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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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stellen. Außerdem hat der Reichskanzler zwar nicht in der Eigenschaft als Vor¬
sitzender des Bundesraths und nicht im Präsidialauftrage, sondern im Namen
des Kaisers und unter dem Namen der preußischen Regierung einen Antrag
im Bundesrathe auf Revision der Geschäftsordnung eingebracht. Als revisions¬
bedürftig sind folgende Punkte der Geschäftsordnung vom 27. Februar 1871
bezeichnet: Die Verkeilung der legislativen Arbeiten auf die ganze Arbeits¬
periode des Bundesraths, die Beschlußfassung über diese Arbeiten durch Bevoll¬
mächtigte oder durch substituirte Stimmen, die Verlegung der Hauptarbeit, His
auf die letzte formelle Beschlußfassung, in die Ausschüsse. Statt dessen schlägt
der Kanzler die Beschränkung der legislativen Abstimmungen auf eine kurz be¬
messene Periode des Jahres vor, während welcher die leitenden Minister zu
Conferenzen persönlich zusammenzutreten gehalten sein sollen. Zweitens sollen
die Substitutionen verboten werden, was vielleicht, wie wir hinzusetzen, die Folge
dabei: kaun, daß für die administrativen Aufgaben des Bundesrathes durch
regelmäßiges Fehlen der kleineren Staaten eine Art Directorium sich heraus¬
bildet. Drittens soll die Vorbereitung der Gesetze nicht so regelmäßig wie bis¬
her den Ausschüssen übertragen werden, sondern häufiger im Plenum des
Bundesrathes stattfinden, also wohl in die Periode der Ministerialeonfercnzen
verlegt werden. Viertens soll eine letzte Lesung, die man als zweite oder dritte
bezeichnen mag, je nachdem man die Ueberweisung an Plenum oder Ausschüsse
als erste Lesung betrachtet, eingeführt werden.

Man sieht, diese Vorschläge bringen ohne Verfassungsänderung auf dem
Wege der Geschäftsordnung für die Präsidialmacht den Einfluß zurück, oder
erleichtern ihr die Ausübung desselben, an welchen unzweifelhaft schon bei dem
Entwürfe der norddeutschen Bundesverfassung gedacht war, und ohne welchen
die Einheit der Bundesaetion schwer zu erreiche" ist. Der Einfluß wird uicht
durch formelle Befugnisse, sondern nur durch die Erforderniß des unmittelbar
persönlichen Verkehrs der Bundesvertreter und durch Verhütung sicher gestellt,
daß stehende Vertreter sich einzelner Zweige der Bundesthätigkeit im Wege des
Schlendrians ohne entsprechendes Gewicht der vertretenen Einzelregierungen be¬
mächtigen. Vorausgesetzt ist dabei, daß die Präsidialmacht dnrch Persönlichkeiten
von überlegener Autorität, Erfahrung und Gewandtheit vertreten sei. Darauf,
daß Preußen an die Spitze seiner eigenen wie der deutschen Angelegenheiten
immer die tüchtigsten Männer zu bringen wisse, beruht schon seit lange das
Gedeihen, ja die Sicherheit Deutschlands. Dieselbe war immer gefährdet, wenn
Kleinmuth und Schlendrian sich der preußischen Dinge bemächtigt hatten. Man be¬
zeichnet dies allzuleicht als einen Mangel der deutschen und namentlich der neueren
Reichsinstitntionen. Daß Deutschland weniger als andere Staaten mit schlechten
oder mittelmäßigen Kräften an seiner Spitze eine Zeit lang leidlich auskommen


stellen. Außerdem hat der Reichskanzler zwar nicht in der Eigenschaft als Vor¬
sitzender des Bundesraths und nicht im Präsidialauftrage, sondern im Namen
des Kaisers und unter dem Namen der preußischen Regierung einen Antrag
im Bundesrathe auf Revision der Geschäftsordnung eingebracht. Als revisions¬
bedürftig sind folgende Punkte der Geschäftsordnung vom 27. Februar 1871
bezeichnet: Die Verkeilung der legislativen Arbeiten auf die ganze Arbeits¬
periode des Bundesraths, die Beschlußfassung über diese Arbeiten durch Bevoll¬
mächtigte oder durch substituirte Stimmen, die Verlegung der Hauptarbeit, His
auf die letzte formelle Beschlußfassung, in die Ausschüsse. Statt dessen schlägt
der Kanzler die Beschränkung der legislativen Abstimmungen auf eine kurz be¬
messene Periode des Jahres vor, während welcher die leitenden Minister zu
Conferenzen persönlich zusammenzutreten gehalten sein sollen. Zweitens sollen
die Substitutionen verboten werden, was vielleicht, wie wir hinzusetzen, die Folge
dabei: kaun, daß für die administrativen Aufgaben des Bundesrathes durch
regelmäßiges Fehlen der kleineren Staaten eine Art Directorium sich heraus¬
bildet. Drittens soll die Vorbereitung der Gesetze nicht so regelmäßig wie bis¬
her den Ausschüssen übertragen werden, sondern häufiger im Plenum des
Bundesrathes stattfinden, also wohl in die Periode der Ministerialeonfercnzen
verlegt werden. Viertens soll eine letzte Lesung, die man als zweite oder dritte
bezeichnen mag, je nachdem man die Ueberweisung an Plenum oder Ausschüsse
als erste Lesung betrachtet, eingeführt werden.

Man sieht, diese Vorschläge bringen ohne Verfassungsänderung auf dem
Wege der Geschäftsordnung für die Präsidialmacht den Einfluß zurück, oder
erleichtern ihr die Ausübung desselben, an welchen unzweifelhaft schon bei dem
Entwürfe der norddeutschen Bundesverfassung gedacht war, und ohne welchen
die Einheit der Bundesaetion schwer zu erreiche» ist. Der Einfluß wird uicht
durch formelle Befugnisse, sondern nur durch die Erforderniß des unmittelbar
persönlichen Verkehrs der Bundesvertreter und durch Verhütung sicher gestellt,
daß stehende Vertreter sich einzelner Zweige der Bundesthätigkeit im Wege des
Schlendrians ohne entsprechendes Gewicht der vertretenen Einzelregierungen be¬
mächtigen. Vorausgesetzt ist dabei, daß die Präsidialmacht dnrch Persönlichkeiten
von überlegener Autorität, Erfahrung und Gewandtheit vertreten sei. Darauf,
daß Preußen an die Spitze seiner eigenen wie der deutschen Angelegenheiten
immer die tüchtigsten Männer zu bringen wisse, beruht schon seit lange das
Gedeihen, ja die Sicherheit Deutschlands. Dieselbe war immer gefährdet, wenn
Kleinmuth und Schlendrian sich der preußischen Dinge bemächtigt hatten. Man be¬
zeichnet dies allzuleicht als einen Mangel der deutschen und namentlich der neueren
Reichsinstitntionen. Daß Deutschland weniger als andere Staaten mit schlechten
oder mittelmäßigen Kräften an seiner Spitze eine Zeit lang leidlich auskommen


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[0176] stellen. Außerdem hat der Reichskanzler zwar nicht in der Eigenschaft als Vor¬ sitzender des Bundesraths und nicht im Präsidialauftrage, sondern im Namen des Kaisers und unter dem Namen der preußischen Regierung einen Antrag im Bundesrathe auf Revision der Geschäftsordnung eingebracht. Als revisions¬ bedürftig sind folgende Punkte der Geschäftsordnung vom 27. Februar 1871 bezeichnet: Die Verkeilung der legislativen Arbeiten auf die ganze Arbeits¬ periode des Bundesraths, die Beschlußfassung über diese Arbeiten durch Bevoll¬ mächtigte oder durch substituirte Stimmen, die Verlegung der Hauptarbeit, His auf die letzte formelle Beschlußfassung, in die Ausschüsse. Statt dessen schlägt der Kanzler die Beschränkung der legislativen Abstimmungen auf eine kurz be¬ messene Periode des Jahres vor, während welcher die leitenden Minister zu Conferenzen persönlich zusammenzutreten gehalten sein sollen. Zweitens sollen die Substitutionen verboten werden, was vielleicht, wie wir hinzusetzen, die Folge dabei: kaun, daß für die administrativen Aufgaben des Bundesrathes durch regelmäßiges Fehlen der kleineren Staaten eine Art Directorium sich heraus¬ bildet. Drittens soll die Vorbereitung der Gesetze nicht so regelmäßig wie bis¬ her den Ausschüssen übertragen werden, sondern häufiger im Plenum des Bundesrathes stattfinden, also wohl in die Periode der Ministerialeonfercnzen verlegt werden. Viertens soll eine letzte Lesung, die man als zweite oder dritte bezeichnen mag, je nachdem man die Ueberweisung an Plenum oder Ausschüsse als erste Lesung betrachtet, eingeführt werden. Man sieht, diese Vorschläge bringen ohne Verfassungsänderung auf dem Wege der Geschäftsordnung für die Präsidialmacht den Einfluß zurück, oder erleichtern ihr die Ausübung desselben, an welchen unzweifelhaft schon bei dem Entwürfe der norddeutschen Bundesverfassung gedacht war, und ohne welchen die Einheit der Bundesaetion schwer zu erreiche» ist. Der Einfluß wird uicht durch formelle Befugnisse, sondern nur durch die Erforderniß des unmittelbar persönlichen Verkehrs der Bundesvertreter und durch Verhütung sicher gestellt, daß stehende Vertreter sich einzelner Zweige der Bundesthätigkeit im Wege des Schlendrians ohne entsprechendes Gewicht der vertretenen Einzelregierungen be¬ mächtigen. Vorausgesetzt ist dabei, daß die Präsidialmacht dnrch Persönlichkeiten von überlegener Autorität, Erfahrung und Gewandtheit vertreten sei. Darauf, daß Preußen an die Spitze seiner eigenen wie der deutschen Angelegenheiten immer die tüchtigsten Männer zu bringen wisse, beruht schon seit lange das Gedeihen, ja die Sicherheit Deutschlands. Dieselbe war immer gefährdet, wenn Kleinmuth und Schlendrian sich der preußischen Dinge bemächtigt hatten. Man be¬ zeichnet dies allzuleicht als einen Mangel der deutschen und namentlich der neueren Reichsinstitntionen. Daß Deutschland weniger als andere Staaten mit schlechten oder mittelmäßigen Kräften an seiner Spitze eine Zeit lang leidlich auskommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/176>, abgerufen am 26.06.2024.