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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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dringenden Falle, unter Vorbehaltnng der Ratifikation einen Vertrag unter¬
schreiben, den er für seinen Staat als nützlich betrachte. "Ich werde fortwäh¬
rend alles, was in meinen Kräften steht, thun, daß der große Mann, der mich
mit seinem Vertrauen beehrt, mich seiner wohlwollenden Achtung würdig finde,
und daß mein Eifer für das Wohl Deutschlands sich stets gleich bleibe." Fast
zur selben Zeit, am 18. Juli, bemerkte er zu einem Schreiben Albinis vom 17.:
"Ich bin in tiefem Vertrauen in die göttliche Vorsehung aus Alles gefaßt; wenn
die vkarta iria^nu, kommt, so wird sie zu prüfen sein, mit dem festen Vorsatz
der Pflicht und des nriM x^Ussosrö culpa; können wir die deutsche alte Ver¬
fassung retten, so sind Herr Staatsminister gewiß mit Mir einverstanden, daß
wir alle Kräfte aufbieten müssen. Stürzt aber das alte ehrwürdige Gebäude
unaufhaltsam zusammen, iinMvickos ksrisut, rnivas, und der Dekan des Kur¬
fürstlichen Kollegiums muß sich in solchem Augenblick in Beziehung auf seine
Kollegen mit Offenheit, Würde und ruhiger Sündhaftigkeit betragen." Also
nur die hundertmal wiederholten Redensarten, hinter denen weder Einsicht uoch
Entschlossenheit stand.

Die Ausfertigung der Rheinbuudsakte verzögerte sich über Erwarten. Erst
am 11. und 12. Juli berief Talleyrand die Gesandten einzeln zu sich, las ihnen
das Aktenstück vor und forderte die Gesandten auf zu unterzeichnen. Dies ge¬
schah jedoch erst am 17. Juli, dem Datum, welches denn auch die verhüngniß-
volle Urkunde trägt. Am 18. meldete Beust das Geschehene. Seine Depesche
kann den Erzkanzler frühestens am 23. erreicht haben; die Ratifikation war
dann pünktlich, wie stipulirt, am 25. in München. Damit fällt auch die Behaup¬
tung, zu der sich Dalberg gegenüber dem österreichischen Gesandten in Regens¬
burg, v. Fahrenberg, am 11. August herabließ, er sei über die Akte heftig er¬
schrocken und habe erst an Resignation gedacht und sich davon nur durch die
Vorstellungen einiger Mitstände abbringen lassen, in nichts zusammen. Oder,
beruht sie insofern auf Wahrheit, als er wirklich von einzelnen Bestimmungen
der Rheinbundsakte erschreckt wurde, und daß er einen Moment zögerte, sie zu
ratifiziren, so würde das wenig anderes als Gedankenlosigkeit und Kurzsichtig¬
keit gewesen sein. Denn er sah nichts weiter vor sich als die Ausführung
dessen, was er kurz vorher selbst als wünschenswert!) bezeichnet hatte, und über
eilte Hauptsachen, vor allem über die bevorstehende Trennung vom Reiche und
das Protektorat Napoleons, hatte ihn bereits Beusts erste Depesche unterrichtet.
Wie dem auch sei, Dalberg hat, wie die andern auch, den Vertrag, der das
alte tausendjährige Reich vollends in Trümmer schlug, ratifizirt und am 1. August
mit seinen fürstlichen Genossen am Reichstage seinen Austritt aus dein bis¬
herigen Verbände erklärt. Am Tage vorher hatte er sich bereits durch Anzeige


Grenzboten IV. 187". S9

dringenden Falle, unter Vorbehaltnng der Ratifikation einen Vertrag unter¬
schreiben, den er für seinen Staat als nützlich betrachte. „Ich werde fortwäh¬
rend alles, was in meinen Kräften steht, thun, daß der große Mann, der mich
mit seinem Vertrauen beehrt, mich seiner wohlwollenden Achtung würdig finde,
und daß mein Eifer für das Wohl Deutschlands sich stets gleich bleibe." Fast
zur selben Zeit, am 18. Juli, bemerkte er zu einem Schreiben Albinis vom 17.:
„Ich bin in tiefem Vertrauen in die göttliche Vorsehung aus Alles gefaßt; wenn
die vkarta iria^nu, kommt, so wird sie zu prüfen sein, mit dem festen Vorsatz
der Pflicht und des nriM x^Ussosrö culpa; können wir die deutsche alte Ver¬
fassung retten, so sind Herr Staatsminister gewiß mit Mir einverstanden, daß
wir alle Kräfte aufbieten müssen. Stürzt aber das alte ehrwürdige Gebäude
unaufhaltsam zusammen, iinMvickos ksrisut, rnivas, und der Dekan des Kur¬
fürstlichen Kollegiums muß sich in solchem Augenblick in Beziehung auf seine
Kollegen mit Offenheit, Würde und ruhiger Sündhaftigkeit betragen." Also
nur die hundertmal wiederholten Redensarten, hinter denen weder Einsicht uoch
Entschlossenheit stand.

Die Ausfertigung der Rheinbuudsakte verzögerte sich über Erwarten. Erst
am 11. und 12. Juli berief Talleyrand die Gesandten einzeln zu sich, las ihnen
das Aktenstück vor und forderte die Gesandten auf zu unterzeichnen. Dies ge¬
schah jedoch erst am 17. Juli, dem Datum, welches denn auch die verhüngniß-
volle Urkunde trägt. Am 18. meldete Beust das Geschehene. Seine Depesche
kann den Erzkanzler frühestens am 23. erreicht haben; die Ratifikation war
dann pünktlich, wie stipulirt, am 25. in München. Damit fällt auch die Behaup¬
tung, zu der sich Dalberg gegenüber dem österreichischen Gesandten in Regens¬
burg, v. Fahrenberg, am 11. August herabließ, er sei über die Akte heftig er¬
schrocken und habe erst an Resignation gedacht und sich davon nur durch die
Vorstellungen einiger Mitstände abbringen lassen, in nichts zusammen. Oder,
beruht sie insofern auf Wahrheit, als er wirklich von einzelnen Bestimmungen
der Rheinbundsakte erschreckt wurde, und daß er einen Moment zögerte, sie zu
ratifiziren, so würde das wenig anderes als Gedankenlosigkeit und Kurzsichtig¬
keit gewesen sein. Denn er sah nichts weiter vor sich als die Ausführung
dessen, was er kurz vorher selbst als wünschenswert!) bezeichnet hatte, und über
eilte Hauptsachen, vor allem über die bevorstehende Trennung vom Reiche und
das Protektorat Napoleons, hatte ihn bereits Beusts erste Depesche unterrichtet.
Wie dem auch sei, Dalberg hat, wie die andern auch, den Vertrag, der das
alte tausendjährige Reich vollends in Trümmer schlug, ratifizirt und am 1. August
mit seinen fürstlichen Genossen am Reichstage seinen Austritt aus dein bis¬
herigen Verbände erklärt. Am Tage vorher hatte er sich bereits durch Anzeige


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[0453] dringenden Falle, unter Vorbehaltnng der Ratifikation einen Vertrag unter¬ schreiben, den er für seinen Staat als nützlich betrachte. „Ich werde fortwäh¬ rend alles, was in meinen Kräften steht, thun, daß der große Mann, der mich mit seinem Vertrauen beehrt, mich seiner wohlwollenden Achtung würdig finde, und daß mein Eifer für das Wohl Deutschlands sich stets gleich bleibe." Fast zur selben Zeit, am 18. Juli, bemerkte er zu einem Schreiben Albinis vom 17.: „Ich bin in tiefem Vertrauen in die göttliche Vorsehung aus Alles gefaßt; wenn die vkarta iria^nu, kommt, so wird sie zu prüfen sein, mit dem festen Vorsatz der Pflicht und des nriM x^Ussosrö culpa; können wir die deutsche alte Ver¬ fassung retten, so sind Herr Staatsminister gewiß mit Mir einverstanden, daß wir alle Kräfte aufbieten müssen. Stürzt aber das alte ehrwürdige Gebäude unaufhaltsam zusammen, iinMvickos ksrisut, rnivas, und der Dekan des Kur¬ fürstlichen Kollegiums muß sich in solchem Augenblick in Beziehung auf seine Kollegen mit Offenheit, Würde und ruhiger Sündhaftigkeit betragen." Also nur die hundertmal wiederholten Redensarten, hinter denen weder Einsicht uoch Entschlossenheit stand. Die Ausfertigung der Rheinbuudsakte verzögerte sich über Erwarten. Erst am 11. und 12. Juli berief Talleyrand die Gesandten einzeln zu sich, las ihnen das Aktenstück vor und forderte die Gesandten auf zu unterzeichnen. Dies ge¬ schah jedoch erst am 17. Juli, dem Datum, welches denn auch die verhüngniß- volle Urkunde trägt. Am 18. meldete Beust das Geschehene. Seine Depesche kann den Erzkanzler frühestens am 23. erreicht haben; die Ratifikation war dann pünktlich, wie stipulirt, am 25. in München. Damit fällt auch die Behaup¬ tung, zu der sich Dalberg gegenüber dem österreichischen Gesandten in Regens¬ burg, v. Fahrenberg, am 11. August herabließ, er sei über die Akte heftig er¬ schrocken und habe erst an Resignation gedacht und sich davon nur durch die Vorstellungen einiger Mitstände abbringen lassen, in nichts zusammen. Oder, beruht sie insofern auf Wahrheit, als er wirklich von einzelnen Bestimmungen der Rheinbundsakte erschreckt wurde, und daß er einen Moment zögerte, sie zu ratifiziren, so würde das wenig anderes als Gedankenlosigkeit und Kurzsichtig¬ keit gewesen sein. Denn er sah nichts weiter vor sich als die Ausführung dessen, was er kurz vorher selbst als wünschenswert!) bezeichnet hatte, und über eilte Hauptsachen, vor allem über die bevorstehende Trennung vom Reiche und das Protektorat Napoleons, hatte ihn bereits Beusts erste Depesche unterrichtet. Wie dem auch sei, Dalberg hat, wie die andern auch, den Vertrag, der das alte tausendjährige Reich vollends in Trümmer schlug, ratifizirt und am 1. August mit seinen fürstlichen Genossen am Reichstage seinen Austritt aus dein bis¬ herigen Verbände erklärt. Am Tage vorher hatte er sich bereits durch Anzeige Grenzboten IV. 187». S9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/453>, abgerufen am 26.08.2024.