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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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durch, wir kommen durch, schone nur die Pferde!" sagte eine Stimme neben
mir in ermutigendem Tone. Sie mußte wohl von demselben herrühren, der
mich in so unbequemer Stellung hinter dem Sattel hielt. Die Worte wurden
von einer unbekannten Stimme in der Landessprache gesprochen, und sie hatten
für mich durchaus nichts Tröstliches. Sie machten mir erstens klar, daß ich
gefangen war, und zweitens, daß ich nicht mehr ans Befreiung hoffen durfte. Die
Räuber hofften durchzukommen, weil die Verfolgung nachließ, und verfolgen
konnten sie nur die Russen, vermuthlich dieselben, die ich aus der Entfernung
erblickt hatte, als ich zugleich mit meinem Orlik stürzte. Bald wurde mir der
Athem schwer -- ich bekam keine Luft. Wenn doch jemand meinen Kopf be¬
quemer gehalten hätte! Er hing gar zu hoffnungslos auf dem kraftlosen, ge¬
lähmten Halse. Wieder schwand mir das Gehör, und ich sah auch nicht ein¬
mal mehr jene rothen Lichtkreise, jenen Nebel, in dem sich ein unbestimmter
Gegenstand bewegte -- tiefe Dunkelheit verschlang alles.

"Er ist todt!" hörte ich plötzlich ganz deutlich eine Stimme sagen. "Meinet¬
wegen, mir ists auch so recht", antwortete eine andere. "Nein, er athmet noch.
Aber das ist eins, er wird doch gleich sterben." -- "Hassan hat ihm ein Tüch¬
tiges ins Genick versetzt." -- "Er sträubte sich sehr, deshalb hat er ihm eins
gegeben. Aber warum willst du dich mit ihm schleppen? Laß ihn doch fallen.
Lebendig bringst du ihn doch nicht ins Lager. Er macht uns nur Aufent¬
halt." -- "Was Aufenthalt! Sie sind ja fort, und bis Abend sind wir zu
Haus. Der Mullah Sadyk gibt einen Kaftan um ihn -- er muß ja ein großer
Tjura (Anführer) sein." -- "Aber es ist gleich, wie du ihn bringst, den ganzen
Körper oder nur den Kopf -- und so ist er viel leichter fortzuschaffen. Schneid'
ihm nur den Kopf ab." -- "Warte, er wacht vielleicht noch auf. Lebend wäre
es doch besser." -- "Er wacht nicht mehr auf." -- "Nun, so wollen wir sehen."

Ich hörte das ganze Gespräch so deutlich, ich verstand so gut, um was
es sich handelte -- die grauenvolle Bedeutung dieses Wortwechsels war mir
völlig klar. Gott, wie gern wäre ich aufgewacht!

Wenn es ihnen gleich war, ob sie den ganzen Körper oder nur den Kops
brachten, so war das mir durchaus nicht einerlei. Im Körper konnte sich ja
noch Leben erhalten und mit dem Leben die Hoffnung -- im Kopfe aber, in
dieser vom Rumpfe getrennten Kugel! -- Ich nähme alle Kraft zusammen, ich
machte eine übermenschliche Anstrengung, ich stöhnte auf.

"He!" Schnatterte die erste Stimme ermunternd. "Der Hammel hat ge¬
blockt, ha, ha!" lachte der zweite. "Reiten wir an die Brunnen -- man muß
ihn mit Wasser bespritzen, dann wacht er ganz auf. Haida, salta!" Wieder
fiel ich in Bewußtlosigkeit zurück, wieder hatte ich ein Gefühl, als ob ich im


durch, wir kommen durch, schone nur die Pferde!" sagte eine Stimme neben
mir in ermutigendem Tone. Sie mußte wohl von demselben herrühren, der
mich in so unbequemer Stellung hinter dem Sattel hielt. Die Worte wurden
von einer unbekannten Stimme in der Landessprache gesprochen, und sie hatten
für mich durchaus nichts Tröstliches. Sie machten mir erstens klar, daß ich
gefangen war, und zweitens, daß ich nicht mehr ans Befreiung hoffen durfte. Die
Räuber hofften durchzukommen, weil die Verfolgung nachließ, und verfolgen
konnten sie nur die Russen, vermuthlich dieselben, die ich aus der Entfernung
erblickt hatte, als ich zugleich mit meinem Orlik stürzte. Bald wurde mir der
Athem schwer — ich bekam keine Luft. Wenn doch jemand meinen Kopf be¬
quemer gehalten hätte! Er hing gar zu hoffnungslos auf dem kraftlosen, ge¬
lähmten Halse. Wieder schwand mir das Gehör, und ich sah auch nicht ein¬
mal mehr jene rothen Lichtkreise, jenen Nebel, in dem sich ein unbestimmter
Gegenstand bewegte — tiefe Dunkelheit verschlang alles.

„Er ist todt!" hörte ich plötzlich ganz deutlich eine Stimme sagen. „Meinet¬
wegen, mir ists auch so recht", antwortete eine andere. „Nein, er athmet noch.
Aber das ist eins, er wird doch gleich sterben." — „Hassan hat ihm ein Tüch¬
tiges ins Genick versetzt." — „Er sträubte sich sehr, deshalb hat er ihm eins
gegeben. Aber warum willst du dich mit ihm schleppen? Laß ihn doch fallen.
Lebendig bringst du ihn doch nicht ins Lager. Er macht uns nur Aufent¬
halt." — „Was Aufenthalt! Sie sind ja fort, und bis Abend sind wir zu
Haus. Der Mullah Sadyk gibt einen Kaftan um ihn — er muß ja ein großer
Tjura (Anführer) sein." — „Aber es ist gleich, wie du ihn bringst, den ganzen
Körper oder nur den Kopf — und so ist er viel leichter fortzuschaffen. Schneid'
ihm nur den Kopf ab." — „Warte, er wacht vielleicht noch auf. Lebend wäre
es doch besser." — „Er wacht nicht mehr auf." — „Nun, so wollen wir sehen."

Ich hörte das ganze Gespräch so deutlich, ich verstand so gut, um was
es sich handelte — die grauenvolle Bedeutung dieses Wortwechsels war mir
völlig klar. Gott, wie gern wäre ich aufgewacht!

Wenn es ihnen gleich war, ob sie den ganzen Körper oder nur den Kops
brachten, so war das mir durchaus nicht einerlei. Im Körper konnte sich ja
noch Leben erhalten und mit dem Leben die Hoffnung — im Kopfe aber, in
dieser vom Rumpfe getrennten Kugel! — Ich nähme alle Kraft zusammen, ich
machte eine übermenschliche Anstrengung, ich stöhnte auf.

„He!" Schnatterte die erste Stimme ermunternd. „Der Hammel hat ge¬
blockt, ha, ha!" lachte der zweite. „Reiten wir an die Brunnen — man muß
ihn mit Wasser bespritzen, dann wacht er ganz auf. Haida, salta!" Wieder
fiel ich in Bewußtlosigkeit zurück, wieder hatte ich ein Gefühl, als ob ich im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/76>, abgerufen am 23.07.2024.