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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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schlüge Rawlinsons in Bezug auf Besitzergreifung Afghanistans zum Schutz der
Grenzen Indiens, schon im Jahre 1868 ausgesprochen, so vorzüglich auf Sach¬
kenntniß und Einsicht gestützt, daß England diesem Manne in der That zu un¬
gewöhnlichem Danke verpflichtet ist. Da dem into-brittischen Reiche die Defensiv¬
stellung möglicherweise zufallen wird, fo war es nöthig, daß es die formidabeln
Pässe und Forts des Hindukusch und des Soliman-Gebirges in den Bereich
seiner ausschließlichen Gewalt bekam. Das ist geschehen, und das ist Rawlinsons
Werk gewesen. Die Lage ist, um es kurz zu sagen, die: England muß diese
strategischen Positionen haben, und Rußland braucht sie nicht nothwendig. Sonach
läge hier gar kein eigentlicher Grund zu einem ernsten Conflict vor, und der
Oberst Taylor behielte vielleicht Recht mit seiner Ansicht von den "zwei christ¬
lichen Schwesternationen", die Alles in Frieden und in Freundlichkeit gemeinsam
erledigen? Wahrscheinlich ist es nicht, aber möglich wäre es.

Lassen wir einmal den Gedanken an Indien ganz aus dem Spiele (denn
er gehört nicht hierher), so finden wir noch eine andere Concurrenz der Inter¬
essensphäre beider Großmächte in Asien, die nicht eine utopische ist wie die
wegen der Eroberung Indiens, welche zu Ungunsten Rußlands entschieden
werden mußte, sondern die auf beiden Seiten ein reale ist, wenn auch auf
Seiten Englands noch am ehesten etwas utopisch zu nennen, und die nach
unserer Ansicht zu Ungunsten Englands entschieden zu werden verdient.

Wir haben schon in unserer Schrift "Die Balkanhalbinsel" (Berlin, B.
Behr M Bock), 1878) darauf aufmerksam gemacht, daß wir die Verbindung
der Engländer mit dem sich auflösenden Reiche der Osmanen für unheilvoll
halten. Es wird, darauf ankommen, ob die Weisheit der brittischen Staats¬
männer, nicht von irrigen Idolen ü, 1a Tancred geleitet, die Mäßigung besitzen
wird, sich von dem dem Untergang geweihten Tttrkenreiche und seiner Fäulniß
hinreichend fern zu halten.

Das asiatische Protektorat Englands kann, soll es überhaupt eine staats¬
männische und nicht bloß die armselige Bedeutung einer kaufmännischen Etappe
bezeichnen, nur das Ziel haben, den indischen Besitzungen Englands die Ver¬
bindung mit den europäischen durch unterworfene oder befreundete engverbundene
Länder auf dem Landwege zu ermöglichen. Der Erwerb Cyperns, das
Interesse, von Syrien bis Bagdad, eventuell bis zum persischen Golf eine Eisen¬
bahnverbindung herzustellen, sind dafür bezeichnend. Es möge noch daran er¬
innert werden, daß England schon vor 1827 (wo es Persien trotz Wellingtons
Widerspruch im Stiche ließ und dieses an Rußland die reichen Provinzen Eri-
wani und Nakhitschewan nebst 20 Millionen Rubeln Kriegskosten im Frieden zu
Turkemantschei 1827 abtrat) mit Persien gegen Subsidien eine Stipulation ge¬
macht hatte, nach welcher Persien keiner europäischen Macht den Durchzug nach


schlüge Rawlinsons in Bezug auf Besitzergreifung Afghanistans zum Schutz der
Grenzen Indiens, schon im Jahre 1868 ausgesprochen, so vorzüglich auf Sach¬
kenntniß und Einsicht gestützt, daß England diesem Manne in der That zu un¬
gewöhnlichem Danke verpflichtet ist. Da dem into-brittischen Reiche die Defensiv¬
stellung möglicherweise zufallen wird, fo war es nöthig, daß es die formidabeln
Pässe und Forts des Hindukusch und des Soliman-Gebirges in den Bereich
seiner ausschließlichen Gewalt bekam. Das ist geschehen, und das ist Rawlinsons
Werk gewesen. Die Lage ist, um es kurz zu sagen, die: England muß diese
strategischen Positionen haben, und Rußland braucht sie nicht nothwendig. Sonach
läge hier gar kein eigentlicher Grund zu einem ernsten Conflict vor, und der
Oberst Taylor behielte vielleicht Recht mit seiner Ansicht von den „zwei christ¬
lichen Schwesternationen", die Alles in Frieden und in Freundlichkeit gemeinsam
erledigen? Wahrscheinlich ist es nicht, aber möglich wäre es.

Lassen wir einmal den Gedanken an Indien ganz aus dem Spiele (denn
er gehört nicht hierher), so finden wir noch eine andere Concurrenz der Inter¬
essensphäre beider Großmächte in Asien, die nicht eine utopische ist wie die
wegen der Eroberung Indiens, welche zu Ungunsten Rußlands entschieden
werden mußte, sondern die auf beiden Seiten ein reale ist, wenn auch auf
Seiten Englands noch am ehesten etwas utopisch zu nennen, und die nach
unserer Ansicht zu Ungunsten Englands entschieden zu werden verdient.

Wir haben schon in unserer Schrift „Die Balkanhalbinsel" (Berlin, B.
Behr M Bock), 1878) darauf aufmerksam gemacht, daß wir die Verbindung
der Engländer mit dem sich auflösenden Reiche der Osmanen für unheilvoll
halten. Es wird, darauf ankommen, ob die Weisheit der brittischen Staats¬
männer, nicht von irrigen Idolen ü, 1a Tancred geleitet, die Mäßigung besitzen
wird, sich von dem dem Untergang geweihten Tttrkenreiche und seiner Fäulniß
hinreichend fern zu halten.

Das asiatische Protektorat Englands kann, soll es überhaupt eine staats¬
männische und nicht bloß die armselige Bedeutung einer kaufmännischen Etappe
bezeichnen, nur das Ziel haben, den indischen Besitzungen Englands die Ver¬
bindung mit den europäischen durch unterworfene oder befreundete engverbundene
Länder auf dem Landwege zu ermöglichen. Der Erwerb Cyperns, das
Interesse, von Syrien bis Bagdad, eventuell bis zum persischen Golf eine Eisen¬
bahnverbindung herzustellen, sind dafür bezeichnend. Es möge noch daran er¬
innert werden, daß England schon vor 1827 (wo es Persien trotz Wellingtons
Widerspruch im Stiche ließ und dieses an Rußland die reichen Provinzen Eri-
wani und Nakhitschewan nebst 20 Millionen Rubeln Kriegskosten im Frieden zu
Turkemantschei 1827 abtrat) mit Persien gegen Subsidien eine Stipulation ge¬
macht hatte, nach welcher Persien keiner europäischen Macht den Durchzug nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/244>, abgerufen am 03.07.2024.