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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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entfernt, da er untauglich war und "sich vom Armbrustschuitzeu und Kannen-
machen ernähren konnte". Der in Höfchen war so weit gegangen, daß er dem
Küster die Hand lahm gehauen und in der Kirche selbst einen alten Mann ge¬
prügelt hatte. Am Laienstande fanden die Visitatoren auffallende Gleichgiltigkeit
gegen das Sakrament, in Luptitz und Hohenstüdt auch Störung des Gottes¬
dienstes zu rügen. In Potenz und Thmnmenhain gab es Anhänger Zwinglis.

Auf die Schulen dieser Visitationsbezirke bedurften sehr der Hebung. In
Colditz stand an der Spitze der Schule ein verarmter Edelmann, der nicht einmal
der lateinischen Sprache mächtig war und sich vom Schreiben von Bittschriften
nährte. In Leißnig scheint ähnliches der Fall gewesen zu sein. Eine Mädchen¬
schule existirte nur in Griinma und Eilenburg. Die Visitatoren wirkten auf
Hebung der Lateinschulen durch Anstellung von Lehrern hin, welche die latei¬
nischen Klassiker verstanden und "ein ziemlich gutes lateinisches scriptum" anzu¬
fertigen befähigt waren. Das Hauptgewicht sollte auf die grammatische Bildung
gelegt werden, die erfahrungsmäßig von den Lehrern verabsäumt wurdet indem
diese die Jugeich mit der bloßen Erlernung von Regeln "zu plagen" pflegten,
ohne dieselben bei der Lektüre in Anwendung zu bringen. In den Dörfern
strebte man wenigstens den nothdürftigsten Unterricht der Kinder an, der in der
Regel dem Küster zufiel.

Der Versuch, die Visitationen auch über das kursächsische Gebiet hinaus
auf die Ländchen der Vasallen auszudehnen, mußte bei der ablehnenden Haltung
derselben aufgegeben werden, und die Fortsetzung und Wiederholung jener
Untersuchungsfahrten unterblieb auch im Kurstaate einige Jahre. Die vorhan¬
denen Mittel zur Begründung und Aufbesserung geistlicher Stellen waren
erschöpft, die theologischen und politischen Kräfte waren anderweit in Anspruch
genommen, theils durch Arbeit an der, Befestigung der neuen Kirche, theils
durch Sorge für deren weitere Durchbildung. Es war die Zeit, wo Luther
seinen großen und kleinen Katechismus verfaßte, jenen, um dem Klerus, diesen,
um den Laien ein Mittel zu besserer Kenntniß der kirchlichen Sittenregeln und
Glaubenssatzungen zu schaffen.

Nach diesem Stillstande der Visitationen begann, als die protestantische
Kirche durch den Religivnsfrieden von 1530 fest begründet war, die weitere
Durchbildung derselben vermittelst Visitationen, die von 1532 bis 1545 dauerten
und nach einer neuen Instruktion vorgenommen wurden. Die geistlichen Güter
wurden jetzt ungehindert zur Dotation von Kirchen- und Schulstellen verwendet
und die papistischen oder sonst untauglichen Elemente aus der Kirche fortge¬
wiesen. Diese Maßregeln hatten um fo mehr Bedeutung, als die sächsische
Landesvertretung sie angeregt hatte; denn es zeigte sich hierbei, daß der Drang
nach Reformation im Lande allenthalben gewachsen war. Man visitirte jetzt


entfernt, da er untauglich war und „sich vom Armbrustschuitzeu und Kannen-
machen ernähren konnte". Der in Höfchen war so weit gegangen, daß er dem
Küster die Hand lahm gehauen und in der Kirche selbst einen alten Mann ge¬
prügelt hatte. Am Laienstande fanden die Visitatoren auffallende Gleichgiltigkeit
gegen das Sakrament, in Luptitz und Hohenstüdt auch Störung des Gottes¬
dienstes zu rügen. In Potenz und Thmnmenhain gab es Anhänger Zwinglis.

Auf die Schulen dieser Visitationsbezirke bedurften sehr der Hebung. In
Colditz stand an der Spitze der Schule ein verarmter Edelmann, der nicht einmal
der lateinischen Sprache mächtig war und sich vom Schreiben von Bittschriften
nährte. In Leißnig scheint ähnliches der Fall gewesen zu sein. Eine Mädchen¬
schule existirte nur in Griinma und Eilenburg. Die Visitatoren wirkten auf
Hebung der Lateinschulen durch Anstellung von Lehrern hin, welche die latei¬
nischen Klassiker verstanden und „ein ziemlich gutes lateinisches scriptum" anzu¬
fertigen befähigt waren. Das Hauptgewicht sollte auf die grammatische Bildung
gelegt werden, die erfahrungsmäßig von den Lehrern verabsäumt wurdet indem
diese die Jugeich mit der bloßen Erlernung von Regeln „zu plagen" pflegten,
ohne dieselben bei der Lektüre in Anwendung zu bringen. In den Dörfern
strebte man wenigstens den nothdürftigsten Unterricht der Kinder an, der in der
Regel dem Küster zufiel.

Der Versuch, die Visitationen auch über das kursächsische Gebiet hinaus
auf die Ländchen der Vasallen auszudehnen, mußte bei der ablehnenden Haltung
derselben aufgegeben werden, und die Fortsetzung und Wiederholung jener
Untersuchungsfahrten unterblieb auch im Kurstaate einige Jahre. Die vorhan¬
denen Mittel zur Begründung und Aufbesserung geistlicher Stellen waren
erschöpft, die theologischen und politischen Kräfte waren anderweit in Anspruch
genommen, theils durch Arbeit an der, Befestigung der neuen Kirche, theils
durch Sorge für deren weitere Durchbildung. Es war die Zeit, wo Luther
seinen großen und kleinen Katechismus verfaßte, jenen, um dem Klerus, diesen,
um den Laien ein Mittel zu besserer Kenntniß der kirchlichen Sittenregeln und
Glaubenssatzungen zu schaffen.

Nach diesem Stillstande der Visitationen begann, als die protestantische
Kirche durch den Religivnsfrieden von 1530 fest begründet war, die weitere
Durchbildung derselben vermittelst Visitationen, die von 1532 bis 1545 dauerten
und nach einer neuen Instruktion vorgenommen wurden. Die geistlichen Güter
wurden jetzt ungehindert zur Dotation von Kirchen- und Schulstellen verwendet
und die papistischen oder sonst untauglichen Elemente aus der Kirche fortge¬
wiesen. Diese Maßregeln hatten um fo mehr Bedeutung, als die sächsische
Landesvertretung sie angeregt hatte; denn es zeigte sich hierbei, daß der Drang
nach Reformation im Lande allenthalben gewachsen war. Man visitirte jetzt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/545>, abgerufen am 23.07.2024.