Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache,
Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein?

sie ist in Erz gegraben für alle Zeiten, und so manchem auch aus unsern Tagen
kann sie als vernichtender Gorgoschild entgegengehalten werden. Aber wie
mancher schöne, echte Dichterklang geht doch auch ungehört vorüber! Unsere
Zeit ist wenig lyrisch gesinnt, und es gehört Muth dazu, heutzutage noch mit
einem Bändchen lyrischer Gedichte vor die Welt zu treten.

Der Letzte unseres Wissens, der etwas größere Beachtung gefunden, war
Eduard Grisebach mit feinem "Neuen Tanhäuser". Leider war das Interesse,
das seinen süßen, einschmeichelnden Versen entgegengebracht wurde, kein ganz
reines; viele hat sicher nur das erotische Parfüm zu seinen Dichtungen hinge¬
lockt. Erfreulicher, weil ohne jeden verdächtigen Beigeschmack, ist der Erfolg,
den Rudolf Baumbach vor zwei Jahren um die Weihnachtszeit mit seinen
"Liedern eines fahrenden Gesellen" errang. Diese frischen, lustigen und dabei
so schmuck und sauber herausgeputzten Lieder gehören zu dem Besten, was die
deutsche Lyrik der letzten Jahre hervorgebracht hat. Sie sind denn auch vor
kurzem -- bei lyrischen Gedichten heutzutage gewiß eine große Seltenheit -- in
einer zweiten, um einen köstlichen kleinen epischen Cyclus: "Junker Leichtsinn"
vermehrten Auflage erschienen, und gleichzeitig hat uns der Dichter mit einem
Bändchen Neuer Lieder eines fahrenden Gesellen beschenkt. (Leipzig,
Liebeskind, 1880.)

Baumbach ist ein ausgesprochenes dichterisches Talent. Die deutsche Lyrik
ist nicht allzureich an Dichtungen, in denen kunstmäßige Poesie und volksthüm-
liche Klänge in so glücklicher Weise mit einander verschmolzen sind wie in seinen
Liedern. Bald heimeln sie uns an wie Volkslieder aus dem 16. Jahrhundert,
bald meinen wir gar einem alten Minnesinger zu lauschen, und doch ist nirgends
eine Spur von jener manierirten Alterthümelei darin, die sich jetzt aller Orten
in der "kulturgeschichtlichen" Poesie -- Roman, Novelle und Erzählung in
Versen -- in so geschmackloser Weise breit macht. Die Anklänge an das Volks¬
lied sind nicht äußerlich hinangebracht. Sie liegen nicht in den paar Spuren
alten Volksglaubens und alter Volksgebräuche, denen wir hie und da begegnen,
nicht in den oder jenen alterthümlichen, in der heutigen Schriftsprache nicht
mehr gebräuchlichen Worten und Wortformen. Die Art vielmehr, wie der Dichter
der Natur gegenübersteht, wie er mit hellen Augen in Thier- und Pflanzenwelt
Dinge sieht, die Hunderte nicht sehen, dazu sein "holder Leichtsinn", sein kecker
Humor, der keinen Tropfen von Empfindsamkeit in seinem Blute duldet, die
Ursprünglichkeit seines Gefühls und seines Ausdrucks dafür, die knappe, runde
Form seiner Lieder, das ist es, was uns auf Schritt und Tritt an die Volks¬
poesie gemahnt. Den kunstmäßigen Poeten aber verräth das sichere Schönheits-


Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache,
Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein?

sie ist in Erz gegraben für alle Zeiten, und so manchem auch aus unsern Tagen
kann sie als vernichtender Gorgoschild entgegengehalten werden. Aber wie
mancher schöne, echte Dichterklang geht doch auch ungehört vorüber! Unsere
Zeit ist wenig lyrisch gesinnt, und es gehört Muth dazu, heutzutage noch mit
einem Bändchen lyrischer Gedichte vor die Welt zu treten.

Der Letzte unseres Wissens, der etwas größere Beachtung gefunden, war
Eduard Grisebach mit feinem „Neuen Tanhäuser". Leider war das Interesse,
das seinen süßen, einschmeichelnden Versen entgegengebracht wurde, kein ganz
reines; viele hat sicher nur das erotische Parfüm zu seinen Dichtungen hinge¬
lockt. Erfreulicher, weil ohne jeden verdächtigen Beigeschmack, ist der Erfolg,
den Rudolf Baumbach vor zwei Jahren um die Weihnachtszeit mit seinen
„Liedern eines fahrenden Gesellen" errang. Diese frischen, lustigen und dabei
so schmuck und sauber herausgeputzten Lieder gehören zu dem Besten, was die
deutsche Lyrik der letzten Jahre hervorgebracht hat. Sie sind denn auch vor
kurzem — bei lyrischen Gedichten heutzutage gewiß eine große Seltenheit — in
einer zweiten, um einen köstlichen kleinen epischen Cyclus: „Junker Leichtsinn"
vermehrten Auflage erschienen, und gleichzeitig hat uns der Dichter mit einem
Bändchen Neuer Lieder eines fahrenden Gesellen beschenkt. (Leipzig,
Liebeskind, 1880.)

Baumbach ist ein ausgesprochenes dichterisches Talent. Die deutsche Lyrik
ist nicht allzureich an Dichtungen, in denen kunstmäßige Poesie und volksthüm-
liche Klänge in so glücklicher Weise mit einander verschmolzen sind wie in seinen
Liedern. Bald heimeln sie uns an wie Volkslieder aus dem 16. Jahrhundert,
bald meinen wir gar einem alten Minnesinger zu lauschen, und doch ist nirgends
eine Spur von jener manierirten Alterthümelei darin, die sich jetzt aller Orten
in der „kulturgeschichtlichen" Poesie — Roman, Novelle und Erzählung in
Versen — in so geschmackloser Weise breit macht. Die Anklänge an das Volks¬
lied sind nicht äußerlich hinangebracht. Sie liegen nicht in den paar Spuren
alten Volksglaubens und alter Volksgebräuche, denen wir hie und da begegnen,
nicht in den oder jenen alterthümlichen, in der heutigen Schriftsprache nicht
mehr gebräuchlichen Worten und Wortformen. Die Art vielmehr, wie der Dichter
der Natur gegenübersteht, wie er mit hellen Augen in Thier- und Pflanzenwelt
Dinge sieht, die Hunderte nicht sehen, dazu sein „holder Leichtsinn", sein kecker
Humor, der keinen Tropfen von Empfindsamkeit in seinem Blute duldet, die
Ursprünglichkeit seines Gefühls und seines Ausdrucks dafür, die knappe, runde
Form seiner Lieder, das ist es, was uns auf Schritt und Tritt an die Volks¬
poesie gemahnt. Den kunstmäßigen Poeten aber verräth das sichere Schönheits-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143482"/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_7" type="poem">
              <l> Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache,<lb/>
Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein?</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1256"> sie ist in Erz gegraben für alle Zeiten, und so manchem auch aus unsern Tagen<lb/>
kann sie als vernichtender Gorgoschild entgegengehalten werden. Aber wie<lb/>
mancher schöne, echte Dichterklang geht doch auch ungehört vorüber! Unsere<lb/>
Zeit ist wenig lyrisch gesinnt, und es gehört Muth dazu, heutzutage noch mit<lb/>
einem Bändchen lyrischer Gedichte vor die Welt zu treten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1257"> Der Letzte unseres Wissens, der etwas größere Beachtung gefunden, war<lb/>
Eduard Grisebach mit feinem &#x201E;Neuen Tanhäuser". Leider war das Interesse,<lb/>
das seinen süßen, einschmeichelnden Versen entgegengebracht wurde, kein ganz<lb/>
reines; viele hat sicher nur das erotische Parfüm zu seinen Dichtungen hinge¬<lb/>
lockt. Erfreulicher, weil ohne jeden verdächtigen Beigeschmack, ist der Erfolg,<lb/>
den Rudolf Baumbach vor zwei Jahren um die Weihnachtszeit mit seinen<lb/>
&#x201E;Liedern eines fahrenden Gesellen" errang. Diese frischen, lustigen und dabei<lb/>
so schmuck und sauber herausgeputzten Lieder gehören zu dem Besten, was die<lb/>
deutsche Lyrik der letzten Jahre hervorgebracht hat. Sie sind denn auch vor<lb/>
kurzem &#x2014; bei lyrischen Gedichten heutzutage gewiß eine große Seltenheit &#x2014; in<lb/>
einer zweiten, um einen köstlichen kleinen epischen Cyclus: &#x201E;Junker Leichtsinn"<lb/>
vermehrten Auflage erschienen, und gleichzeitig hat uns der Dichter mit einem<lb/>
Bändchen Neuer Lieder eines fahrenden Gesellen beschenkt. (Leipzig,<lb/>
Liebeskind, 1880.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1258" next="#ID_1259"> Baumbach ist ein ausgesprochenes dichterisches Talent. Die deutsche Lyrik<lb/>
ist nicht allzureich an Dichtungen, in denen kunstmäßige Poesie und volksthüm-<lb/>
liche Klänge in so glücklicher Weise mit einander verschmolzen sind wie in seinen<lb/>
Liedern. Bald heimeln sie uns an wie Volkslieder aus dem 16. Jahrhundert,<lb/>
bald meinen wir gar einem alten Minnesinger zu lauschen, und doch ist nirgends<lb/>
eine Spur von jener manierirten Alterthümelei darin, die sich jetzt aller Orten<lb/>
in der &#x201E;kulturgeschichtlichen" Poesie &#x2014; Roman, Novelle und Erzählung in<lb/>
Versen &#x2014; in so geschmackloser Weise breit macht. Die Anklänge an das Volks¬<lb/>
lied sind nicht äußerlich hinangebracht. Sie liegen nicht in den paar Spuren<lb/>
alten Volksglaubens und alter Volksgebräuche, denen wir hie und da begegnen,<lb/>
nicht in den oder jenen alterthümlichen, in der heutigen Schriftsprache nicht<lb/>
mehr gebräuchlichen Worten und Wortformen. Die Art vielmehr, wie der Dichter<lb/>
der Natur gegenübersteht, wie er mit hellen Augen in Thier- und Pflanzenwelt<lb/>
Dinge sieht, die Hunderte nicht sehen, dazu sein &#x201E;holder Leichtsinn", sein kecker<lb/>
Humor, der keinen Tropfen von Empfindsamkeit in seinem Blute duldet, die<lb/>
Ursprünglichkeit seines Gefühls und seines Ausdrucks dafür, die knappe, runde<lb/>
Form seiner Lieder, das ist es, was uns auf Schritt und Tritt an die Volks¬<lb/>
poesie gemahnt. Den kunstmäßigen Poeten aber verräth das sichere Schönheits-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0427] Weil ein Vers dir gelingt in einer gebildeten Sprache, Die für dich dichtet und denkt, glaubst du schon Dichter zu sein? sie ist in Erz gegraben für alle Zeiten, und so manchem auch aus unsern Tagen kann sie als vernichtender Gorgoschild entgegengehalten werden. Aber wie mancher schöne, echte Dichterklang geht doch auch ungehört vorüber! Unsere Zeit ist wenig lyrisch gesinnt, und es gehört Muth dazu, heutzutage noch mit einem Bändchen lyrischer Gedichte vor die Welt zu treten. Der Letzte unseres Wissens, der etwas größere Beachtung gefunden, war Eduard Grisebach mit feinem „Neuen Tanhäuser". Leider war das Interesse, das seinen süßen, einschmeichelnden Versen entgegengebracht wurde, kein ganz reines; viele hat sicher nur das erotische Parfüm zu seinen Dichtungen hinge¬ lockt. Erfreulicher, weil ohne jeden verdächtigen Beigeschmack, ist der Erfolg, den Rudolf Baumbach vor zwei Jahren um die Weihnachtszeit mit seinen „Liedern eines fahrenden Gesellen" errang. Diese frischen, lustigen und dabei so schmuck und sauber herausgeputzten Lieder gehören zu dem Besten, was die deutsche Lyrik der letzten Jahre hervorgebracht hat. Sie sind denn auch vor kurzem — bei lyrischen Gedichten heutzutage gewiß eine große Seltenheit — in einer zweiten, um einen köstlichen kleinen epischen Cyclus: „Junker Leichtsinn" vermehrten Auflage erschienen, und gleichzeitig hat uns der Dichter mit einem Bändchen Neuer Lieder eines fahrenden Gesellen beschenkt. (Leipzig, Liebeskind, 1880.) Baumbach ist ein ausgesprochenes dichterisches Talent. Die deutsche Lyrik ist nicht allzureich an Dichtungen, in denen kunstmäßige Poesie und volksthüm- liche Klänge in so glücklicher Weise mit einander verschmolzen sind wie in seinen Liedern. Bald heimeln sie uns an wie Volkslieder aus dem 16. Jahrhundert, bald meinen wir gar einem alten Minnesinger zu lauschen, und doch ist nirgends eine Spur von jener manierirten Alterthümelei darin, die sich jetzt aller Orten in der „kulturgeschichtlichen" Poesie — Roman, Novelle und Erzählung in Versen — in so geschmackloser Weise breit macht. Die Anklänge an das Volks¬ lied sind nicht äußerlich hinangebracht. Sie liegen nicht in den paar Spuren alten Volksglaubens und alter Volksgebräuche, denen wir hie und da begegnen, nicht in den oder jenen alterthümlichen, in der heutigen Schriftsprache nicht mehr gebräuchlichen Worten und Wortformen. Die Art vielmehr, wie der Dichter der Natur gegenübersteht, wie er mit hellen Augen in Thier- und Pflanzenwelt Dinge sieht, die Hunderte nicht sehen, dazu sein „holder Leichtsinn", sein kecker Humor, der keinen Tropfen von Empfindsamkeit in seinem Blute duldet, die Ursprünglichkeit seines Gefühls und seines Ausdrucks dafür, die knappe, runde Form seiner Lieder, das ist es, was uns auf Schritt und Tritt an die Volks¬ poesie gemahnt. Den kunstmäßigen Poeten aber verräth das sichere Schönheits-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/427
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/427>, abgerufen am 03.07.2024.