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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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stand vertritt die Parteigegensätze, die in der Synode sich zur Geltung gebracht
haben, und gerade in den Fragen, die hier erledigt werden müssen, werden die
Parteistandpunkte mit der größten Schärfe einander gegenüberstehen. Theo¬
logen, gegen welche hier nichts eingewandt wird, erscheinen dort als anstößig.
Im Synodalvorstand befinden sich Herr v. Kleist-Retzow und Herr Konsistorial-
Präsident Hegel, Männer, die ihr eigenthümlicher kirchlich-theologischer Stand¬
punkt nöthigen wird, Maßstäbe an die kirchliche Korrektheit eines Docenten zu
legen, deren Jnnehaltung den Fortschritt und die freie Bewegung der Theologie
nur schädigen muß. Wir nennen diese Namen, um die scharfen Gegensätze anzu¬
deuten, die der Synodalvorstand in sich schließt. Körperschaften aber, die mehr
oder weniger nach Parteirücksichten gewählt sind, deren Entschließungen sich zu
einem großen Theile aus der Parteistellung der einzelnen Mitglieder ergeben,
halten wir überhaupt für wenig geeignet, Personalfragen zu entscheiden, am
wenigsten Personalfragen von so zarter Natur wie die hier vorliegende. Es
ist eine wenig beneidenswerthe Situation für den Bewerber um einen akademi¬
schen Lehrstuhl, feine Zukunft in die Hand einer von Parteigegensützen bestimm¬
ten Körperschaft gelegt und abhängig zu wissen von unberechenbaren Kombi-
nationen derselben.

Auch das ist zu erwägen, daß die theologischen Fakultäten, deren Stellung
im akademischen Körper an sich schon schwierig genug ist, durch die beabsichtigte
Veränderung in eine peinliche Lage versetzt werden. Der Behauptung, daß sie
ein ungleichartiges Glied im akademischen Organismus seien, wäre eine Stütze
gegeben. Die Theologie, wie jede Wissenschaft, kann nur in der Luft der Frei¬
heit athmen. Wird ihr diese genommen, so verkümmert sie. Sie mag dann
immer noch über eine stattliche Summe gelehrter Kenntnisse verfügen, aber ihr
idealer Charakter ist doch verloren gegangen. Man lasse der Theologie die freie
Bewegung; auch aus ihren Irrthümern ist der Kirche schließlich Gewinn geworden.
Im Verlauf der wissenschaftlichen Entwickelung werden die Irrthümer ausge¬
schieden, der Wahrheitsgehalt, der ihnen innewohnte, und ohne den sie sich nicht
gebildet hätten, bleibt.

Wir glauben sicher zu sein, daß dieser Beschluß der Generalsynode von
Seiten des Kultusministeriums unbedingt abgelehnt werden wird; bedauern
würden wir aber, wenn diese Entscheidung der Synode den Anlaß geben sollte,
daß die Kabinetsordre, welche das Recht eines Gutachtens dem Oberkirchenrath
bei Besetzung der Professuren einräumt, aufgehoben würde. Wir halten es für
billig, daß der höchsten kirchlichen Behörde bei der Ernennung der Männer, in
deren Hand die Bildung der zukünftigen Lehrer der Kirche gelegt ist, Gelegen¬
heit gegeben wird, ihr Urtheil auszusprechen. Wie es in der Natur der Sache
liegt, ist auch diese Behörde nicht vom Gegensatz der Parteien freigeblieben.


stand vertritt die Parteigegensätze, die in der Synode sich zur Geltung gebracht
haben, und gerade in den Fragen, die hier erledigt werden müssen, werden die
Parteistandpunkte mit der größten Schärfe einander gegenüberstehen. Theo¬
logen, gegen welche hier nichts eingewandt wird, erscheinen dort als anstößig.
Im Synodalvorstand befinden sich Herr v. Kleist-Retzow und Herr Konsistorial-
Präsident Hegel, Männer, die ihr eigenthümlicher kirchlich-theologischer Stand¬
punkt nöthigen wird, Maßstäbe an die kirchliche Korrektheit eines Docenten zu
legen, deren Jnnehaltung den Fortschritt und die freie Bewegung der Theologie
nur schädigen muß. Wir nennen diese Namen, um die scharfen Gegensätze anzu¬
deuten, die der Synodalvorstand in sich schließt. Körperschaften aber, die mehr
oder weniger nach Parteirücksichten gewählt sind, deren Entschließungen sich zu
einem großen Theile aus der Parteistellung der einzelnen Mitglieder ergeben,
halten wir überhaupt für wenig geeignet, Personalfragen zu entscheiden, am
wenigsten Personalfragen von so zarter Natur wie die hier vorliegende. Es
ist eine wenig beneidenswerthe Situation für den Bewerber um einen akademi¬
schen Lehrstuhl, feine Zukunft in die Hand einer von Parteigegensützen bestimm¬
ten Körperschaft gelegt und abhängig zu wissen von unberechenbaren Kombi-
nationen derselben.

Auch das ist zu erwägen, daß die theologischen Fakultäten, deren Stellung
im akademischen Körper an sich schon schwierig genug ist, durch die beabsichtigte
Veränderung in eine peinliche Lage versetzt werden. Der Behauptung, daß sie
ein ungleichartiges Glied im akademischen Organismus seien, wäre eine Stütze
gegeben. Die Theologie, wie jede Wissenschaft, kann nur in der Luft der Frei¬
heit athmen. Wird ihr diese genommen, so verkümmert sie. Sie mag dann
immer noch über eine stattliche Summe gelehrter Kenntnisse verfügen, aber ihr
idealer Charakter ist doch verloren gegangen. Man lasse der Theologie die freie
Bewegung; auch aus ihren Irrthümern ist der Kirche schließlich Gewinn geworden.
Im Verlauf der wissenschaftlichen Entwickelung werden die Irrthümer ausge¬
schieden, der Wahrheitsgehalt, der ihnen innewohnte, und ohne den sie sich nicht
gebildet hätten, bleibt.

Wir glauben sicher zu sein, daß dieser Beschluß der Generalsynode von
Seiten des Kultusministeriums unbedingt abgelehnt werden wird; bedauern
würden wir aber, wenn diese Entscheidung der Synode den Anlaß geben sollte,
daß die Kabinetsordre, welche das Recht eines Gutachtens dem Oberkirchenrath
bei Besetzung der Professuren einräumt, aufgehoben würde. Wir halten es für
billig, daß der höchsten kirchlichen Behörde bei der Ernennung der Männer, in
deren Hand die Bildung der zukünftigen Lehrer der Kirche gelegt ist, Gelegen¬
heit gegeben wird, ihr Urtheil auszusprechen. Wie es in der Natur der Sache
liegt, ist auch diese Behörde nicht vom Gegensatz der Parteien freigeblieben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/532>, abgerufen am 23.07.2024.