wird aber schwerlich behaupten können, daß die logische Bildung des
Kopfes und der bewußte und gewandte Gebrauch der Muttersprache von der
Vergleichung mit mehreren fremden Sprachen mehr Vortheil ziehe, als von der
Vergleichung mit einer einzigen. Die Erfahrung lehrt beinahe im Gegentheil,
daß die Kraft des logischen Denkens sowohl als die des bündigen und gewandten
Ausdruckes in der Muttersprache in umgekehrtem Verhältniß zu der Menge der
fremden Sprachen steht, die Einer zu handhaben weiß. Wenn dies schon bei
Erwachsenen gilt, so ist es aber noch mehr der Fall bei so jungen Leuten, wie
Obertertianer und Untersecuudaner und überhaupt die sind, die auf ihre Be¬
rechtigung zum Einjährig-Freiwilligen-Dienst hin geprüft werden. Die gründ¬
lichste logische und sprachliche allgemeine Bildung wird, das ist allgemein
erkannt, durch das Studium der lateinischen Sprache gewonnen; nächst ihr an
bildender Kraft für Kopf und Zunge steht die französische. Die eine mag so
gut sein, wie die andere; Gymnasiallehrer und Realschulmäuner mögen sich
darüber streiten. Gewiß ist nur soviel, daß es besser ist, den Knaben in Bezug


auch praktisch im Verkehr gebrauchen könne, daß er mit der kleinen Habe an
Sprachkenntniß etwa als Dolmetscher oder Berichterstatter, oder um sich in die
Feder diktiren zu lassen, gebraucht werden könne. Soll es noch einen sonstigen
Werth haben, so könnte es nur der sein, daß es die „allgemeine Bildung"
aufzeigt, die den Besitzer derselben von intellectueller Seite her würdig erscheinen
läßt, in gute Gesellschaft einzutreten. Was aber diesen letzteren Umstand anlangt,
so ist nicht abzusehen, wozu der Paß für die gute Gesellschaft zweier fremder
Sprachen bedarf, da bekanntlich Alles, was ein wenig Englisch oder Französisch
parure, von selbst zur guten Gesellschaft gerechnet wird. Auf den praktischen
Gebrauch der fremden Sprachen kann aber bei den Einjährig-Freiwilligen des¬
halb nicht gerechnet worden sein, weil sie ihre Berechtigung zu dieser Dienst¬
auszeichnung auch durch eine Prüfung im Griechischen und Lateinischen erwerben
können, d. h. in zwei Sprachen, die nicht mehr im Verkehr leben und schwerlich
im militärischen Dienste je zur Anwendung kommen. Es muß also bei der
Annahme bleiben, daß der Besitz eines Quantums fremdsprachiger Kenntnisse
wesentlich nur als Document logischer und grammatischer Schulung aufge¬
faßt wird.

Nun ist es zwar richtig, daß zur Bewältigung zweier Sprachen neben der
Muttersprache ein höheres Maß geistiger Begabung gehört, als zur Erlernung
von nur einer fremden Sprache. Denn wer z. B. das Lateinische lernt, indem
er es mit seinem Deutsch vergleicht und sich die Uebereinstimmungen und Ab¬
weichungen beider zum Bewußtsein bringt, hat eine geringere Arbeit zu ver¬
richten, als wer neben dem Deutschen und Lateinischen noch Französisch lernt
und nun dieses mit dem Deutschen und mit dem Lateinischen vergleichen muß.
Man wird aber schwerlich behaupten können, daß die logische Bildung des
Kopfes und der bewußte und gewandte Gebrauch der Muttersprache von der
Vergleichung mit mehreren fremden Sprachen mehr Vortheil ziehe, als von der
Vergleichung mit einer einzigen. Die Erfahrung lehrt beinahe im Gegentheil,
daß die Kraft des logischen Denkens sowohl als die des bündigen und gewandten
Ausdruckes in der Muttersprache in umgekehrtem Verhältniß zu der Menge der
fremden Sprachen steht, die Einer zu handhaben weiß. Wenn dies schon bei
Erwachsenen gilt, so ist es aber noch mehr der Fall bei so jungen Leuten, wie
Obertertianer und Untersecuudaner und überhaupt die sind, die auf ihre Be¬
rechtigung zum Einjährig-Freiwilligen-Dienst hin geprüft werden. Die gründ¬
lichste logische und sprachliche allgemeine Bildung wird, das ist allgemein
erkannt, durch das Studium der lateinischen Sprache gewonnen; nächst ihr an
bildender Kraft für Kopf und Zunge steht die französische. Die eine mag so
gut sein, wie die andere; Gymnasiallehrer und Realschulmäuner mögen sich
darüber streiten. Gewiß ist nur soviel, daß es besser ist, den Knaben in Bezug


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/300>, abgerufen am 22.07.2024.