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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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ästhetischen Feingefühl hinter keinem französischen Kritiker zurücksteht. Ueber
die soziale Bedeutnny von Paris äußern sich ans der einen Seite Gastinecm,
de Pontmartin und Graf Gasparin, auf der andern Theophile Gautier und
Paul de Se. Victor. Aehnlich verfährt der Verfasser bei der Darstellung der
französischen Gesellschaft und Geistesverfassung. Er beherrscht ein umfangreiches
Material und hat es vortrefflich bewältigt und verwerthet/ so daß wir in seiner
Arbeit ein Mittel zu gründlicher Belehrung über den Charakter und das Leben
der heutige" Franzosen besitzen.


Mngyarisirnng in Ungarn. Nach den Debatten des Ungarischen Reichstags über
den obligaten Unterricht der magyarischen Sprache in sämmtlichen Volksschulen. München,
Th. Ackermann, 1879.

Eine ausführliche und mit Belegen versehene Darstellung der bekannten
Vorgänge, welche vor kurzem in Ungarn so viel Aufregung veranlaßten Das
betreffende Gesetz, eine Reaktion gegen den in Pest schmerzlich empfundenen Ver¬
lauf der orientalischem Frage und speziell gegen die Wirkung der Occupation
Bosniens, verlangt vou jedem Volksschullehrer genügende Kenntniß der "Staats¬
sprache", d. h. des Magyarischen, und führt diese Sprache in allen Elementar¬
schulen des Königreichs als obligatorischen Lehrgegenstand ein. Die Sachsen,
Slowaken, Serben und Rumänen Ungarns sollen auf diese Weise zu Magyaren
gemacht werde", damit das vou 15 Millionen Menschen bewohnte Land einsprachig
sei und diese Millionen sich als eine einzige Nation fühle". Dergleichen Versuche
haben in neuer Zeit niemals ihr Ziel erreicht, sie können immer nur als
Tyrannei empfunden werden und zum Gegentheil dessen führen, was damit
bezweckt wird, zumal wenn wie hier eine 'minder civilisirte Race einer höher
stehenden ihre nationalen Eigenthümlichkeiten aufuöthigeu will, und wenn jene
Race zwar vorläufig die Macht in der Hand hat, aber deu andern gegenüber
in der Minorität ist. Es ist unmöglich, daß die Maßregel die ungarischen
Slawen dnrch die Schule zu Magyaren macht, sehr möglich dagegen, daß sie
dieselben dem Panslawismns in die Arme treibt. Jedenfalls wird ihre Folge
Zwiespalt, statt Einigkeit der Bewohner Ungarns sein, wie das selbst magyarische
Abgeordnete, z. B. Ludwig Moesary, mit großer Energie ausgesprochen haben.
Und das ist auch vom deutschen Standpunkte und abgesehen von der in dem
Gesetze liegenden Vergewaltigung der siebenbürgischen Sachsen nicht erfreulich;
Ungarn gilt mit Recht als Vormauer Deutschlands gegen das in Rußland
concentrirte Slawenthum, und die Maßregel lockert eben die Steine, ans denen
diese Mauer gefügt ist.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hüthcl Ä Herrmann in Leipzig.

ästhetischen Feingefühl hinter keinem französischen Kritiker zurücksteht. Ueber
die soziale Bedeutnny von Paris äußern sich ans der einen Seite Gastinecm,
de Pontmartin und Graf Gasparin, auf der andern Theophile Gautier und
Paul de Se. Victor. Aehnlich verfährt der Verfasser bei der Darstellung der
französischen Gesellschaft und Geistesverfassung. Er beherrscht ein umfangreiches
Material und hat es vortrefflich bewältigt und verwerthet/ so daß wir in seiner
Arbeit ein Mittel zu gründlicher Belehrung über den Charakter und das Leben
der heutige» Franzosen besitzen.


Mngyarisirnng in Ungarn. Nach den Debatten des Ungarischen Reichstags über
den obligaten Unterricht der magyarischen Sprache in sämmtlichen Volksschulen. München,
Th. Ackermann, 1879.

Eine ausführliche und mit Belegen versehene Darstellung der bekannten
Vorgänge, welche vor kurzem in Ungarn so viel Aufregung veranlaßten Das
betreffende Gesetz, eine Reaktion gegen den in Pest schmerzlich empfundenen Ver¬
lauf der orientalischem Frage und speziell gegen die Wirkung der Occupation
Bosniens, verlangt vou jedem Volksschullehrer genügende Kenntniß der „Staats¬
sprache", d. h. des Magyarischen, und führt diese Sprache in allen Elementar¬
schulen des Königreichs als obligatorischen Lehrgegenstand ein. Die Sachsen,
Slowaken, Serben und Rumänen Ungarns sollen auf diese Weise zu Magyaren
gemacht werde«, damit das vou 15 Millionen Menschen bewohnte Land einsprachig
sei und diese Millionen sich als eine einzige Nation fühle«. Dergleichen Versuche
haben in neuer Zeit niemals ihr Ziel erreicht, sie können immer nur als
Tyrannei empfunden werden und zum Gegentheil dessen führen, was damit
bezweckt wird, zumal wenn wie hier eine 'minder civilisirte Race einer höher
stehenden ihre nationalen Eigenthümlichkeiten aufuöthigeu will, und wenn jene
Race zwar vorläufig die Macht in der Hand hat, aber deu andern gegenüber
in der Minorität ist. Es ist unmöglich, daß die Maßregel die ungarischen
Slawen dnrch die Schule zu Magyaren macht, sehr möglich dagegen, daß sie
dieselben dem Panslawismns in die Arme treibt. Jedenfalls wird ihre Folge
Zwiespalt, statt Einigkeit der Bewohner Ungarns sein, wie das selbst magyarische
Abgeordnete, z. B. Ludwig Moesary, mit großer Energie ausgesprochen haben.
Und das ist auch vom deutschen Standpunkte und abgesehen von der in dem
Gesetze liegenden Vergewaltigung der siebenbürgischen Sachsen nicht erfreulich;
Ungarn gilt mit Recht als Vormauer Deutschlands gegen das in Rußland
concentrirte Slawenthum, und die Maßregel lockert eben die Steine, ans denen
diese Mauer gefügt ist.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl Ä Herrmann in Leipzig.
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[0564] ästhetischen Feingefühl hinter keinem französischen Kritiker zurücksteht. Ueber die soziale Bedeutnny von Paris äußern sich ans der einen Seite Gastinecm, de Pontmartin und Graf Gasparin, auf der andern Theophile Gautier und Paul de Se. Victor. Aehnlich verfährt der Verfasser bei der Darstellung der französischen Gesellschaft und Geistesverfassung. Er beherrscht ein umfangreiches Material und hat es vortrefflich bewältigt und verwerthet/ so daß wir in seiner Arbeit ein Mittel zu gründlicher Belehrung über den Charakter und das Leben der heutige» Franzosen besitzen. Mngyarisirnng in Ungarn. Nach den Debatten des Ungarischen Reichstags über den obligaten Unterricht der magyarischen Sprache in sämmtlichen Volksschulen. München, Th. Ackermann, 1879. Eine ausführliche und mit Belegen versehene Darstellung der bekannten Vorgänge, welche vor kurzem in Ungarn so viel Aufregung veranlaßten Das betreffende Gesetz, eine Reaktion gegen den in Pest schmerzlich empfundenen Ver¬ lauf der orientalischem Frage und speziell gegen die Wirkung der Occupation Bosniens, verlangt vou jedem Volksschullehrer genügende Kenntniß der „Staats¬ sprache", d. h. des Magyarischen, und führt diese Sprache in allen Elementar¬ schulen des Königreichs als obligatorischen Lehrgegenstand ein. Die Sachsen, Slowaken, Serben und Rumänen Ungarns sollen auf diese Weise zu Magyaren gemacht werde«, damit das vou 15 Millionen Menschen bewohnte Land einsprachig sei und diese Millionen sich als eine einzige Nation fühle«. Dergleichen Versuche haben in neuer Zeit niemals ihr Ziel erreicht, sie können immer nur als Tyrannei empfunden werden und zum Gegentheil dessen führen, was damit bezweckt wird, zumal wenn wie hier eine 'minder civilisirte Race einer höher stehenden ihre nationalen Eigenthümlichkeiten aufuöthigeu will, und wenn jene Race zwar vorläufig die Macht in der Hand hat, aber deu andern gegenüber in der Minorität ist. Es ist unmöglich, daß die Maßregel die ungarischen Slawen dnrch die Schule zu Magyaren macht, sehr möglich dagegen, daß sie dieselben dem Panslawismns in die Arme treibt. Jedenfalls wird ihre Folge Zwiespalt, statt Einigkeit der Bewohner Ungarns sein, wie das selbst magyarische Abgeordnete, z. B. Ludwig Moesary, mit großer Energie ausgesprochen haben. Und das ist auch vom deutschen Standpunkte und abgesehen von der in dem Gesetze liegenden Vergewaltigung der siebenbürgischen Sachsen nicht erfreulich; Ungarn gilt mit Recht als Vormauer Deutschlands gegen das in Rußland concentrirte Slawenthum, und die Maßregel lockert eben die Steine, ans denen diese Mauer gefügt ist. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl Ä Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/564>, abgerufen am 23.07.2024.