Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.sich in schwere Schuld, weil er den Zwiespalt zwischen der Güte seines Herzens Jerdimnd Ireittgraths Jugend. Nach eignen Briefen. Ueber Ferdinand Freiligraths Jugendleben haben wir bisher nur sehr Ein günstiges Geschick hat es gefügt, daß dem Verfasser dieser Zeilen Geboren zu Detmold am 17. Juni 1810, eines unbemittelten Volkslehrers sich in schwere Schuld, weil er den Zwiespalt zwischen der Güte seines Herzens Jerdimnd Ireittgraths Jugend. Nach eignen Briefen. Ueber Ferdinand Freiligraths Jugendleben haben wir bisher nur sehr Ein günstiges Geschick hat es gefügt, daß dem Verfasser dieser Zeilen Geboren zu Detmold am 17. Juni 1810, eines unbemittelten Volkslehrers <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143556"/> <p xml:id="ID_1445" prev="#ID_1444"> sich in schwere Schuld, weil er den Zwiespalt zwischen der Güte seines Herzens<lb/> und der Schwäche seines Willens, zwischen seinem patriotischen Streben und<lb/> seiner mangelhaften politischen Einsicht, zwischen seinem allumfassenden Inter¬<lb/> esse und seiner beschränkten Kraft niemals zu überwinden vermochte. Ihm<lb/> fehlte die feste Grundlage geordneter Zustände, auf die er sich hätte stützen<lb/> können zu gedeihlichem Wirken, ein großer, geschlossener, Ehrfurcht gebietender<lb/> und Hingabe weckender Staat, und so wurde er nicht blos ein Opfer seiner<lb/> eigenen Schwächen, sondern fast mehr noch ein Opfer seiner Zeit.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Jerdimnd Ireittgraths Jugend.<lb/> Nach eignen Briefen. </head><lb/> <p xml:id="ID_1446"> Ueber Ferdinand Freiligraths Jugendleben haben wir bisher nur sehr<lb/> unzulängliche Kunde gehabt. Die hauptsächlichsten Entwickelungsstufen seines<lb/> Lebens, bis er mit dem Erscheinen seiner „Gedichte" 1838 zum ersten Male in<lb/> helleres Licht trat, sind zwar im wesentlichen bekannt; die feineren Züge aber<lb/> entzogen sich unserer Kenntniß. Ueber die allmähliche Reife seines dichterischen<lb/> Talentes von den ersten unselbständigen Anfängen an bis zu der Originalität,<lb/> welche in den Gedichten des Musenalmanachs 1835 hervortritt, sind wir bis jetzt<lb/> nicht unterrichtet gewesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1447"> Ein günstiges Geschick hat es gefügt, daß dem Verfasser dieser Zeilen<lb/> Freiligraths Briefe an eine große Zahl seiner Freunde überlasse» wurden zum<lb/> Zweck einer biographischen Arbeit, welche wesentlich aus diesen Briefen des<lb/> Dichters erwachsen und die wichtigsten derselben mittheilen wird. Daß Männer<lb/> wie Chamisso, Schwab, Immermann, Wolfgang Müller, Simrock, Hoffmann<lb/> v. Fallersleben, Auerbach, Geibel, Schücking, Kinkel, Carriere u. a. ihm als<lb/> Korrespondenten nahetraten, läßt wohl darauf schließen, daß diese Briefe für<lb/> die Kenntniß der Geschichte von des Dichters Entwickelung reichen Aufschluß<lb/> bieten. Ms sei gestattet, als Vorläufer des Ganze« im Nachfolgenden zwei<lb/> dieser Briefe mitzutheilen, in welchen der Dichter selbst nahen Freunden über<lb/> seinen Bildungsgang Aufschluß gibt. Er thut es mit jener Wahrhaftigkeit und<lb/> zugleich mit jener Bescheidenheit, welche ihm lebenslang eigen waren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1448" next="#ID_1449"> Geboren zu Detmold am 17. Juni 1810, eines unbemittelten Volkslehrers<lb/> Sohn, besuchte Freiligrath bis zu seinem 15. Geburtstage das Gymnasium</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0501]
sich in schwere Schuld, weil er den Zwiespalt zwischen der Güte seines Herzens
und der Schwäche seines Willens, zwischen seinem patriotischen Streben und
seiner mangelhaften politischen Einsicht, zwischen seinem allumfassenden Inter¬
esse und seiner beschränkten Kraft niemals zu überwinden vermochte. Ihm
fehlte die feste Grundlage geordneter Zustände, auf die er sich hätte stützen
können zu gedeihlichem Wirken, ein großer, geschlossener, Ehrfurcht gebietender
und Hingabe weckender Staat, und so wurde er nicht blos ein Opfer seiner
eigenen Schwächen, sondern fast mehr noch ein Opfer seiner Zeit.
Jerdimnd Ireittgraths Jugend.
Nach eignen Briefen.
Ueber Ferdinand Freiligraths Jugendleben haben wir bisher nur sehr
unzulängliche Kunde gehabt. Die hauptsächlichsten Entwickelungsstufen seines
Lebens, bis er mit dem Erscheinen seiner „Gedichte" 1838 zum ersten Male in
helleres Licht trat, sind zwar im wesentlichen bekannt; die feineren Züge aber
entzogen sich unserer Kenntniß. Ueber die allmähliche Reife seines dichterischen
Talentes von den ersten unselbständigen Anfängen an bis zu der Originalität,
welche in den Gedichten des Musenalmanachs 1835 hervortritt, sind wir bis jetzt
nicht unterrichtet gewesen.
Ein günstiges Geschick hat es gefügt, daß dem Verfasser dieser Zeilen
Freiligraths Briefe an eine große Zahl seiner Freunde überlasse» wurden zum
Zweck einer biographischen Arbeit, welche wesentlich aus diesen Briefen des
Dichters erwachsen und die wichtigsten derselben mittheilen wird. Daß Männer
wie Chamisso, Schwab, Immermann, Wolfgang Müller, Simrock, Hoffmann
v. Fallersleben, Auerbach, Geibel, Schücking, Kinkel, Carriere u. a. ihm als
Korrespondenten nahetraten, läßt wohl darauf schließen, daß diese Briefe für
die Kenntniß der Geschichte von des Dichters Entwickelung reichen Aufschluß
bieten. Ms sei gestattet, als Vorläufer des Ganze« im Nachfolgenden zwei
dieser Briefe mitzutheilen, in welchen der Dichter selbst nahen Freunden über
seinen Bildungsgang Aufschluß gibt. Er thut es mit jener Wahrhaftigkeit und
zugleich mit jener Bescheidenheit, welche ihm lebenslang eigen waren.
Geboren zu Detmold am 17. Juni 1810, eines unbemittelten Volkslehrers
Sohn, besuchte Freiligrath bis zu seinem 15. Geburtstage das Gymnasium
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