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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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die Bildung der Innungen zunächst auf freiwilligem Wege stattfinden und auch
die in die Innungen zu legende sozial- und gewerbepolitische Kraft in erster
Linie von innen aus denselben heraus kommen müsse. Auch dies ist von
allen Schattirungen der gewerbepolitischen Bewegung insoweit stets anerkannt
worden, als selbst die äußerste Rechte immer forderte, daß die Handwerker vor
allem einmal ihre Fähigkeit, Vereinigungen zu bilden und in lebenskräftiger
Weise zu gestalten, darthun sollten, und dann erst Ansprüche an Staat und
Gesetzgebung zu erheben seien. Auch ist es bei dem theoretischen Zugeständ¬
nisse nicht geblieben, sondern die Jnnuugsbewegung hat schon Dimensionen
angenommen, über die man sich baß verwundern würde, wenn eine Statistik
darüber veröffentlicht werden könnte. In Hamburg und Dresden gibt es gegen
50, in Bremen und Leipzig über 20, in Schleswig-Holstein etwa 100 Innun¬
gen -- letzteres zugleich zum Beweise, daß die Gründung von Innungen in
kleinen Orten weder so zwecklos noch so schwierig ist, wie viele Leute meinen --,
und wir glauben nicht zu hoch zu greifen, wenn wir die Zahl der z. Z. in
Deutschland bestehenden Innungen auf 12--1500 mit mehr als hunderttausend
Mitgliedern veranschlagen. Dabei haben in vielen Gewerben die Lokal-
Innungen sich zu nationalen Verbänden zusammengeschlossen, welche ein ge¬
meinsames Lehrlings- und Gesellenwesen herzustellen trachten, Ausstellungen
von Produkten und Gerathen veranstalten, Fragen von allgemeinem fachge¬
werblichen Interesse diskutiren, Fachzeitungen herausgeben :c., so die Bäcker,
die Fleischer, die Schmiede, die Färber, die Maler, die Tapezirer, die Schneider,
die Uhrmacher, die Klempner, die Barbiere, die Friseure :c.; und in den grö¬
ßeren Städten Hamburg, Berlin, Bremen, Leipzig :c. sind die bestehenden
Innungen zu "Ortsvereinen" zusammengetreten, welche hauptsächlich Fragen
der lokalen Gewerbepolitik behandeln. Aber so sehr man die Nothwendigkeit
solchen freiwilligen Vorgehens anerkennen und die Resultate desselben freudig
begrüßen mag, fo muß es dennoch zugleich als die einmüthige und wohlbe¬
gründete Forderung der Handwerkerbewegung bezeichnet werden, daß der Staat
den Innungen rechtliche Befugnisse verleihe und sie dadurch auf einen halt¬
baren, entwickelungsfähigen Rechtsboden stelle. Diese Befugnisse, welche natür¬
lich nicht ohne weiteres jedem sich "Innung" nennenden Verein zu übertragen,
sondern an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen sein würden, würden zugleich
eine Art moralischen Zwanges bilden, den Innungen beizutreten; wer es unter¬
läßt, ist zwar in seinem Gewerbebetriebe in keiner Weise behindert, auch sonst
in keinem seiner staatsbürgerlichen Rechte beschränkt, aber er schließt sich selbst
von der Verwaltung der Angelegenheiten seines Gewerbes aus, und betreffs
seiner Lehrlinge untersteht er sogar der Kontrole der Innung. Denn letzteres,
die Kontrole des gesammten Lehrlingswesens (nicht nur desjenigen ihrer Mit-


die Bildung der Innungen zunächst auf freiwilligem Wege stattfinden und auch
die in die Innungen zu legende sozial- und gewerbepolitische Kraft in erster
Linie von innen aus denselben heraus kommen müsse. Auch dies ist von
allen Schattirungen der gewerbepolitischen Bewegung insoweit stets anerkannt
worden, als selbst die äußerste Rechte immer forderte, daß die Handwerker vor
allem einmal ihre Fähigkeit, Vereinigungen zu bilden und in lebenskräftiger
Weise zu gestalten, darthun sollten, und dann erst Ansprüche an Staat und
Gesetzgebung zu erheben seien. Auch ist es bei dem theoretischen Zugeständ¬
nisse nicht geblieben, sondern die Jnnuugsbewegung hat schon Dimensionen
angenommen, über die man sich baß verwundern würde, wenn eine Statistik
darüber veröffentlicht werden könnte. In Hamburg und Dresden gibt es gegen
50, in Bremen und Leipzig über 20, in Schleswig-Holstein etwa 100 Innun¬
gen — letzteres zugleich zum Beweise, daß die Gründung von Innungen in
kleinen Orten weder so zwecklos noch so schwierig ist, wie viele Leute meinen —,
und wir glauben nicht zu hoch zu greifen, wenn wir die Zahl der z. Z. in
Deutschland bestehenden Innungen auf 12—1500 mit mehr als hunderttausend
Mitgliedern veranschlagen. Dabei haben in vielen Gewerben die Lokal-
Innungen sich zu nationalen Verbänden zusammengeschlossen, welche ein ge¬
meinsames Lehrlings- und Gesellenwesen herzustellen trachten, Ausstellungen
von Produkten und Gerathen veranstalten, Fragen von allgemeinem fachge¬
werblichen Interesse diskutiren, Fachzeitungen herausgeben :c., so die Bäcker,
die Fleischer, die Schmiede, die Färber, die Maler, die Tapezirer, die Schneider,
die Uhrmacher, die Klempner, die Barbiere, die Friseure :c.; und in den grö¬
ßeren Städten Hamburg, Berlin, Bremen, Leipzig :c. sind die bestehenden
Innungen zu „Ortsvereinen" zusammengetreten, welche hauptsächlich Fragen
der lokalen Gewerbepolitik behandeln. Aber so sehr man die Nothwendigkeit
solchen freiwilligen Vorgehens anerkennen und die Resultate desselben freudig
begrüßen mag, fo muß es dennoch zugleich als die einmüthige und wohlbe¬
gründete Forderung der Handwerkerbewegung bezeichnet werden, daß der Staat
den Innungen rechtliche Befugnisse verleihe und sie dadurch auf einen halt¬
baren, entwickelungsfähigen Rechtsboden stelle. Diese Befugnisse, welche natür¬
lich nicht ohne weiteres jedem sich „Innung" nennenden Verein zu übertragen,
sondern an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen sein würden, würden zugleich
eine Art moralischen Zwanges bilden, den Innungen beizutreten; wer es unter¬
läßt, ist zwar in seinem Gewerbebetriebe in keiner Weise behindert, auch sonst
in keinem seiner staatsbürgerlichen Rechte beschränkt, aber er schließt sich selbst
von der Verwaltung der Angelegenheiten seines Gewerbes aus, und betreffs
seiner Lehrlinge untersteht er sogar der Kontrole der Innung. Denn letzteres,
die Kontrole des gesammten Lehrlingswesens (nicht nur desjenigen ihrer Mit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/68>, abgerufen am 23.07.2024.