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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Musikschulen ganz anderes geleistet werden als thatsächlich geleistet wird. Das
erste Erforderniß aber wäre die Einführung einer strengen Schuldiseiplin mit
Ehren- und Freiheitsstrafen für die Säumigen. Nur wo solche Mittel zur An¬
wendung kommen, wird ein regulärer Besuch zu erreichen sein. sogut der
Primaner eines Gymnasiums Bestrafungen unterworfen ist, könnte es auch der
Conservatorist sein. Die Controle aber, wie sie heute gewöhnlich ist, erstreckt sich
viel mehr auf die Lehrer als auf die Schüler, es wird allenfalls revidirt, ob der
Lehrer rechtzeitig kommt und nicht zu früh geht, oder ob er nicht etwa manch¬
mal ganz wegbleibt (thut ers doch, so erfährt er einen Abzug am Honorar, im
Uebrigen schadet's nichts). Jenen Strafen aber müßte als Aequivalent ein Ge¬
winn an positiv Gebotenen gegenüberstehen, wobei wir in erster Linie Partituren¬
kenntniß, Directionsübung und Methodik des Unterrichts im Auge haben. Die
Classentheilung müßte strenger durchgeführt werden und der Uebergang aus
der einen in die andere als wirklicher Versetzungact erscheinen. Das Prineip
des gemeinsamen Unterrichts würde sich mit Glück auf eine Anzahl Stunden
ausdehnen lassen, für welche es bisher nicht zur Anwendung kommt, z. B. wür¬
den gewisse der allgemeinen Musiklehre angehörige Dinge, welche jetzt nur neben¬
bei, etwa in den Clavierstunden, zur Sprache kommen, besser in besonderen, für
Schüler derselben Classe gemeinsamen Stunden gelehrt werden. Die Rubrik "all¬
gemeine Musiklehre" gehört doch wohl überhaupt in den Organisationsplan
eines Musikinstituts; statt dessen bleibt es jedem Schüler überlassen, sich termini
teoknici und Specialerklärungen zahlloser Dinge hie und da zusammenzulesen,
wie es das Glück will.

Hiermit ist das Bild, welches wir uns von einer rechten musikalischen Fach¬
schule machen, freilich noch lange nicht umschrieben. Wir wollen kurz sein und,
statt noch weiter über die Mängel unserer gegenwärtigen Musikschulen zu klagen,
einfach zusammenstellen, was wir glauben, von einem wirklichen Musterinstitut
fordern zu dürfen.

Eine Schule, die es sich zur speciellen Aufgabe macht, Musiker für ihren
Beruf vorzubilden, darf sich nicht darauf beschränken, denselben eine Anzahl
Musikstunden zu billigem Preise zu offeriren und ihre sonstige Erziehung Eltern
oder Pflegern anheimstellen, sondern sie muß das Erziehungswerk ganz
übernehmen und möglichst vollständig über die Zeit ihrer Zöglinge
disponiren. Männer, welche dazu berufen werden oder selbst die Initiative
ergreifen, eine solche Schule zu leite", müssen besser wissen als die den ver¬
schiedensten Berufsarten ungehörigen Eltern der Schüler, was dem Musiker
noth thut, welche Nebenfächer sein Hauptstudium fördern und wie viel Zeit
er auf seine außermusikalische Bildung verwenden kann; vor allem darf es
nicht dem Zufall überlassen bleiben, wie sich in Bezug auf Tage, Stunden-


Musikschulen ganz anderes geleistet werden als thatsächlich geleistet wird. Das
erste Erforderniß aber wäre die Einführung einer strengen Schuldiseiplin mit
Ehren- und Freiheitsstrafen für die Säumigen. Nur wo solche Mittel zur An¬
wendung kommen, wird ein regulärer Besuch zu erreichen sein. sogut der
Primaner eines Gymnasiums Bestrafungen unterworfen ist, könnte es auch der
Conservatorist sein. Die Controle aber, wie sie heute gewöhnlich ist, erstreckt sich
viel mehr auf die Lehrer als auf die Schüler, es wird allenfalls revidirt, ob der
Lehrer rechtzeitig kommt und nicht zu früh geht, oder ob er nicht etwa manch¬
mal ganz wegbleibt (thut ers doch, so erfährt er einen Abzug am Honorar, im
Uebrigen schadet's nichts). Jenen Strafen aber müßte als Aequivalent ein Ge¬
winn an positiv Gebotenen gegenüberstehen, wobei wir in erster Linie Partituren¬
kenntniß, Directionsübung und Methodik des Unterrichts im Auge haben. Die
Classentheilung müßte strenger durchgeführt werden und der Uebergang aus
der einen in die andere als wirklicher Versetzungact erscheinen. Das Prineip
des gemeinsamen Unterrichts würde sich mit Glück auf eine Anzahl Stunden
ausdehnen lassen, für welche es bisher nicht zur Anwendung kommt, z. B. wür¬
den gewisse der allgemeinen Musiklehre angehörige Dinge, welche jetzt nur neben¬
bei, etwa in den Clavierstunden, zur Sprache kommen, besser in besonderen, für
Schüler derselben Classe gemeinsamen Stunden gelehrt werden. Die Rubrik „all¬
gemeine Musiklehre" gehört doch wohl überhaupt in den Organisationsplan
eines Musikinstituts; statt dessen bleibt es jedem Schüler überlassen, sich termini
teoknici und Specialerklärungen zahlloser Dinge hie und da zusammenzulesen,
wie es das Glück will.

Hiermit ist das Bild, welches wir uns von einer rechten musikalischen Fach¬
schule machen, freilich noch lange nicht umschrieben. Wir wollen kurz sein und,
statt noch weiter über die Mängel unserer gegenwärtigen Musikschulen zu klagen,
einfach zusammenstellen, was wir glauben, von einem wirklichen Musterinstitut
fordern zu dürfen.

Eine Schule, die es sich zur speciellen Aufgabe macht, Musiker für ihren
Beruf vorzubilden, darf sich nicht darauf beschränken, denselben eine Anzahl
Musikstunden zu billigem Preise zu offeriren und ihre sonstige Erziehung Eltern
oder Pflegern anheimstellen, sondern sie muß das Erziehungswerk ganz
übernehmen und möglichst vollständig über die Zeit ihrer Zöglinge
disponiren. Männer, welche dazu berufen werden oder selbst die Initiative
ergreifen, eine solche Schule zu leite», müssen besser wissen als die den ver¬
schiedensten Berufsarten ungehörigen Eltern der Schüler, was dem Musiker
noth thut, welche Nebenfächer sein Hauptstudium fördern und wie viel Zeit
er auf seine außermusikalische Bildung verwenden kann; vor allem darf es
nicht dem Zufall überlassen bleiben, wie sich in Bezug auf Tage, Stunden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/222>, abgerufen am 22.07.2024.