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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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der aus minder feuchten Gegenden einwandernde wird fast betäubt von Geschmetter
der zahllosen Singvögel, die ihre Nahrung auf dem weichen Klciboden finden. Die
wüsten Steppen haben sich in mäßige, mit einer Hcndeblumendecke farbig über¬
hauchte Weidestrecken zusammengezogen, aus denen jeder Schritt Schwärme blauer,
gelber und milchweißer Schmetterlinge aufstanden läßt. Fast jeder dieser Weide¬
gründe enthält einen Wasserspiegel, von Schwertlilien umkränzt, an denen Tausende
kleiner Libellen wie bunte Stäbchen hängen, während die der größeren Art bis auf
die Mitte des Weihers schnurren, wo sie in die Blätter der gelben Nymphäen wie
goldene Schmucknadcln in emaillirte Schalen niederfallen und dort auf die Wasser-
insecten lauern, von denen sie sich nähren. Das Ganze umgrenzen kleine, aber
zahlreiche Waldungen. Alles Laubholz, und namentlich ein Eichenbestand von tadel¬
loser Schönheit -- -- in jedem Baume ein Nest, auf jedem Aste ein lustiger Vogel,
und überall eine Frische des Grüns und ein Blätterduft, wie dieses anderwärts
nur uach einem Frühlingsregen der Fall ist."

Doch wir brechen ab. Das Angeführte genügt, ein Bild der Landschaft zu geben,
in der die Dichterin aufgewachsen ist, für die sie die innigsten Gefühle hegt,
deren poetische Reize sie so anschaulich und seelenvoll wiederzugeben weiß.

Eine wesentlich andere Färbung tragen ihre Schilderungen der Alpenwelt,
wie wir sie theils in einzelnen Gedichten, theils zerstreut in den größeren poeti¬
schen Erzählungen finden. Das subjective Element, das in den Haidebildern
die Darstellung durchzieht, verschwindet; die Dichterin ist von der Majestät der
Natur ganz erfüllt und will nur diese objectiv zur Darstellung bringen. In
den Haidebildern ist ja auch in der That das subjective Element berechtigt -- die
Haide ladet zum Träumen und Nachsinnen ein , hier nicht. Wir erkennen
daraus, daß wir die Subjectivität in der Auffassung der Natur keineswegs als
eine charakteristische Eigenthümlichkeit Annelees bezeichnen dürfen. Sie ist keine
Vertreterin der Romantik, und sie will es auch nicht sein. Sie erklärt aus¬
drücklich, daß sie die Romantik nur wenig liebe, auch gänzlich ohne Talent dafür
sei. "Sie wissen selbst," schreibt sie ihrem Freunde Schlüter, "daß ich nur im
naturgetreuen, durch Poesie veredelt, etwas leisten kann." Nur, wo es zum
Charakteristischen der Gegend gehört, läßt sie dem subjectiven Elemente Raum.
Daher fehlt dasselbe in den Schweizer Landschaftsbildern. Eine Ausnahme
bildet nur das Gedicht "Am Bodensee". Hier erfaßt sie die Schwermuth, und
die Schauer der Vergänglichkeit ziehen durch ihre Seele. In elegischem Tone
schließt das Gedicht mit dem klagenden Worte an den Geist des Wassers:


O schau mich an, ich zergeh' wie Schaum,
Wenn aus dem Grabe die Distel quillt,
Dann zuckt mein längst zerfallenes Bild
Wohl einmal durch deinen Traum.

der aus minder feuchten Gegenden einwandernde wird fast betäubt von Geschmetter
der zahllosen Singvögel, die ihre Nahrung auf dem weichen Klciboden finden. Die
wüsten Steppen haben sich in mäßige, mit einer Hcndeblumendecke farbig über¬
hauchte Weidestrecken zusammengezogen, aus denen jeder Schritt Schwärme blauer,
gelber und milchweißer Schmetterlinge aufstanden läßt. Fast jeder dieser Weide¬
gründe enthält einen Wasserspiegel, von Schwertlilien umkränzt, an denen Tausende
kleiner Libellen wie bunte Stäbchen hängen, während die der größeren Art bis auf
die Mitte des Weihers schnurren, wo sie in die Blätter der gelben Nymphäen wie
goldene Schmucknadcln in emaillirte Schalen niederfallen und dort auf die Wasser-
insecten lauern, von denen sie sich nähren. Das Ganze umgrenzen kleine, aber
zahlreiche Waldungen. Alles Laubholz, und namentlich ein Eichenbestand von tadel¬
loser Schönheit — — in jedem Baume ein Nest, auf jedem Aste ein lustiger Vogel,
und überall eine Frische des Grüns und ein Blätterduft, wie dieses anderwärts
nur uach einem Frühlingsregen der Fall ist."

Doch wir brechen ab. Das Angeführte genügt, ein Bild der Landschaft zu geben,
in der die Dichterin aufgewachsen ist, für die sie die innigsten Gefühle hegt,
deren poetische Reize sie so anschaulich und seelenvoll wiederzugeben weiß.

Eine wesentlich andere Färbung tragen ihre Schilderungen der Alpenwelt,
wie wir sie theils in einzelnen Gedichten, theils zerstreut in den größeren poeti¬
schen Erzählungen finden. Das subjective Element, das in den Haidebildern
die Darstellung durchzieht, verschwindet; die Dichterin ist von der Majestät der
Natur ganz erfüllt und will nur diese objectiv zur Darstellung bringen. In
den Haidebildern ist ja auch in der That das subjective Element berechtigt — die
Haide ladet zum Träumen und Nachsinnen ein , hier nicht. Wir erkennen
daraus, daß wir die Subjectivität in der Auffassung der Natur keineswegs als
eine charakteristische Eigenthümlichkeit Annelees bezeichnen dürfen. Sie ist keine
Vertreterin der Romantik, und sie will es auch nicht sein. Sie erklärt aus¬
drücklich, daß sie die Romantik nur wenig liebe, auch gänzlich ohne Talent dafür
sei. „Sie wissen selbst," schreibt sie ihrem Freunde Schlüter, „daß ich nur im
naturgetreuen, durch Poesie veredelt, etwas leisten kann." Nur, wo es zum
Charakteristischen der Gegend gehört, läßt sie dem subjectiven Elemente Raum.
Daher fehlt dasselbe in den Schweizer Landschaftsbildern. Eine Ausnahme
bildet nur das Gedicht „Am Bodensee". Hier erfaßt sie die Schwermuth, und
die Schauer der Vergänglichkeit ziehen durch ihre Seele. In elegischem Tone
schließt das Gedicht mit dem klagenden Worte an den Geist des Wassers:


O schau mich an, ich zergeh' wie Schaum,
Wenn aus dem Grabe die Distel quillt,
Dann zuckt mein längst zerfallenes Bild
Wohl einmal durch deinen Traum.

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[0252] der aus minder feuchten Gegenden einwandernde wird fast betäubt von Geschmetter der zahllosen Singvögel, die ihre Nahrung auf dem weichen Klciboden finden. Die wüsten Steppen haben sich in mäßige, mit einer Hcndeblumendecke farbig über¬ hauchte Weidestrecken zusammengezogen, aus denen jeder Schritt Schwärme blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge aufstanden läßt. Fast jeder dieser Weide¬ gründe enthält einen Wasserspiegel, von Schwertlilien umkränzt, an denen Tausende kleiner Libellen wie bunte Stäbchen hängen, während die der größeren Art bis auf die Mitte des Weihers schnurren, wo sie in die Blätter der gelben Nymphäen wie goldene Schmucknadcln in emaillirte Schalen niederfallen und dort auf die Wasser- insecten lauern, von denen sie sich nähren. Das Ganze umgrenzen kleine, aber zahlreiche Waldungen. Alles Laubholz, und namentlich ein Eichenbestand von tadel¬ loser Schönheit — — in jedem Baume ein Nest, auf jedem Aste ein lustiger Vogel, und überall eine Frische des Grüns und ein Blätterduft, wie dieses anderwärts nur uach einem Frühlingsregen der Fall ist." Doch wir brechen ab. Das Angeführte genügt, ein Bild der Landschaft zu geben, in der die Dichterin aufgewachsen ist, für die sie die innigsten Gefühle hegt, deren poetische Reize sie so anschaulich und seelenvoll wiederzugeben weiß. Eine wesentlich andere Färbung tragen ihre Schilderungen der Alpenwelt, wie wir sie theils in einzelnen Gedichten, theils zerstreut in den größeren poeti¬ schen Erzählungen finden. Das subjective Element, das in den Haidebildern die Darstellung durchzieht, verschwindet; die Dichterin ist von der Majestät der Natur ganz erfüllt und will nur diese objectiv zur Darstellung bringen. In den Haidebildern ist ja auch in der That das subjective Element berechtigt — die Haide ladet zum Träumen und Nachsinnen ein , hier nicht. Wir erkennen daraus, daß wir die Subjectivität in der Auffassung der Natur keineswegs als eine charakteristische Eigenthümlichkeit Annelees bezeichnen dürfen. Sie ist keine Vertreterin der Romantik, und sie will es auch nicht sein. Sie erklärt aus¬ drücklich, daß sie die Romantik nur wenig liebe, auch gänzlich ohne Talent dafür sei. „Sie wissen selbst," schreibt sie ihrem Freunde Schlüter, „daß ich nur im naturgetreuen, durch Poesie veredelt, etwas leisten kann." Nur, wo es zum Charakteristischen der Gegend gehört, läßt sie dem subjectiven Elemente Raum. Daher fehlt dasselbe in den Schweizer Landschaftsbildern. Eine Ausnahme bildet nur das Gedicht „Am Bodensee". Hier erfaßt sie die Schwermuth, und die Schauer der Vergänglichkeit ziehen durch ihre Seele. In elegischem Tone schließt das Gedicht mit dem klagenden Worte an den Geist des Wassers: O schau mich an, ich zergeh' wie Schaum, Wenn aus dem Grabe die Distel quillt, Dann zuckt mein längst zerfallenes Bild Wohl einmal durch deinen Traum.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/252>, abgerufen am 03.07.2024.