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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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des letzteren bedeutende Fortschritte gemacht haben. So war es wenig wahr¬
scheinlich, daß die Agitation Gladstones und seiner Anhänger auf die Gemüther
eine nachhaltige Wirkung haben würde. Die Thatsachen sprachen gegen ihn,
und sein fanatisches Auftreten, seine Hinneigung zu dem autokratisch regierten
Rußland, dem Erbfeinde der englischen Interessen im Osten Europas und in
Asien, gereichten ihm nicht zur Empfehlung.

Indeß, es ist anders gekommen, als man hiernach erwarten mußte, und
da es heutzutage keine Wunder mehr giebt, und der Sieg der Whigs und ihrer
Verbündeten sich aus einem etwaigen Mißvergnügen der Mehrzahl des engli¬
schen Volkes über die auswärtige Politik der Tories nicht wohl erklären läßt,
so folgt, daß ihr deren innere Politik nicht gefallen haben wird, womit die uns
aus guter Quelle zukommende Beobachtung stimmt, daß radikale und selbst
republikanische Ideen in den letzten Jahren unter den Engländern starke Ver¬
breitung gefunden haben, und zwar keineswegs blos unter den niederen Schichten
derselben, den Fabrikarbeitern u. tgi., sondern auch unter den Mittelklassen und
selbst auf dem Platten Lande.

Was das für die weitere Entwicklung der Schicksale des brittischen Volkes
zu bedeuten hat, kümmert uns hier nicht. Wir haben zunächst nur nach unseren
den deutschen, Interessen und dann unserer Verbündeten in Oesterreich-Ungarn
zu sehen und zu fragen. Was also droht oder was verheißt uns der Um¬
schwung im politischen Leben Großbritanniens, der an Stelle der Tories die
Whigs zur Herrschaft gebracht hat? Was haben wir von den neuen Ministern
der Königin Victoria zu hoffen oder zu fürchten? Welche Stellung werden sie
in der auswärtigen Politik einnehmen? Wie werden sie sich namentlich zu
Rußland und zu Italien verhalten, die man in letzter Zeit häufig znscunmen-
nennen hörte? Oder wird die auswärtige Politik des Reiches jenseits des
Canals der Wahrscheinlichkeit nach trotz aller gewaltigen Reden Gladstones, trotz
seines wiederholt deutlich hervorgetretenen Hasses gegen Oesterreich-Ungarn und
seiner Sympathien mit dem Panslcwismus und der Partei der Irrsäentg, Italie
in allen wesentlichen Punkten ungefähr dieselbe bleiben wie die, welche Beacons-
field und seine Anhänger verfolgt haben? -- Wir find geneigt, die letzte Frage
zu bejahen, und zwar auf Grund folgender Betrachtungen.

Zunächst ist die zur Regierung gelangte Partei keine in allen Stücken
einige. Sie wird allerdings nicht mit den Homerulern, die völlig unenglischem
Zielen zustreben, zu pactireu und sie bei der Entscheidung gewisser Fragen in
sich aufzunehmen haben, wie anfangs erwartet wurde, fondern vielmehr stark
genug fein, diese gänzlich beiseite liegen zu lassen. Aber auch so enthält sie
noch viele disparate Elemente. Hartington denkt -- von den Radicalen, die,
im neuen Parlamente sitzen werden, völlig abgesehen -- über verschiedene Haupt-


des letzteren bedeutende Fortschritte gemacht haben. So war es wenig wahr¬
scheinlich, daß die Agitation Gladstones und seiner Anhänger auf die Gemüther
eine nachhaltige Wirkung haben würde. Die Thatsachen sprachen gegen ihn,
und sein fanatisches Auftreten, seine Hinneigung zu dem autokratisch regierten
Rußland, dem Erbfeinde der englischen Interessen im Osten Europas und in
Asien, gereichten ihm nicht zur Empfehlung.

Indeß, es ist anders gekommen, als man hiernach erwarten mußte, und
da es heutzutage keine Wunder mehr giebt, und der Sieg der Whigs und ihrer
Verbündeten sich aus einem etwaigen Mißvergnügen der Mehrzahl des engli¬
schen Volkes über die auswärtige Politik der Tories nicht wohl erklären läßt,
so folgt, daß ihr deren innere Politik nicht gefallen haben wird, womit die uns
aus guter Quelle zukommende Beobachtung stimmt, daß radikale und selbst
republikanische Ideen in den letzten Jahren unter den Engländern starke Ver¬
breitung gefunden haben, und zwar keineswegs blos unter den niederen Schichten
derselben, den Fabrikarbeitern u. tgi., sondern auch unter den Mittelklassen und
selbst auf dem Platten Lande.

Was das für die weitere Entwicklung der Schicksale des brittischen Volkes
zu bedeuten hat, kümmert uns hier nicht. Wir haben zunächst nur nach unseren
den deutschen, Interessen und dann unserer Verbündeten in Oesterreich-Ungarn
zu sehen und zu fragen. Was also droht oder was verheißt uns der Um¬
schwung im politischen Leben Großbritanniens, der an Stelle der Tories die
Whigs zur Herrschaft gebracht hat? Was haben wir von den neuen Ministern
der Königin Victoria zu hoffen oder zu fürchten? Welche Stellung werden sie
in der auswärtigen Politik einnehmen? Wie werden sie sich namentlich zu
Rußland und zu Italien verhalten, die man in letzter Zeit häufig znscunmen-
nennen hörte? Oder wird die auswärtige Politik des Reiches jenseits des
Canals der Wahrscheinlichkeit nach trotz aller gewaltigen Reden Gladstones, trotz
seines wiederholt deutlich hervorgetretenen Hasses gegen Oesterreich-Ungarn und
seiner Sympathien mit dem Panslcwismus und der Partei der Irrsäentg, Italie
in allen wesentlichen Punkten ungefähr dieselbe bleiben wie die, welche Beacons-
field und seine Anhänger verfolgt haben? — Wir find geneigt, die letzte Frage
zu bejahen, und zwar auf Grund folgender Betrachtungen.

Zunächst ist die zur Regierung gelangte Partei keine in allen Stücken
einige. Sie wird allerdings nicht mit den Homerulern, die völlig unenglischem
Zielen zustreben, zu pactireu und sie bei der Entscheidung gewisser Fragen in
sich aufzunehmen haben, wie anfangs erwartet wurde, fondern vielmehr stark
genug fein, diese gänzlich beiseite liegen zu lassen. Aber auch so enthält sie
noch viele disparate Elemente. Hartington denkt — von den Radicalen, die,
im neuen Parlamente sitzen werden, völlig abgesehen — über verschiedene Haupt-


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[0134] des letzteren bedeutende Fortschritte gemacht haben. So war es wenig wahr¬ scheinlich, daß die Agitation Gladstones und seiner Anhänger auf die Gemüther eine nachhaltige Wirkung haben würde. Die Thatsachen sprachen gegen ihn, und sein fanatisches Auftreten, seine Hinneigung zu dem autokratisch regierten Rußland, dem Erbfeinde der englischen Interessen im Osten Europas und in Asien, gereichten ihm nicht zur Empfehlung. Indeß, es ist anders gekommen, als man hiernach erwarten mußte, und da es heutzutage keine Wunder mehr giebt, und der Sieg der Whigs und ihrer Verbündeten sich aus einem etwaigen Mißvergnügen der Mehrzahl des engli¬ schen Volkes über die auswärtige Politik der Tories nicht wohl erklären läßt, so folgt, daß ihr deren innere Politik nicht gefallen haben wird, womit die uns aus guter Quelle zukommende Beobachtung stimmt, daß radikale und selbst republikanische Ideen in den letzten Jahren unter den Engländern starke Ver¬ breitung gefunden haben, und zwar keineswegs blos unter den niederen Schichten derselben, den Fabrikarbeitern u. tgi., sondern auch unter den Mittelklassen und selbst auf dem Platten Lande. Was das für die weitere Entwicklung der Schicksale des brittischen Volkes zu bedeuten hat, kümmert uns hier nicht. Wir haben zunächst nur nach unseren den deutschen, Interessen und dann unserer Verbündeten in Oesterreich-Ungarn zu sehen und zu fragen. Was also droht oder was verheißt uns der Um¬ schwung im politischen Leben Großbritanniens, der an Stelle der Tories die Whigs zur Herrschaft gebracht hat? Was haben wir von den neuen Ministern der Königin Victoria zu hoffen oder zu fürchten? Welche Stellung werden sie in der auswärtigen Politik einnehmen? Wie werden sie sich namentlich zu Rußland und zu Italien verhalten, die man in letzter Zeit häufig znscunmen- nennen hörte? Oder wird die auswärtige Politik des Reiches jenseits des Canals der Wahrscheinlichkeit nach trotz aller gewaltigen Reden Gladstones, trotz seines wiederholt deutlich hervorgetretenen Hasses gegen Oesterreich-Ungarn und seiner Sympathien mit dem Panslcwismus und der Partei der Irrsäentg, Italie in allen wesentlichen Punkten ungefähr dieselbe bleiben wie die, welche Beacons- field und seine Anhänger verfolgt haben? — Wir find geneigt, die letzte Frage zu bejahen, und zwar auf Grund folgender Betrachtungen. Zunächst ist die zur Regierung gelangte Partei keine in allen Stücken einige. Sie wird allerdings nicht mit den Homerulern, die völlig unenglischem Zielen zustreben, zu pactireu und sie bei der Entscheidung gewisser Fragen in sich aufzunehmen haben, wie anfangs erwartet wurde, fondern vielmehr stark genug fein, diese gänzlich beiseite liegen zu lassen. Aber auch so enthält sie noch viele disparate Elemente. Hartington denkt — von den Radicalen, die, im neuen Parlamente sitzen werden, völlig abgesehen — über verschiedene Haupt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/134>, abgerufen am 22.07.2024.