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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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zahl und Stündenfolge seine Arbeiten gruppiren. Dies ist aber nur möglich,
wenn auch der gesammte nicht musikalische Unterricht an der Anstalt selbst er¬
theilt wird. Zu den unentbehrlichen Fächern der allgemeinen Bildung rechnen
wir: Deutsch, Mathematik, Geographie und Geschichte, Naturkunde; auch eine
Stunde Zeichnen in der Woche würde noch ein Plätzchen finden. Desgleichen
müßte der Turnunterricht durchaus obligatorisch sein, da gerade der Berus des
Musikers eine besondere Kräftigung des Körpers nöthig hat, die gewöhnlich ganz
vernachlässigt wird. Für die oberen Classen wäre wünschenswerth Literatur¬
geschichte, Geschichte der bildenden Künste, fremde Sprachen, darunter obligato¬
risch Latein und Italienisch, facultativ Französisch und Englisch. Es ist wohl nicht
nöthig zu bemerken, daß sich die Lectüre in den fremden Sprachen vorzugsweise
auf Musikschriftsteller, Historiker und Theoretiker erstrecken müßte; denn selbst¬
verständlich ist es für den Musiker von Bedeutung, die musikalischen Kunstaus¬
drücke der anderen Sprachen gründlich kennen zu lernen, da er als Virtuose
sicher, aber auch als Componist, Lehrer und Dirigent leicht in die Lage kommt,
ihrer zu bedürfen. Den eigentlichen Stamm der Unterrichtsstunden müßten
natürlich die Musikstunden bilden und zwar täglich eine Stunde für das Solo¬
instrument des Schülers (für Sänger: Gesang), vielleicht zwei wöchentlich sür
ein anderes Instrument (Clavier, Violine), drei Stunden Theorie, eine Stunde
allgemeine Musiklehre, drei Musikgeschichte, in den Oberclassen je eine Stunde
Aesthetik, Akustik, Mensuralnotenkunde, Unterrichtsmethode und Partiturspiel.
Einige Stunden wöchentlich müßten reservirt bleiben für orchestrale Aufführungen
und Ensembleübungen, bei denen nur Schüler zu dirigiren hätten. Die aufzu¬
führenden Kompositionen würden zum Theil classische, zum Theil Schülerarbeiten
sein, damit sowohl die Komponisten immer Gelegenheit hätten, zu hören, was
sie schreiben, als auch die Instrumental-Klangfarben aus den Partituren der
vorgetragenen Meisterwerke studiren könnten. Mit Eintritt der Literaturgeschichts-
stunden würden die deutschen Sprachstunden wegfallen können, ebenso würde die
Physik (Akustik) in den Oberclassen an die Stelle der Naturkunde, die Kunstgeschichte
an die Stelle des Zeichnens treten. Bei solcher Vertheilung würden, einschlie߬
lich des Turnens, für die Unterclassen 4--5, für die Oberclassen einschließlich
der facultativen Fächer 5--6 Stunden täglich herauskommen -- gewiß nicht zu
viel. Dem übermäßigen Geklimper aber wäre damit das Handwerk gründlich
gelegt und die Geistesthütigkeit in so mannigfacher Weise angeregt, daß aus
einer solchen Anstalt schwerlich versimpelte Musikanten hervorgehen würden,
wie sie heute schaarenweise als ehemalige Schüler bedeutender Konservatorien
herumlaufen.

Wir sind etwas ins Luftschlösserbauen gerathen. Aus allen unseren Musik¬
schulen derartige Musteranstalten zu machen, wäre auch beim besten Willen der


zahl und Stündenfolge seine Arbeiten gruppiren. Dies ist aber nur möglich,
wenn auch der gesammte nicht musikalische Unterricht an der Anstalt selbst er¬
theilt wird. Zu den unentbehrlichen Fächern der allgemeinen Bildung rechnen
wir: Deutsch, Mathematik, Geographie und Geschichte, Naturkunde; auch eine
Stunde Zeichnen in der Woche würde noch ein Plätzchen finden. Desgleichen
müßte der Turnunterricht durchaus obligatorisch sein, da gerade der Berus des
Musikers eine besondere Kräftigung des Körpers nöthig hat, die gewöhnlich ganz
vernachlässigt wird. Für die oberen Classen wäre wünschenswerth Literatur¬
geschichte, Geschichte der bildenden Künste, fremde Sprachen, darunter obligato¬
risch Latein und Italienisch, facultativ Französisch und Englisch. Es ist wohl nicht
nöthig zu bemerken, daß sich die Lectüre in den fremden Sprachen vorzugsweise
auf Musikschriftsteller, Historiker und Theoretiker erstrecken müßte; denn selbst¬
verständlich ist es für den Musiker von Bedeutung, die musikalischen Kunstaus¬
drücke der anderen Sprachen gründlich kennen zu lernen, da er als Virtuose
sicher, aber auch als Componist, Lehrer und Dirigent leicht in die Lage kommt,
ihrer zu bedürfen. Den eigentlichen Stamm der Unterrichtsstunden müßten
natürlich die Musikstunden bilden und zwar täglich eine Stunde für das Solo¬
instrument des Schülers (für Sänger: Gesang), vielleicht zwei wöchentlich sür
ein anderes Instrument (Clavier, Violine), drei Stunden Theorie, eine Stunde
allgemeine Musiklehre, drei Musikgeschichte, in den Oberclassen je eine Stunde
Aesthetik, Akustik, Mensuralnotenkunde, Unterrichtsmethode und Partiturspiel.
Einige Stunden wöchentlich müßten reservirt bleiben für orchestrale Aufführungen
und Ensembleübungen, bei denen nur Schüler zu dirigiren hätten. Die aufzu¬
führenden Kompositionen würden zum Theil classische, zum Theil Schülerarbeiten
sein, damit sowohl die Komponisten immer Gelegenheit hätten, zu hören, was
sie schreiben, als auch die Instrumental-Klangfarben aus den Partituren der
vorgetragenen Meisterwerke studiren könnten. Mit Eintritt der Literaturgeschichts-
stunden würden die deutschen Sprachstunden wegfallen können, ebenso würde die
Physik (Akustik) in den Oberclassen an die Stelle der Naturkunde, die Kunstgeschichte
an die Stelle des Zeichnens treten. Bei solcher Vertheilung würden, einschlie߬
lich des Turnens, für die Unterclassen 4—5, für die Oberclassen einschließlich
der facultativen Fächer 5—6 Stunden täglich herauskommen — gewiß nicht zu
viel. Dem übermäßigen Geklimper aber wäre damit das Handwerk gründlich
gelegt und die Geistesthütigkeit in so mannigfacher Weise angeregt, daß aus
einer solchen Anstalt schwerlich versimpelte Musikanten hervorgehen würden,
wie sie heute schaarenweise als ehemalige Schüler bedeutender Konservatorien
herumlaufen.

Wir sind etwas ins Luftschlösserbauen gerathen. Aus allen unseren Musik¬
schulen derartige Musteranstalten zu machen, wäre auch beim besten Willen der


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[0223] zahl und Stündenfolge seine Arbeiten gruppiren. Dies ist aber nur möglich, wenn auch der gesammte nicht musikalische Unterricht an der Anstalt selbst er¬ theilt wird. Zu den unentbehrlichen Fächern der allgemeinen Bildung rechnen wir: Deutsch, Mathematik, Geographie und Geschichte, Naturkunde; auch eine Stunde Zeichnen in der Woche würde noch ein Plätzchen finden. Desgleichen müßte der Turnunterricht durchaus obligatorisch sein, da gerade der Berus des Musikers eine besondere Kräftigung des Körpers nöthig hat, die gewöhnlich ganz vernachlässigt wird. Für die oberen Classen wäre wünschenswerth Literatur¬ geschichte, Geschichte der bildenden Künste, fremde Sprachen, darunter obligato¬ risch Latein und Italienisch, facultativ Französisch und Englisch. Es ist wohl nicht nöthig zu bemerken, daß sich die Lectüre in den fremden Sprachen vorzugsweise auf Musikschriftsteller, Historiker und Theoretiker erstrecken müßte; denn selbst¬ verständlich ist es für den Musiker von Bedeutung, die musikalischen Kunstaus¬ drücke der anderen Sprachen gründlich kennen zu lernen, da er als Virtuose sicher, aber auch als Componist, Lehrer und Dirigent leicht in die Lage kommt, ihrer zu bedürfen. Den eigentlichen Stamm der Unterrichtsstunden müßten natürlich die Musikstunden bilden und zwar täglich eine Stunde für das Solo¬ instrument des Schülers (für Sänger: Gesang), vielleicht zwei wöchentlich sür ein anderes Instrument (Clavier, Violine), drei Stunden Theorie, eine Stunde allgemeine Musiklehre, drei Musikgeschichte, in den Oberclassen je eine Stunde Aesthetik, Akustik, Mensuralnotenkunde, Unterrichtsmethode und Partiturspiel. Einige Stunden wöchentlich müßten reservirt bleiben für orchestrale Aufführungen und Ensembleübungen, bei denen nur Schüler zu dirigiren hätten. Die aufzu¬ führenden Kompositionen würden zum Theil classische, zum Theil Schülerarbeiten sein, damit sowohl die Komponisten immer Gelegenheit hätten, zu hören, was sie schreiben, als auch die Instrumental-Klangfarben aus den Partituren der vorgetragenen Meisterwerke studiren könnten. Mit Eintritt der Literaturgeschichts- stunden würden die deutschen Sprachstunden wegfallen können, ebenso würde die Physik (Akustik) in den Oberclassen an die Stelle der Naturkunde, die Kunstgeschichte an die Stelle des Zeichnens treten. Bei solcher Vertheilung würden, einschlie߬ lich des Turnens, für die Unterclassen 4—5, für die Oberclassen einschließlich der facultativen Fächer 5—6 Stunden täglich herauskommen — gewiß nicht zu viel. Dem übermäßigen Geklimper aber wäre damit das Handwerk gründlich gelegt und die Geistesthütigkeit in so mannigfacher Weise angeregt, daß aus einer solchen Anstalt schwerlich versimpelte Musikanten hervorgehen würden, wie sie heute schaarenweise als ehemalige Schüler bedeutender Konservatorien herumlaufen. Wir sind etwas ins Luftschlösserbauen gerathen. Aus allen unseren Musik¬ schulen derartige Musteranstalten zu machen, wäre auch beim besten Willen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/223>, abgerufen am 03.07.2024.