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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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da es sich nur um einen Wortstreit handele und jede Partei eine Seite der
Wahrheit vertrete; vergeblich sprach sich der Herzog selbst in dem Abschied der
zur Schlichtung des Streites berufenen Synode mit seinem gesunden Laienver¬
stand in gleichem Sinne aus. Der Kampf dauerte fort und wurde nur zum
geringsten Theile mit Gründen, überwiegend mit Schimpfworten, Kanzelgepolter,
moralischen Verdächtigungen und Gewaltmitteln geführt. Nur wenige Beispiele
mögen diese unerquicklichen Methoden veranschaulichen. In einem an der Thür
der Universität angeschlagenen Pasquill wurde die Fabel von dem Roßapsel,
der sich in seiner Eitelkeit auch zu den Aepfeln zählt, mit welchen er den Fluß
hinabschwimmt, auf Osiander gedeutet. Sagte man ihm ferner spöttisch nach,
daß er eigentlich Hosemann oder Hosen-Enderle heiße, so machte andererseits
Funck aus dem Doctor Mörlin einen "Doch-Thor". In wahrhaft lästerlicher
Weise wurde Vaterunser, Glaubensbekenntniß und Gratias (von Mörlin?) zu
einer Parodie auf Osiander benutzt, welche beginnt: "Aller Raben Augen warten
auf dich, schwarzer Ketzer, und du wirst ihnen geben deinen Leib zur Speise zu
seiner Zeit," und weiterhin die Stellen enthält: "Unwürdiger, höllischer Vater
Osiander, der du bist jetzund zu Königsberg in Preußen, vertilget werde dein
Name, zerstreuet werde deine falsche Lehr, dein Wille nimmer geschehe weder
in Preußen noch in der ganzen Christenheit" und: "Ich glaube, daß der un¬
würdige Vater Osiander sei ein Stifter, Anrichter und Beschirmer aller teufli¬
schen Lehr und Bosheit, die da ist im Himmel und auf Erden, und daß der
Funck sein neugeborener Sohn sei, empfangen von dem bösen Geist, geboren
aus seiner ketzerischen Lehr, gelitten, geplaget und verjagt von Nürnberg unter
L^rolo quwto dem Römischen Kaiser, gefahren zu dem Herzog in Preußen,
stehet zu der linken Hand des leidigen Teufels." Sogar auf der Kanzel nannte
Mörlin seinen Gegner Osiander wegen seiner Gesichtsfarbe den schwarzen Teufel
und überhäufte ihn mit Schmähungen und Verhöhnungen, während Osiander
in seinen Predigten einen verhältnißmäßig anständigen Ton wahrte; ja selbst
einem Todtkranken wurde das Abendmahl verweigert, weil er sich zu Osianders
Lehre bekannte. Wie Mörlin Brenz den Vorwurf macht, daß er wider fein
Gewissen unverschämt luge, so findet wiederum Osiander in dem Wittenberger
Gutachten ein "falsches Lästerzeugniß". Die Hofpredigerpartei aber, die das Ohr
des Herzogs besaß, ließ es natürlich nicht an Aussetzungen desselben fehlen,
brachte es dahin, daß die Alumnen der Universität auf ihren ofiandrischen
Glauben geprüft wurden, und setzte die Vertreibung ihrer Gegner aus Amt und
Land durch. Auf beiden Seiten endlich scheuten die erhitzten Gemüther nicht
vor dem Gedanken an blutige Thaten zurück. Konnte Ostander nicht mehr ohne
Waffen ausgehen, so soll doch auch er sich auf die drei großen A als seine
Nothhelfer berufen haben: aus den Allmächtigen, auf Albrecht und Adam, den


da es sich nur um einen Wortstreit handele und jede Partei eine Seite der
Wahrheit vertrete; vergeblich sprach sich der Herzog selbst in dem Abschied der
zur Schlichtung des Streites berufenen Synode mit seinem gesunden Laienver¬
stand in gleichem Sinne aus. Der Kampf dauerte fort und wurde nur zum
geringsten Theile mit Gründen, überwiegend mit Schimpfworten, Kanzelgepolter,
moralischen Verdächtigungen und Gewaltmitteln geführt. Nur wenige Beispiele
mögen diese unerquicklichen Methoden veranschaulichen. In einem an der Thür
der Universität angeschlagenen Pasquill wurde die Fabel von dem Roßapsel,
der sich in seiner Eitelkeit auch zu den Aepfeln zählt, mit welchen er den Fluß
hinabschwimmt, auf Osiander gedeutet. Sagte man ihm ferner spöttisch nach,
daß er eigentlich Hosemann oder Hosen-Enderle heiße, so machte andererseits
Funck aus dem Doctor Mörlin einen „Doch-Thor". In wahrhaft lästerlicher
Weise wurde Vaterunser, Glaubensbekenntniß und Gratias (von Mörlin?) zu
einer Parodie auf Osiander benutzt, welche beginnt: „Aller Raben Augen warten
auf dich, schwarzer Ketzer, und du wirst ihnen geben deinen Leib zur Speise zu
seiner Zeit," und weiterhin die Stellen enthält: „Unwürdiger, höllischer Vater
Osiander, der du bist jetzund zu Königsberg in Preußen, vertilget werde dein
Name, zerstreuet werde deine falsche Lehr, dein Wille nimmer geschehe weder
in Preußen noch in der ganzen Christenheit" und: „Ich glaube, daß der un¬
würdige Vater Osiander sei ein Stifter, Anrichter und Beschirmer aller teufli¬
schen Lehr und Bosheit, die da ist im Himmel und auf Erden, und daß der
Funck sein neugeborener Sohn sei, empfangen von dem bösen Geist, geboren
aus seiner ketzerischen Lehr, gelitten, geplaget und verjagt von Nürnberg unter
L^rolo quwto dem Römischen Kaiser, gefahren zu dem Herzog in Preußen,
stehet zu der linken Hand des leidigen Teufels." Sogar auf der Kanzel nannte
Mörlin seinen Gegner Osiander wegen seiner Gesichtsfarbe den schwarzen Teufel
und überhäufte ihn mit Schmähungen und Verhöhnungen, während Osiander
in seinen Predigten einen verhältnißmäßig anständigen Ton wahrte; ja selbst
einem Todtkranken wurde das Abendmahl verweigert, weil er sich zu Osianders
Lehre bekannte. Wie Mörlin Brenz den Vorwurf macht, daß er wider fein
Gewissen unverschämt luge, so findet wiederum Osiander in dem Wittenberger
Gutachten ein „falsches Lästerzeugniß". Die Hofpredigerpartei aber, die das Ohr
des Herzogs besaß, ließ es natürlich nicht an Aussetzungen desselben fehlen,
brachte es dahin, daß die Alumnen der Universität auf ihren ofiandrischen
Glauben geprüft wurden, und setzte die Vertreibung ihrer Gegner aus Amt und
Land durch. Auf beiden Seiten endlich scheuten die erhitzten Gemüther nicht
vor dem Gedanken an blutige Thaten zurück. Konnte Ostander nicht mehr ohne
Waffen ausgehen, so soll doch auch er sich auf die drei großen A als seine
Nothhelfer berufen haben: aus den Allmächtigen, auf Albrecht und Adam, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/292>, abgerufen am 22.07.2024.