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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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größerungen aus reichsritterschaftlichen und reichsstädtischen Gebieten in Aussicht
genommen waren, so sollte auch der Kurstaat durch Frankfurt a. M. erweitert
werden, und dagegen hatte Dalberg nichts einzuwenden, obwohl er erst kurz
zuvor versichert hatte, er würde für sich nichts annehmen. Von dem Bündniß-
plane selbst erhielt Gras Beust erst am 3. Juli eine beiläufige und allgemein
gehaltene Mittheilung durch Talleyrand, den Minister des Auswärtigen, aus
der aber doch bereits der Plan, alle süd- und westdeutschen Staaten vom Reiche
loszulösen und unter französisches Protektorat zu stellen, völlig erkannbar war
Ueber die Art, wie der Rheinbund damals zu Stande gebracht und die ganze Sache
wenigstens den Gesandten der Kleinstaaten sozusagen über den Kopf weggenommen
wurde, haben schon die Berichte Hans von Gagerns u. a. genügendes Licht verbreitet;
doch enthalten die Relationen des Grafen Beust, welche von Beaulieu in extenso
mitgetheilt werden, noch Manches zur Vervollständigung des unerfreulichen
Bildes. Graf Beust hatte auf die Auseinandersetzung des französischen Ministers
zuerst erklärt, die geforderte Unterschrift könne er seinerseits, da der Vertrag
die ganze "alte Verfassung vollständig ändere und neugestalte", nicht eher geben,
als bis er um neue Instruktionen bei seinem Herrn eingekommen sei, was er
sofort thun wolle; der Franzose jedoch erwiederte einfach, "daß der Kaiser ver¬
lange, es folle Alles ohne den geringsten Aufschub und unter dem größten Ge¬
heimniß fertig gemacht und unterzeichnet werden, daß in einem solchen drin¬
genden Falle der Gesandte bereit sein müsse, die Sache auf sich zu nehmen".
Diesem Drängen wagte der Gesandte nicht zu widerstehen, er berieth sich also
mit dem soeben ernannten Coadjutor Kardinal Fesch, und beide fanden, daß,
da die größeren süddeutschen Staaten mit Frankreich offenbar schon einig und
Napoleons Stellung seit dem Presburger Frieden eine ganz übermächtige ge¬
worden sei, jeder Widerstand unmöglich, ja vielleicht.verderblich werde, zumal
da ja an die Aufrechterhaltung der alten Verfassung ohnehin nicht mehr ge¬
dacht werden könne. Demnach erklärte sich der Gesandte am nächsten Tage
bereit, vorbehaltlich der Genehmigung seines Herrn, den Vertrag zu unterzeich¬
nen. Dabei wurde das Geheimniß dieser kläglichen Verhandlungen so vollständig
gewahrt, daß der preußische Gesandte Lucchesini eben damals seiner Regierung
melden konnte, man beschäftige, sich in Paris gar nicht mit den deutschen An¬
gelegenheiten.

Dalberg selbst kann die Depesche seines Gesandten kaum vor dem 10. Juli
erhalten haben, mußte also annehmen, daß derselbe inzwischen den Vertrag
unterzeichnet haben werde. Brach nun etwa der "erste Kurfürst des Reichs" in
Entrüstung über die bevorstehende Trennung vom deutschen Reiche oder auch
nur in Klagen aus? In seiner Erwiederung vom 22. Juli findet sich nichts
von alledem. Er erklärte vielmehr ausdrücklich, ein Gesandter könne in einem


größerungen aus reichsritterschaftlichen und reichsstädtischen Gebieten in Aussicht
genommen waren, so sollte auch der Kurstaat durch Frankfurt a. M. erweitert
werden, und dagegen hatte Dalberg nichts einzuwenden, obwohl er erst kurz
zuvor versichert hatte, er würde für sich nichts annehmen. Von dem Bündniß-
plane selbst erhielt Gras Beust erst am 3. Juli eine beiläufige und allgemein
gehaltene Mittheilung durch Talleyrand, den Minister des Auswärtigen, aus
der aber doch bereits der Plan, alle süd- und westdeutschen Staaten vom Reiche
loszulösen und unter französisches Protektorat zu stellen, völlig erkannbar war
Ueber die Art, wie der Rheinbund damals zu Stande gebracht und die ganze Sache
wenigstens den Gesandten der Kleinstaaten sozusagen über den Kopf weggenommen
wurde, haben schon die Berichte Hans von Gagerns u. a. genügendes Licht verbreitet;
doch enthalten die Relationen des Grafen Beust, welche von Beaulieu in extenso
mitgetheilt werden, noch Manches zur Vervollständigung des unerfreulichen
Bildes. Graf Beust hatte auf die Auseinandersetzung des französischen Ministers
zuerst erklärt, die geforderte Unterschrift könne er seinerseits, da der Vertrag
die ganze „alte Verfassung vollständig ändere und neugestalte", nicht eher geben,
als bis er um neue Instruktionen bei seinem Herrn eingekommen sei, was er
sofort thun wolle; der Franzose jedoch erwiederte einfach, „daß der Kaiser ver¬
lange, es folle Alles ohne den geringsten Aufschub und unter dem größten Ge¬
heimniß fertig gemacht und unterzeichnet werden, daß in einem solchen drin¬
genden Falle der Gesandte bereit sein müsse, die Sache auf sich zu nehmen".
Diesem Drängen wagte der Gesandte nicht zu widerstehen, er berieth sich also
mit dem soeben ernannten Coadjutor Kardinal Fesch, und beide fanden, daß,
da die größeren süddeutschen Staaten mit Frankreich offenbar schon einig und
Napoleons Stellung seit dem Presburger Frieden eine ganz übermächtige ge¬
worden sei, jeder Widerstand unmöglich, ja vielleicht.verderblich werde, zumal
da ja an die Aufrechterhaltung der alten Verfassung ohnehin nicht mehr ge¬
dacht werden könne. Demnach erklärte sich der Gesandte am nächsten Tage
bereit, vorbehaltlich der Genehmigung seines Herrn, den Vertrag zu unterzeich¬
nen. Dabei wurde das Geheimniß dieser kläglichen Verhandlungen so vollständig
gewahrt, daß der preußische Gesandte Lucchesini eben damals seiner Regierung
melden konnte, man beschäftige, sich in Paris gar nicht mit den deutschen An¬
gelegenheiten.

Dalberg selbst kann die Depesche seines Gesandten kaum vor dem 10. Juli
erhalten haben, mußte also annehmen, daß derselbe inzwischen den Vertrag
unterzeichnet haben werde. Brach nun etwa der „erste Kurfürst des Reichs" in
Entrüstung über die bevorstehende Trennung vom deutschen Reiche oder auch
nur in Klagen aus? In seiner Erwiederung vom 22. Juli findet sich nichts
von alledem. Er erklärte vielmehr ausdrücklich, ein Gesandter könne in einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/452>, abgerufen am 25.08.2024.