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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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der um den Werth derselben wachst, dein Import wird keine entsprechende Ver¬
größerung zu Theil; im merkantilistischen Jargon ausgedruckt: Die Handels¬
bilanz wird um soviel günstiger. Und sie wird um so günstiger, je großer die
Zahlungen sind, die so durch Ausfuhr von Waaren gedeckt werden.

Sehen wir uns einen Augenblick in der Wirklichkeit um. Wir haben oben die
vier wichtigsten Staaten genannt, welche im letzten Jahrzehnt günstige Handels¬
bilanzen aufzuweisen hatten. So lange die Franzosen an den Milliarden zahlten,
erfreuten sie sich ungemein günstiger Bilanzen.*) Oesterreich, Rußland und die
Vereinigten Staaten, und namentlich die letzteren, haben, wie jedermann weiß,
unermeßliche Darlehen vom Auslande aufgenommen, in den amerikanischen
Eisenbahnen allein stecken ungezählte Milliarden europäischen Capitals. Und
die Summen, welche dafür alljährlich an Verzinsung und Amortisirung aus
diesen drei Staaten hinausgeschickt werden müssen, find so ungeheuer, daß selbst
die so großartige amerikanische Metallproduction nicht annähernd ausreichen
würde, um in Münze zu zahlen. Der Zusammenhang zwischen den günstigen
Handelsbilanzen und den großen Zahlungen, die dem Auslande zu leisten sind,
liegt also auch hier klar genug am Tage.**)

Daß diese Völker ihre Schulden bezahlen, ist gewiß löblich; aber wenn
man sich, wie es besonders die Amerikaner so gerne thun, fortwährend wegen
der sogenannten günstigen Handelsbilanzen brüstet und beglückwünscht, so ist
dies eine arge Verkehrtheit und zugleich ein Beweis, daß man sich allerlei un¬
begründeten Illusionen hinsichtlich derselben hingiebt. Zahlte die Türkei ihren
Gläubigern, was sie denselben zu zahlen schuldig ist, so würde sie sich wahr¬
scheinlich ebenfalls einer günstigen Handelsbilanz erfreuen, anstatt wie jetzt mit
einem Passivsaldo abschließen zu müssen***).

Größere Uebertragungen von Capital aus einem Lande in ein anderes
werden übrigens begreiflicher Weise wie in dem einen Lande auf die günstigen,
so in dein anderen, oder sagen wir lieber in irgend einem anderen Lande, einen
ähnlichen Einfluß auf die ungüttstigeu Handelsbilanzen üben. Waaren, die man





*) Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, daß Frankreich die ganze Kricgs-
kostcnentschädignng durch vermehrte Waarenansfuhr gedeckt habe. Bekanntlich sind in die
französischen Anleihen zum Theil im Auslande placirt worden; größere Summen wurden
auch nach und nach in baarem Gelde abgetragen. Und wieviel mag vermittelst Uebertragung
fremder, in französischen Bauden befindlicher Werthpapiere u, tgi. getilgt worden sem!
Interessant wäre es zu wissen, wie viel von diesen letzteren so nach Deutschland gewandert
siud; freilich wird sich das nie constatiren lassen.
**) Größere Theile ihrer Schulden werdeu allerdings auch, zumal von Oesterreich
und Rusland, immer wieder durch neue Anleihen im Auslande abgetragen, wodurch dann
insoweit die Bilanz des Handels vorerst nicht afficirt wird.
***) Die Türkei hatte im Jahre 1878 z, B. nach Neumann-Spallart einen Ueberschuß
der Einfuhr von 16 Millionen Gulden Oe. W.

der um den Werth derselben wachst, dein Import wird keine entsprechende Ver¬
größerung zu Theil; im merkantilistischen Jargon ausgedruckt: Die Handels¬
bilanz wird um soviel günstiger. Und sie wird um so günstiger, je großer die
Zahlungen sind, die so durch Ausfuhr von Waaren gedeckt werden.

Sehen wir uns einen Augenblick in der Wirklichkeit um. Wir haben oben die
vier wichtigsten Staaten genannt, welche im letzten Jahrzehnt günstige Handels¬
bilanzen aufzuweisen hatten. So lange die Franzosen an den Milliarden zahlten,
erfreuten sie sich ungemein günstiger Bilanzen.*) Oesterreich, Rußland und die
Vereinigten Staaten, und namentlich die letzteren, haben, wie jedermann weiß,
unermeßliche Darlehen vom Auslande aufgenommen, in den amerikanischen
Eisenbahnen allein stecken ungezählte Milliarden europäischen Capitals. Und
die Summen, welche dafür alljährlich an Verzinsung und Amortisirung aus
diesen drei Staaten hinausgeschickt werden müssen, find so ungeheuer, daß selbst
die so großartige amerikanische Metallproduction nicht annähernd ausreichen
würde, um in Münze zu zahlen. Der Zusammenhang zwischen den günstigen
Handelsbilanzen und den großen Zahlungen, die dem Auslande zu leisten sind,
liegt also auch hier klar genug am Tage.**)

Daß diese Völker ihre Schulden bezahlen, ist gewiß löblich; aber wenn
man sich, wie es besonders die Amerikaner so gerne thun, fortwährend wegen
der sogenannten günstigen Handelsbilanzen brüstet und beglückwünscht, so ist
dies eine arge Verkehrtheit und zugleich ein Beweis, daß man sich allerlei un¬
begründeten Illusionen hinsichtlich derselben hingiebt. Zahlte die Türkei ihren
Gläubigern, was sie denselben zu zahlen schuldig ist, so würde sie sich wahr¬
scheinlich ebenfalls einer günstigen Handelsbilanz erfreuen, anstatt wie jetzt mit
einem Passivsaldo abschließen zu müssen***).

Größere Uebertragungen von Capital aus einem Lande in ein anderes
werden übrigens begreiflicher Weise wie in dem einen Lande auf die günstigen,
so in dein anderen, oder sagen wir lieber in irgend einem anderen Lande, einen
ähnlichen Einfluß auf die ungüttstigeu Handelsbilanzen üben. Waaren, die man





*) Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, daß Frankreich die ganze Kricgs-
kostcnentschädignng durch vermehrte Waarenansfuhr gedeckt habe. Bekanntlich sind in die
französischen Anleihen zum Theil im Auslande placirt worden; größere Summen wurden
auch nach und nach in baarem Gelde abgetragen. Und wieviel mag vermittelst Uebertragung
fremder, in französischen Bauden befindlicher Werthpapiere u, tgi. getilgt worden sem!
Interessant wäre es zu wissen, wie viel von diesen letzteren so nach Deutschland gewandert
siud; freilich wird sich das nie constatiren lassen.
**) Größere Theile ihrer Schulden werdeu allerdings auch, zumal von Oesterreich
und Rusland, immer wieder durch neue Anleihen im Auslande abgetragen, wodurch dann
insoweit die Bilanz des Handels vorerst nicht afficirt wird.
***) Die Türkei hatte im Jahre 1878 z, B. nach Neumann-Spallart einen Ueberschuß
der Einfuhr von 16 Millionen Gulden Oe. W.
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[0143] der um den Werth derselben wachst, dein Import wird keine entsprechende Ver¬ größerung zu Theil; im merkantilistischen Jargon ausgedruckt: Die Handels¬ bilanz wird um soviel günstiger. Und sie wird um so günstiger, je großer die Zahlungen sind, die so durch Ausfuhr von Waaren gedeckt werden. Sehen wir uns einen Augenblick in der Wirklichkeit um. Wir haben oben die vier wichtigsten Staaten genannt, welche im letzten Jahrzehnt günstige Handels¬ bilanzen aufzuweisen hatten. So lange die Franzosen an den Milliarden zahlten, erfreuten sie sich ungemein günstiger Bilanzen.*) Oesterreich, Rußland und die Vereinigten Staaten, und namentlich die letzteren, haben, wie jedermann weiß, unermeßliche Darlehen vom Auslande aufgenommen, in den amerikanischen Eisenbahnen allein stecken ungezählte Milliarden europäischen Capitals. Und die Summen, welche dafür alljährlich an Verzinsung und Amortisirung aus diesen drei Staaten hinausgeschickt werden müssen, find so ungeheuer, daß selbst die so großartige amerikanische Metallproduction nicht annähernd ausreichen würde, um in Münze zu zahlen. Der Zusammenhang zwischen den günstigen Handelsbilanzen und den großen Zahlungen, die dem Auslande zu leisten sind, liegt also auch hier klar genug am Tage.**) Daß diese Völker ihre Schulden bezahlen, ist gewiß löblich; aber wenn man sich, wie es besonders die Amerikaner so gerne thun, fortwährend wegen der sogenannten günstigen Handelsbilanzen brüstet und beglückwünscht, so ist dies eine arge Verkehrtheit und zugleich ein Beweis, daß man sich allerlei un¬ begründeten Illusionen hinsichtlich derselben hingiebt. Zahlte die Türkei ihren Gläubigern, was sie denselben zu zahlen schuldig ist, so würde sie sich wahr¬ scheinlich ebenfalls einer günstigen Handelsbilanz erfreuen, anstatt wie jetzt mit einem Passivsaldo abschließen zu müssen***). Größere Uebertragungen von Capital aus einem Lande in ein anderes werden übrigens begreiflicher Weise wie in dem einen Lande auf die günstigen, so in dein anderen, oder sagen wir lieber in irgend einem anderen Lande, einen ähnlichen Einfluß auf die ungüttstigeu Handelsbilanzen üben. Waaren, die man *) Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, daß Frankreich die ganze Kricgs- kostcnentschädignng durch vermehrte Waarenansfuhr gedeckt habe. Bekanntlich sind in die französischen Anleihen zum Theil im Auslande placirt worden; größere Summen wurden auch nach und nach in baarem Gelde abgetragen. Und wieviel mag vermittelst Uebertragung fremder, in französischen Bauden befindlicher Werthpapiere u, tgi. getilgt worden sem! Interessant wäre es zu wissen, wie viel von diesen letzteren so nach Deutschland gewandert siud; freilich wird sich das nie constatiren lassen. **) Größere Theile ihrer Schulden werdeu allerdings auch, zumal von Oesterreich und Rusland, immer wieder durch neue Anleihen im Auslande abgetragen, wodurch dann insoweit die Bilanz des Handels vorerst nicht afficirt wird. ***) Die Türkei hatte im Jahre 1878 z, B. nach Neumann-Spallart einen Ueberschuß der Einfuhr von 16 Millionen Gulden Oe. W.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/143>, abgerufen am 22.07.2024.