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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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bleibe ruhig liegen." Darauf kehrte er an seinen Platz zurück und fuhr in
einer Erzählung seiner früheren Heldenthaten fort.

Bewegung und Geräusch wollten in dieser Nacht auch keine Minute ver¬
stummen. Es schien mir sogar, als liege eine gewisse Aengstlichkeit in diesem
verworrenen Getöse. Es war offenbar uicht der gewöhnliche Lärm, der bei
einer solchen Menschenmenge unvermeidlich ist. Um Mitternacht machten sich
die Turkomanen an der Sandbank auf, zäumten die Pferde und entfernten sich
etwas weiter vom Ufer. Eine ungeordnete Karawane von bepackten und un-
bepackten Kameelen zog an uns vorüber, mehrere zweirädrige Lastwagen rollten
knarrend vorbei; das Fußvolk marschirte truppweise in sichtlicher Eile. Die
Reiter ritten geradeaus durch die Flußstrecke, die bis an die niedern sandigen
Ufer hereinreichte. Alle suchten hastig aus dem Wasser zu kommen, als be¬
fände sich der Gegenstand ihres Schreckens im Flusse. Späterhin erfuhr ich,
daß unsre Ruderschiffe, welche von oben herunter schwammen, diesen Alarm
veranlaßt hatten. Die Nachricht von ihrer Annäherung war von Wachtposten
überbracht worden.

Auch meine Turkomanen brachen auf. Ich wurde seitwärts auf eine" der
Schläuche gebunden, welche neben mir lagen, und auf ein Kameel geladen.
So gingen wir, von einer wüsten Masse von Menschen und Thieren umgebe",
fast bis Tagesanbruch weiter. Mit den ersten Sonnenstrahlen kam etwas
mehr Ordnung in die Bewegung. Es erschienen Reiter in kostbaren goldge¬
stickten und pelzverbrämten Kaftanen, mit hohen Pelzmützen; Fähnchen wurden
ihnen auf langen, mit Roßschweifen verzierten Schäften nachgetragen. Donnernd
und schrillend folgte die Artillerie, welche aus drei bis vier Kanonen bestand
und von zehn Pferden gezogen wurde.

Plötzlich stockte die ganze Abtheilung, sie sprang zur Seite und gerieth in
schwankende Bewegung. Wäre ich nicht von.einem so betäubenden Lärm, von
Geschrei, Gezisch, Pferdegewieher und Kameelgebrülle umtost gewesen, so hätte
ich sicher das Platzen einer Granate über unseren Köpfen vernommen. So
aber sah ich nur ein kleines, weißes Wölkchen, das plötzlich in der Luft auf¬
wirbelte, und weiter nichts. Ein zweites derartiges Wölkchen wirbelte noch
näher, zwei oder drei Reiter überschlugen sich und flogen kopfüber zu Boden.
Das Kameel, das mich trug, stolperte und stürzte; es war ein Glück, daß es
nicht auf meine Seite fiel. Alles Lebende stob auseinander.

Deutlich ließen sich jetzt ferne Schüsse vernehmen. Es waren dumpfe,
donnerähnliche Schläge -- ich erkannte die Stimmen unserer Geschütze. Ah --
hier kommt eine Kartätsche! Sie bahnt sich einen grauenvollen Weg dnrch die
Masse von Menschen und Thieren! Ein wildes gräßliches Bild entfaltete sich
plötzlich vor meinen Augen. Alles stürzte in kopfloser Flucht davon und ver-


bleibe ruhig liegen." Darauf kehrte er an seinen Platz zurück und fuhr in
einer Erzählung seiner früheren Heldenthaten fort.

Bewegung und Geräusch wollten in dieser Nacht auch keine Minute ver¬
stummen. Es schien mir sogar, als liege eine gewisse Aengstlichkeit in diesem
verworrenen Getöse. Es war offenbar uicht der gewöhnliche Lärm, der bei
einer solchen Menschenmenge unvermeidlich ist. Um Mitternacht machten sich
die Turkomanen an der Sandbank auf, zäumten die Pferde und entfernten sich
etwas weiter vom Ufer. Eine ungeordnete Karawane von bepackten und un-
bepackten Kameelen zog an uns vorüber, mehrere zweirädrige Lastwagen rollten
knarrend vorbei; das Fußvolk marschirte truppweise in sichtlicher Eile. Die
Reiter ritten geradeaus durch die Flußstrecke, die bis an die niedern sandigen
Ufer hereinreichte. Alle suchten hastig aus dem Wasser zu kommen, als be¬
fände sich der Gegenstand ihres Schreckens im Flusse. Späterhin erfuhr ich,
daß unsre Ruderschiffe, welche von oben herunter schwammen, diesen Alarm
veranlaßt hatten. Die Nachricht von ihrer Annäherung war von Wachtposten
überbracht worden.

Auch meine Turkomanen brachen auf. Ich wurde seitwärts auf eine» der
Schläuche gebunden, welche neben mir lagen, und auf ein Kameel geladen.
So gingen wir, von einer wüsten Masse von Menschen und Thieren umgebe»,
fast bis Tagesanbruch weiter. Mit den ersten Sonnenstrahlen kam etwas
mehr Ordnung in die Bewegung. Es erschienen Reiter in kostbaren goldge¬
stickten und pelzverbrämten Kaftanen, mit hohen Pelzmützen; Fähnchen wurden
ihnen auf langen, mit Roßschweifen verzierten Schäften nachgetragen. Donnernd
und schrillend folgte die Artillerie, welche aus drei bis vier Kanonen bestand
und von zehn Pferden gezogen wurde.

Plötzlich stockte die ganze Abtheilung, sie sprang zur Seite und gerieth in
schwankende Bewegung. Wäre ich nicht von.einem so betäubenden Lärm, von
Geschrei, Gezisch, Pferdegewieher und Kameelgebrülle umtost gewesen, so hätte
ich sicher das Platzen einer Granate über unseren Köpfen vernommen. So
aber sah ich nur ein kleines, weißes Wölkchen, das plötzlich in der Luft auf¬
wirbelte, und weiter nichts. Ein zweites derartiges Wölkchen wirbelte noch
näher, zwei oder drei Reiter überschlugen sich und flogen kopfüber zu Boden.
Das Kameel, das mich trug, stolperte und stürzte; es war ein Glück, daß es
nicht auf meine Seite fiel. Alles Lebende stob auseinander.

Deutlich ließen sich jetzt ferne Schüsse vernehmen. Es waren dumpfe,
donnerähnliche Schläge — ich erkannte die Stimmen unserer Geschütze. Ah —
hier kommt eine Kartätsche! Sie bahnt sich einen grauenvollen Weg dnrch die
Masse von Menschen und Thieren! Ein wildes gräßliches Bild entfaltete sich
plötzlich vor meinen Augen. Alles stürzte in kopfloser Flucht davon und ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/82>, abgerufen am 23.07.2024.