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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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und Großbritannien, verherrlichten in kürzeren oder längeren Gedichten (erstere
"Flott", letztere "Drapa" genannt) diese vornehmen Herren und erhielten zum
Lohn dafür Geschenke (Waffen, Schmucksachen, Gewänder, Handelsschiffe) oder
wurden in den Hofstaat der Fürsten aufgenommen.

Das Eigenthümliche der Skaldenstrophen, die meist ziemlich prosaische Ge¬
danken enthalten, besteht, wenn man namentlich die extremste Richtung ins Auge
faßt, in einer gewissen Anzahl von Versen (z. B. 8), einer bestimmten Zahl
von Hebungen in jedem Verse (z, B. 3), in Stab-, End- und Binnenreim, in
seltsamen Vertauschungen oder Umschreibungen einfacher Begriffsbezeichnungen,
wozu namentlich Anspielungen auf Mythologie und Heldensage dienten, und in
äußerst kühner, durcheinander geworfener Wortstellung. Endreim und Stabreim
(Alliteration) find bekannte Dinge. Der Binnenreim besteht darin, daß in der¬
selben Verszeile Wörter angewandt werden, die in ihrem Innern entweder
gleich oder ähnlichklingende Silben haben. Binnenreime sind z. B. fragen:
sagte, aber auch rennen: Brunnen, laufen: schlafen u. s. w. Um ein Bild der
seltsamen Wortumschreibungen zu geben, lassen wir eine Strophe in prosaischer
Wiedergabe folgen (Horn S. 34, Anm.), welche der isländische Stätte Gunn-
laug Schlangenzunge dichtet, wie er seine ehemalige Braut wiedersieht, die
während seiner zu langen Abwesenheit aus dem Heimatlande gegen ihren Willen
die Frau von Hrafn, ebenfalls einem Statten und Gunnlaugs Widersacher,
geworden ist:

"Der Mond der Brauen der weißgekleideten Göttin der Zwiebelsuppe schien
strahlend wie der des Falken auf mich vom lichten Himmel der Brauen; aber der
Strahlenglanz vom Augenlider-Mond der Goldring-Göttin bewirkt seitdem mein
und der Ring-Göttin Unglück", d. h. "Das Auge des weißgekleideten Weibes (seiner
ehemaligen Braut) schien strahlend wie das des Falken auf mich von der Stirn,
aber der Strahlenglanz des Auges des Weibes bewirkt seitdem mein und des
Weibes Unglück".

Doch nicht alle Skaldendichtungen sind so verschrobener Art; manche haben
einfacheren Ausdruck, wie die alten Eddalieder, und tragen wirklich poetisches
Gepräge.

Das Wort "Saga" ist zwar desselben Ursprungs, wie unser Wort "Sage",
bedeutet indessen nichl dasselbe, sondern "Erzählung". Die Nordländer kannten
kein größeres geistiges Vergnügen, als das Erzählen und Erzählenhören von
Vorgängen aus dem eignen oder aus fernen Landen. Das gilt ganz besonders
von den Jsländern, die ja so abgeschlossen von der übrigen Welt waren, daß
sich der größte Theil von ihnen hinsichtlich fremdländischer Menschen mit Be¬
richten begnügen mußte; die Winter und Winternächte aber auf ihrer Insel
sind so ausgedehnt, daß die Leute vor Langeweile hätten umkommen müssen,


Grenzboten II. 1880. 2ö

und Großbritannien, verherrlichten in kürzeren oder längeren Gedichten (erstere
„Flott", letztere „Drapa" genannt) diese vornehmen Herren und erhielten zum
Lohn dafür Geschenke (Waffen, Schmucksachen, Gewänder, Handelsschiffe) oder
wurden in den Hofstaat der Fürsten aufgenommen.

Das Eigenthümliche der Skaldenstrophen, die meist ziemlich prosaische Ge¬
danken enthalten, besteht, wenn man namentlich die extremste Richtung ins Auge
faßt, in einer gewissen Anzahl von Versen (z. B. 8), einer bestimmten Zahl
von Hebungen in jedem Verse (z, B. 3), in Stab-, End- und Binnenreim, in
seltsamen Vertauschungen oder Umschreibungen einfacher Begriffsbezeichnungen,
wozu namentlich Anspielungen auf Mythologie und Heldensage dienten, und in
äußerst kühner, durcheinander geworfener Wortstellung. Endreim und Stabreim
(Alliteration) find bekannte Dinge. Der Binnenreim besteht darin, daß in der¬
selben Verszeile Wörter angewandt werden, die in ihrem Innern entweder
gleich oder ähnlichklingende Silben haben. Binnenreime sind z. B. fragen:
sagte, aber auch rennen: Brunnen, laufen: schlafen u. s. w. Um ein Bild der
seltsamen Wortumschreibungen zu geben, lassen wir eine Strophe in prosaischer
Wiedergabe folgen (Horn S. 34, Anm.), welche der isländische Stätte Gunn-
laug Schlangenzunge dichtet, wie er seine ehemalige Braut wiedersieht, die
während seiner zu langen Abwesenheit aus dem Heimatlande gegen ihren Willen
die Frau von Hrafn, ebenfalls einem Statten und Gunnlaugs Widersacher,
geworden ist:

„Der Mond der Brauen der weißgekleideten Göttin der Zwiebelsuppe schien
strahlend wie der des Falken auf mich vom lichten Himmel der Brauen; aber der
Strahlenglanz vom Augenlider-Mond der Goldring-Göttin bewirkt seitdem mein
und der Ring-Göttin Unglück", d. h. „Das Auge des weißgekleideten Weibes (seiner
ehemaligen Braut) schien strahlend wie das des Falken auf mich von der Stirn,
aber der Strahlenglanz des Auges des Weibes bewirkt seitdem mein und des
Weibes Unglück".

Doch nicht alle Skaldendichtungen sind so verschrobener Art; manche haben
einfacheren Ausdruck, wie die alten Eddalieder, und tragen wirklich poetisches
Gepräge.

Das Wort „Saga" ist zwar desselben Ursprungs, wie unser Wort „Sage",
bedeutet indessen nichl dasselbe, sondern „Erzählung". Die Nordländer kannten
kein größeres geistiges Vergnügen, als das Erzählen und Erzählenhören von
Vorgängen aus dem eignen oder aus fernen Landen. Das gilt ganz besonders
von den Jsländern, die ja so abgeschlossen von der übrigen Welt waren, daß
sich der größte Theil von ihnen hinsichtlich fremdländischer Menschen mit Be¬
richten begnügen mußte; die Winter und Winternächte aber auf ihrer Insel
sind so ausgedehnt, daß die Leute vor Langeweile hätten umkommen müssen,


Grenzboten II. 1880. 2ö
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/205>, abgerufen am 22.07.2024.