Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.mein Vater!" weckt den Greis. Er eilt zum Kinde, ergreift es bei der Hand, Am vollendetsten und reifsten, von pathologischen Interessen und von der Der Held des Gedichtes ist Christian von Braunschweig, der tollkühne, weit Die Aufgabe der Dichtung ist nun, die edlen Züge in Christians Charakter, mein Vater!" weckt den Greis. Er eilt zum Kinde, ergreift es bei der Hand, Am vollendetsten und reifsten, von pathologischen Interessen und von der Der Held des Gedichtes ist Christian von Braunschweig, der tollkühne, weit Die Aufgabe der Dichtung ist nun, die edlen Züge in Christians Charakter, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146764"/> <p xml:id="ID_770" prev="#ID_769"> mein Vater!" weckt den Greis. Er eilt zum Kinde, ergreift es bei der Hand,<lb/> da fällt der Hut des Todten zu seinen Füßen. Von Entsetzen ergriffen, stürzt<lb/> der Großvater mit dem Kinde in die Nacht. Das ist eine Scene würdig des<lb/> Pinsels eines Gabriel Max, aber der Geist der Schönheit hat sie nicht geschaffen.<lb/> Das Grüßliche ist weder Object der bildenden Kunst noch der Dichtung; wo<lb/> sie sich ihm zuwenden, betreten sie einen Irrweg.</p><lb/> <p xml:id="ID_771"> Am vollendetsten und reifsten, von pathologischen Interessen und von der<lb/> Neigung zum Grauenhaften frei, durch und durch gesund ist die Dichtung „Die<lb/> Schlacht am Loener Bruch". Hier hat sich die Dichterin auch ein Problem<lb/> gestellt, aber nicht ein pathologisches, sondern ein ethisches, wir bewegen uns<lb/> hier ausschließlich in der Sphäre der Freiheit, nicht in der Sphäre psychischer,<lb/> mit innerer Nothwendigkeit sich entwickelnder Processe.</p><lb/> <p xml:id="ID_772"> Der Held des Gedichtes ist Christian von Braunschweig, der tollkühne, weit<lb/> und breit gefürchtete protestantische Freischaaren-Führer im dreißigjährigen<lb/> Kriege. Wider seinen Willen dem geistlichen Stande geweiht, zum Bischof von<lb/> Halberstadt ernannt, war er nach dem Tode seines Vaters zum Protestantismus<lb/> übergetreten und hatte an den Kämpfen des Heeres des Winterkönigs, Friedrichs V.<lb/> von der Pfalz, Theil genommen. Eine leidenschaftliche Empfindung für die<lb/> Gemahlin desselben, die schöne Elisabeth, die Tochter Jakobs I. von England,<lb/> ein ebenso leidenschaftlicher Haß gegen den katholischen Clerus, gegen den Stand,<lb/> der ihm aufgezwungen worden, waren wohl die entscheidenden Motive seiner<lb/> Parteistellung gewesen. Nach der Schlacht am Weißen Berge, die das Geschick<lb/> König Friedrichs besiegelte, kämpfte Christian mit dem Grasen Ernst von Mans-<lb/> feld selbständig, später im Dienste der protestantischen Union, gegen die Kaiser¬<lb/> lichen. Am 7. August 1623 wurde er bei Stadtlven im Mimsterschen von Tilly<lb/> geschlagen und flüchtete über die holländische Grenze. Bald darauf starb er,<lb/> erst 25 Jahre alt.</p><lb/> <p xml:id="ID_773" next="#ID_774"> Die Aufgabe der Dichtung ist nun, die edlen Züge in Christians Charakter,<lb/> die ihm trotz aller Verwilderung geblieben, aufzuweisen, die Ursachen der letz¬<lb/> teren zu zeigen und so Sympathie für ihn zu erregen. Und diese Ausgabe ist<lb/> trefflich gelöst, so vollkommen, daß die katholische Dichterin fast mehr unsere<lb/> Theilnahme auf die protestantischen als auf die katholischen Kämpfer lenkt.<lb/> Wohl zeigt sie auch auf dieser Seite eine heldenhafte Erscheinung in dem Sohne<lb/> Tillys, dem jungen Albrecht Tilly, wohl erspart sie uns nicht eine Scene, in<lb/> der die Rohheit des protestantischen Heeres unseren Abscheu erregt, aber indem<lb/> der Ketzer Christian der Held der Dichtung ist, wendet sich unwillkürlich ihn?,<lb/> seinem Geschick, seinem Heere, ein höheres Maß von Interesse zu. Die Wahl<lb/> des Themas ist ein Beweis, daß die Entschiedenheit ihres katholischen Bewußt¬<lb/> seins und Bekenntnisses Annette Droste nicht abgehalten hat, für einen glühenden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0259]
mein Vater!" weckt den Greis. Er eilt zum Kinde, ergreift es bei der Hand,
da fällt der Hut des Todten zu seinen Füßen. Von Entsetzen ergriffen, stürzt
der Großvater mit dem Kinde in die Nacht. Das ist eine Scene würdig des
Pinsels eines Gabriel Max, aber der Geist der Schönheit hat sie nicht geschaffen.
Das Grüßliche ist weder Object der bildenden Kunst noch der Dichtung; wo
sie sich ihm zuwenden, betreten sie einen Irrweg.
Am vollendetsten und reifsten, von pathologischen Interessen und von der
Neigung zum Grauenhaften frei, durch und durch gesund ist die Dichtung „Die
Schlacht am Loener Bruch". Hier hat sich die Dichterin auch ein Problem
gestellt, aber nicht ein pathologisches, sondern ein ethisches, wir bewegen uns
hier ausschließlich in der Sphäre der Freiheit, nicht in der Sphäre psychischer,
mit innerer Nothwendigkeit sich entwickelnder Processe.
Der Held des Gedichtes ist Christian von Braunschweig, der tollkühne, weit
und breit gefürchtete protestantische Freischaaren-Führer im dreißigjährigen
Kriege. Wider seinen Willen dem geistlichen Stande geweiht, zum Bischof von
Halberstadt ernannt, war er nach dem Tode seines Vaters zum Protestantismus
übergetreten und hatte an den Kämpfen des Heeres des Winterkönigs, Friedrichs V.
von der Pfalz, Theil genommen. Eine leidenschaftliche Empfindung für die
Gemahlin desselben, die schöne Elisabeth, die Tochter Jakobs I. von England,
ein ebenso leidenschaftlicher Haß gegen den katholischen Clerus, gegen den Stand,
der ihm aufgezwungen worden, waren wohl die entscheidenden Motive seiner
Parteistellung gewesen. Nach der Schlacht am Weißen Berge, die das Geschick
König Friedrichs besiegelte, kämpfte Christian mit dem Grasen Ernst von Mans-
feld selbständig, später im Dienste der protestantischen Union, gegen die Kaiser¬
lichen. Am 7. August 1623 wurde er bei Stadtlven im Mimsterschen von Tilly
geschlagen und flüchtete über die holländische Grenze. Bald darauf starb er,
erst 25 Jahre alt.
Die Aufgabe der Dichtung ist nun, die edlen Züge in Christians Charakter,
die ihm trotz aller Verwilderung geblieben, aufzuweisen, die Ursachen der letz¬
teren zu zeigen und so Sympathie für ihn zu erregen. Und diese Ausgabe ist
trefflich gelöst, so vollkommen, daß die katholische Dichterin fast mehr unsere
Theilnahme auf die protestantischen als auf die katholischen Kämpfer lenkt.
Wohl zeigt sie auch auf dieser Seite eine heldenhafte Erscheinung in dem Sohne
Tillys, dem jungen Albrecht Tilly, wohl erspart sie uns nicht eine Scene, in
der die Rohheit des protestantischen Heeres unseren Abscheu erregt, aber indem
der Ketzer Christian der Held der Dichtung ist, wendet sich unwillkürlich ihn?,
seinem Geschick, seinem Heere, ein höheres Maß von Interesse zu. Die Wahl
des Themas ist ein Beweis, daß die Entschiedenheit ihres katholischen Bewußt¬
seins und Bekenntnisses Annette Droste nicht abgehalten hat, für einen glühenden
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