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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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dachte sich also den neuen Bund als eine Umbildung des alten Reichs. Etwas
anders faßte der Protektor die Sache auf, obwohl er sich hütete, diesem naiven
Bewunderer seiner Größe seine geheimsten Gedanken zu verrathen. Als die
ruchlose Ermordung Palus (26. August) die neue Souveränetät der Rhein¬
bundsfürsten blendend illustrirt hatte und die allgemeine Entrüstung doch zu
deutlich hervortrat, da erklärte Napoleon in einem an den Fürsten Primas
gerichteten Circular vom 11. September, er wolle nur Protektor, nicht Ober¬
lehnsherr (suüMÄin) der Bundesfürsten sein, sich also in die inneren Angele¬
genheiten derselben keineswegs mischen und nur sie bei ihrer Souveränetät
schützen. Das ganze Verhältniß habe eben nichts Neues geschaffen, sondern
nur dasjenige gesetzlich fixirt, was schon seit Jahrhunderten thatsächlich be¬
standen. Eben darum betonte er auch in einem Briefe an Talleyrano (22.
August), das zu vereinbarende Grundgesetz müsse die Unabhängigkeit der einzel¬
nen Staaten so wenig wie möglich verletzen; als Grundlage müsse vor allem
die Unverletzlichkeit des Bundesgebiets festgehalten, demzufolge auch keinen
fremden Truppen (die französischen galten natürlich nicht als fremde) der Durch¬
marsch verstattet werden. Darauf hin lud Dalberg vermittelst Circulars vom
13. September die Bundesregierungen ein, ihre Gesandten zur Berathung des
Grundgesetzes nach Frankfurt zu schicken, und legte ihnen zugleich die Anschau¬
ungen des hohen Protektors vor. Wirklich trafen nun mehrere Gesandte ein,
aber der Ausbruch des Krieges mit Preußen (25. September) verhinderte die
beabsichtigte Berathung im Beginn; Baiern und Würtemberg riefen ihre Ver¬
treter ab.

Dieser erste Versuch, den Bundestag zu bilden, ist auch der letzte geblieben.
Umsonst schickte der Fürst-Primas den Grafen Beust, den Bruder seines Ge¬
sandten in Paris, im Dezember 1806 mit neuen Vorschlägen dem Kaiser nach
Berlin, schließlich auch nach Warschau uach, umsonst wies er darauf hin, daß
vielfach schon (z. B. in Würtemberg) die Souveränetät mit willkürlicher Gewalt
verwechselt werde; der furchtbare Winterfeldzug in Ostpreußen beschäftigte den
Schutzherrn begreiflicherweise mehr als die Verfassungspläne seines Getreuen;
er ließ sie zunächst ganz unbeantwortet. Erst als er nach dem Frieden von
Tilsit den Primas in Frankfurt besuchte (24. Juli), lud er ihn nach Paris ein,
um über den Rheinbund und die Verhältnisse der katholischen Kirche in Deutsch-
land (d. h. im Rheinbunde) mit ihm weiter zu verhandeln.

Während eines mehr als halbjährigen Aufenthalts in der französischen
Hauptstadt vom August 1807 bis zum März 1808 hatte Dalberg mehrere
Persönliche Unterredungen mit Napoleon über seine Verfassungspläne. Da die
beiden von ihm vorgeschlagenen "Reichstribunale" nicht die Billigung des Pro¬
tektors fanden, so wollte er dem Bundestage die Entscheidung etwaiger Strei-


dachte sich also den neuen Bund als eine Umbildung des alten Reichs. Etwas
anders faßte der Protektor die Sache auf, obwohl er sich hütete, diesem naiven
Bewunderer seiner Größe seine geheimsten Gedanken zu verrathen. Als die
ruchlose Ermordung Palus (26. August) die neue Souveränetät der Rhein¬
bundsfürsten blendend illustrirt hatte und die allgemeine Entrüstung doch zu
deutlich hervortrat, da erklärte Napoleon in einem an den Fürsten Primas
gerichteten Circular vom 11. September, er wolle nur Protektor, nicht Ober¬
lehnsherr (suüMÄin) der Bundesfürsten sein, sich also in die inneren Angele¬
genheiten derselben keineswegs mischen und nur sie bei ihrer Souveränetät
schützen. Das ganze Verhältniß habe eben nichts Neues geschaffen, sondern
nur dasjenige gesetzlich fixirt, was schon seit Jahrhunderten thatsächlich be¬
standen. Eben darum betonte er auch in einem Briefe an Talleyrano (22.
August), das zu vereinbarende Grundgesetz müsse die Unabhängigkeit der einzel¬
nen Staaten so wenig wie möglich verletzen; als Grundlage müsse vor allem
die Unverletzlichkeit des Bundesgebiets festgehalten, demzufolge auch keinen
fremden Truppen (die französischen galten natürlich nicht als fremde) der Durch¬
marsch verstattet werden. Darauf hin lud Dalberg vermittelst Circulars vom
13. September die Bundesregierungen ein, ihre Gesandten zur Berathung des
Grundgesetzes nach Frankfurt zu schicken, und legte ihnen zugleich die Anschau¬
ungen des hohen Protektors vor. Wirklich trafen nun mehrere Gesandte ein,
aber der Ausbruch des Krieges mit Preußen (25. September) verhinderte die
beabsichtigte Berathung im Beginn; Baiern und Würtemberg riefen ihre Ver¬
treter ab.

Dieser erste Versuch, den Bundestag zu bilden, ist auch der letzte geblieben.
Umsonst schickte der Fürst-Primas den Grafen Beust, den Bruder seines Ge¬
sandten in Paris, im Dezember 1806 mit neuen Vorschlägen dem Kaiser nach
Berlin, schließlich auch nach Warschau uach, umsonst wies er darauf hin, daß
vielfach schon (z. B. in Würtemberg) die Souveränetät mit willkürlicher Gewalt
verwechselt werde; der furchtbare Winterfeldzug in Ostpreußen beschäftigte den
Schutzherrn begreiflicherweise mehr als die Verfassungspläne seines Getreuen;
er ließ sie zunächst ganz unbeantwortet. Erst als er nach dem Frieden von
Tilsit den Primas in Frankfurt besuchte (24. Juli), lud er ihn nach Paris ein,
um über den Rheinbund und die Verhältnisse der katholischen Kirche in Deutsch-
land (d. h. im Rheinbunde) mit ihm weiter zu verhandeln.

Während eines mehr als halbjährigen Aufenthalts in der französischen
Hauptstadt vom August 1807 bis zum März 1808 hatte Dalberg mehrere
Persönliche Unterredungen mit Napoleon über seine Verfassungspläne. Da die
beiden von ihm vorgeschlagenen „Reichstribunale" nicht die Billigung des Pro¬
tektors fanden, so wollte er dem Bundestage die Entscheidung etwaiger Strei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/455>, abgerufen am 26.08.2024.