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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Politik der, internationalen gegenüber zu betonen, die thatsächliche gegen die prin¬
cipielle, hat in der Erkenntniß der gesammten Bevölkerung zum Glück immer
weiteres Terrain gewonnen, nud gerade der Handelsstand, die Leute der Praxis,
und darunter speciell die Engros-Consumenten der durch Zölle belastete" Jndnstrie-
Erzeugnisse haben sich ja am entschiedensten auf die Seite der nationalen Handels¬
politik, bez. der Handelspolitik der Thatsachen gestellt. Dies hat u. a. die
Frankfurter Versammlung durch ihre Resolutionen bewiesen, dies der bleibende
Ausschuß des Handelstages durch die Forderung einer Enquote. Bezeichnend
und für den wissenschaftlichen Beobachter wohl der Beachtung werth sind aber
die Kundgebungen der Theoretiker auf dem Congreß des Vereins für Social¬
politik. Wir heben hier besonders die Reden der Professoren Wagner und
Held und des Erstem darauf bezügliche Schriften hervor, welche den Um¬
schwung, bez. die Entwicklung der Ansichten in der Richtung einer vaterländischen,
ans dem Boden der Thatsachen aufgebauten Handelspolitik deutlich gekenn¬
zeichnet haben.

Am widerwärtigsten ist den absoluten Freihhündlern der "autonome Tarif".
Sie sehen darin den Schrecken aller Schrecken. Allein auch diese Vorstellung beruht
hauptsächlich in dem Verharren in alten Anschauungen, in dem Verkennen der in
Deutschland in der handelspolitischen Einsicht gemachten Fortschritte. Früher
hatte ein autonomer Tarif allerdings nur den Zweck, die Freiheit der Tarifbe¬
stimmung uneingeschränkt benutzen zu können, um durch ausgiebigste Auflage
bon Zöllen den damit verbundenen vermeintlichen Segen voll und ganz zu ge¬
nießen. Das war die Zeit, wo man Prohibition der Einfuhr und hohe Schutz¬
zölle, bez. Zölle überhaupt principiell für nothwendig, volkswirtschaftlich heil¬
sam und absolut förderlich hielt. Heute haben sich die Ansichten geklärt, und
die Ueberzeugung hat sich ziemlich allgemein Bahn gebrochen, daß das Princip
der Handelspolitik die Handelsfreiheit ist, und daß Zölle, welcher Art sie
immer sein mögen, mit dem Prineip nichts zu thun haben, sondern nur der Aus¬
druck sind für die den concreten nationalen Verhältnissen entsprechende noth¬
wendige Beschränkung jener Freiheit, ähnlich wie die Steuern die Freiheit des
Bürgers beschränken, über seine Einnahmen zu verfügen, oder die Militärpflicht
die Freiheit des Bürgers sogar bis zu dem Punkte beschränkt, daß sie das
Leben von ihm fordern kann. Zölle, Steuern, Militärpflicht (stehendes Heer)
sind, wenn man will, nothwendige Uebel, denn es wäre natürlich besser, wir
hätten gar keine Zölle und Steuern und kein stehendes Heer nöthig. Sie sind
der Ausdruck dafür, was wir brauchen, um unsern realen Staat mit dein Ideal-
staate in Einklang zu bringen, der Ausdruck für die nothwendige Beschränkung
des Principstaates mit Rücksicht ans die wirklichen concreten Verhältnisse.

Betrachtet man die Forderung eines autonomen Tarifes unter dem einen


Politik der, internationalen gegenüber zu betonen, die thatsächliche gegen die prin¬
cipielle, hat in der Erkenntniß der gesammten Bevölkerung zum Glück immer
weiteres Terrain gewonnen, nud gerade der Handelsstand, die Leute der Praxis,
und darunter speciell die Engros-Consumenten der durch Zölle belastete» Jndnstrie-
Erzeugnisse haben sich ja am entschiedensten auf die Seite der nationalen Handels¬
politik, bez. der Handelspolitik der Thatsachen gestellt. Dies hat u. a. die
Frankfurter Versammlung durch ihre Resolutionen bewiesen, dies der bleibende
Ausschuß des Handelstages durch die Forderung einer Enquote. Bezeichnend
und für den wissenschaftlichen Beobachter wohl der Beachtung werth sind aber
die Kundgebungen der Theoretiker auf dem Congreß des Vereins für Social¬
politik. Wir heben hier besonders die Reden der Professoren Wagner und
Held und des Erstem darauf bezügliche Schriften hervor, welche den Um¬
schwung, bez. die Entwicklung der Ansichten in der Richtung einer vaterländischen,
ans dem Boden der Thatsachen aufgebauten Handelspolitik deutlich gekenn¬
zeichnet haben.

Am widerwärtigsten ist den absoluten Freihhündlern der „autonome Tarif".
Sie sehen darin den Schrecken aller Schrecken. Allein auch diese Vorstellung beruht
hauptsächlich in dem Verharren in alten Anschauungen, in dem Verkennen der in
Deutschland in der handelspolitischen Einsicht gemachten Fortschritte. Früher
hatte ein autonomer Tarif allerdings nur den Zweck, die Freiheit der Tarifbe¬
stimmung uneingeschränkt benutzen zu können, um durch ausgiebigste Auflage
bon Zöllen den damit verbundenen vermeintlichen Segen voll und ganz zu ge¬
nießen. Das war die Zeit, wo man Prohibition der Einfuhr und hohe Schutz¬
zölle, bez. Zölle überhaupt principiell für nothwendig, volkswirtschaftlich heil¬
sam und absolut förderlich hielt. Heute haben sich die Ansichten geklärt, und
die Ueberzeugung hat sich ziemlich allgemein Bahn gebrochen, daß das Princip
der Handelspolitik die Handelsfreiheit ist, und daß Zölle, welcher Art sie
immer sein mögen, mit dem Prineip nichts zu thun haben, sondern nur der Aus¬
druck sind für die den concreten nationalen Verhältnissen entsprechende noth¬
wendige Beschränkung jener Freiheit, ähnlich wie die Steuern die Freiheit des
Bürgers beschränken, über seine Einnahmen zu verfügen, oder die Militärpflicht
die Freiheit des Bürgers sogar bis zu dem Punkte beschränkt, daß sie das
Leben von ihm fordern kann. Zölle, Steuern, Militärpflicht (stehendes Heer)
sind, wenn man will, nothwendige Uebel, denn es wäre natürlich besser, wir
hätten gar keine Zölle und Steuern und kein stehendes Heer nöthig. Sie sind
der Ausdruck dafür, was wir brauchen, um unsern realen Staat mit dein Ideal-
staate in Einklang zu bringen, der Ausdruck für die nothwendige Beschränkung
des Principstaates mit Rücksicht ans die wirklichen concreten Verhältnisse.

Betrachtet man die Forderung eines autonomen Tarifes unter dem einen


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[0107] Politik der, internationalen gegenüber zu betonen, die thatsächliche gegen die prin¬ cipielle, hat in der Erkenntniß der gesammten Bevölkerung zum Glück immer weiteres Terrain gewonnen, nud gerade der Handelsstand, die Leute der Praxis, und darunter speciell die Engros-Consumenten der durch Zölle belastete» Jndnstrie- Erzeugnisse haben sich ja am entschiedensten auf die Seite der nationalen Handels¬ politik, bez. der Handelspolitik der Thatsachen gestellt. Dies hat u. a. die Frankfurter Versammlung durch ihre Resolutionen bewiesen, dies der bleibende Ausschuß des Handelstages durch die Forderung einer Enquote. Bezeichnend und für den wissenschaftlichen Beobachter wohl der Beachtung werth sind aber die Kundgebungen der Theoretiker auf dem Congreß des Vereins für Social¬ politik. Wir heben hier besonders die Reden der Professoren Wagner und Held und des Erstem darauf bezügliche Schriften hervor, welche den Um¬ schwung, bez. die Entwicklung der Ansichten in der Richtung einer vaterländischen, ans dem Boden der Thatsachen aufgebauten Handelspolitik deutlich gekenn¬ zeichnet haben. Am widerwärtigsten ist den absoluten Freihhündlern der „autonome Tarif". Sie sehen darin den Schrecken aller Schrecken. Allein auch diese Vorstellung beruht hauptsächlich in dem Verharren in alten Anschauungen, in dem Verkennen der in Deutschland in der handelspolitischen Einsicht gemachten Fortschritte. Früher hatte ein autonomer Tarif allerdings nur den Zweck, die Freiheit der Tarifbe¬ stimmung uneingeschränkt benutzen zu können, um durch ausgiebigste Auflage bon Zöllen den damit verbundenen vermeintlichen Segen voll und ganz zu ge¬ nießen. Das war die Zeit, wo man Prohibition der Einfuhr und hohe Schutz¬ zölle, bez. Zölle überhaupt principiell für nothwendig, volkswirtschaftlich heil¬ sam und absolut förderlich hielt. Heute haben sich die Ansichten geklärt, und die Ueberzeugung hat sich ziemlich allgemein Bahn gebrochen, daß das Princip der Handelspolitik die Handelsfreiheit ist, und daß Zölle, welcher Art sie immer sein mögen, mit dem Prineip nichts zu thun haben, sondern nur der Aus¬ druck sind für die den concreten nationalen Verhältnissen entsprechende noth¬ wendige Beschränkung jener Freiheit, ähnlich wie die Steuern die Freiheit des Bürgers beschränken, über seine Einnahmen zu verfügen, oder die Militärpflicht die Freiheit des Bürgers sogar bis zu dem Punkte beschränkt, daß sie das Leben von ihm fordern kann. Zölle, Steuern, Militärpflicht (stehendes Heer) sind, wenn man will, nothwendige Uebel, denn es wäre natürlich besser, wir hätten gar keine Zölle und Steuern und kein stehendes Heer nöthig. Sie sind der Ausdruck dafür, was wir brauchen, um unsern realen Staat mit dein Ideal- staate in Einklang zu bringen, der Ausdruck für die nothwendige Beschränkung des Principstaates mit Rücksicht ans die wirklichen concreten Verhältnisse. Betrachtet man die Forderung eines autonomen Tarifes unter dem einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/107>, abgerufen am 22.07.2024.