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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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in großem Maßstabe, deren Kosten das Reich getragen, sind die Olympia-
Ausgrabungen, und ihren Nutzen für die Kunst unserer Zeit nachzuweisen,
mag einem Scharfsinne und einer Beredtsamkeit überlassen bleiben, die größer
sind als die meinigen. Es muß jedoch anerkannt werden, daß speziell in
Preußen, seitdem die Sorge um Sicherung des erworbenen Besitzes und der
neugewonnenen Machtstellung einigermaßen in den Hintergrund getreten ist,
die Knnstinteressen mit ungleich größerem Ernste und größerem Nachdrucke ge¬
wahrt werden, als es vor dem französischen Kriege geschah. Zunächst ist frei¬
lich die Pflege, welche man neuerdings der Kunst zugewandt hat, noch eine
einseitige. Man bevorzugt die alte Kunst zu sehr zum Nachtheile der modernen.
Noch haben die Archäologen in den Kreisen unserer Kunstverwaltung die Ober¬
hand, und es ist daher begreiflich, sogar verzeihlich, daß hier persönliche Nei¬
gungen den Ausschlag geben, wenn mit der Herrschaft dieser Neigungen
nur nicht eine offenbare Geringschätzung der modernen Kunst Hand in Hand
ginge! Die Klagen unserer Künstler hierüber sind nur zu berechtigt. Trotz des
großen Abstandes zwischen heute und früher entspricht das Budget unserer
Kunstverwaltung noch bei weitem nicht der Würde Preußens. Die Vergleiche
mit Frankreich würden hier so beschämend für uns ausfallen, daß wir ihnen
lieber aus dem Wege gehen. Nur soviel sei zum Verständniß des folgenden
hervorgehoben, daß beispielsweise im französischen Kunstbudget für 1878
500000 Fras. für Ankäufe von Werken lebender Künstler von dem jährlichen
"Salon" ausgeworfen waren. Wenn man sich dabei erinnert, daß die Regie¬
rung bei ihren Erwerbungen in erster Linie die Malerei großen Stils bevor¬
zugt, so hat mau die Erklärung der hohen Blüthe, deren sich gerade die Histo¬
rienmalerei in Frankreich erfreut. Freilich darf dabei nicht verschwiegen werden,
daß dieselbe auch an und für sich in Frankreich einen günstigeren Boden findet
als in Deutschland. Die Gründe dafür sind in der Natur des romanischen
Volkscharakters zu suchen.

Während in Deutschland die Romantik kaum ein halbes Jahrhundert lang
die Geister beherrscht hat, ist sie in dem fast ausschließlich katholischen Frank¬
reich noch heute so mächtig wie zur Zeit des legitimistischen Königthums. So
sehr die Stimmführer der dritten Republik auch mit ihrem Voltairianismus
kokettiren, das Volk in seiner großen Masse sowohl wie die Crome der vor¬
nehmen Gesellschaft ist davon so gut wie ganz freigeblieben und huldigt nach
wie vor dem naivsten Kinderglauben, welcher die wunderbarsten Ereignisse der
Religion, der Sage und der Geschichte mit derselben Unerschütterlichkeit auf¬
nimmt. Die kritische Geschichtsforschung, im Grunde selbst ein Kind der
Romantik, ist in Deutschland zugleich ihr rücksichtslosester Gegner gewesen.
Vor ihrem kalten Lichte zerstoben die magischen Nebel der Romantik in ein


in großem Maßstabe, deren Kosten das Reich getragen, sind die Olympia-
Ausgrabungen, und ihren Nutzen für die Kunst unserer Zeit nachzuweisen,
mag einem Scharfsinne und einer Beredtsamkeit überlassen bleiben, die größer
sind als die meinigen. Es muß jedoch anerkannt werden, daß speziell in
Preußen, seitdem die Sorge um Sicherung des erworbenen Besitzes und der
neugewonnenen Machtstellung einigermaßen in den Hintergrund getreten ist,
die Knnstinteressen mit ungleich größerem Ernste und größerem Nachdrucke ge¬
wahrt werden, als es vor dem französischen Kriege geschah. Zunächst ist frei¬
lich die Pflege, welche man neuerdings der Kunst zugewandt hat, noch eine
einseitige. Man bevorzugt die alte Kunst zu sehr zum Nachtheile der modernen.
Noch haben die Archäologen in den Kreisen unserer Kunstverwaltung die Ober¬
hand, und es ist daher begreiflich, sogar verzeihlich, daß hier persönliche Nei¬
gungen den Ausschlag geben, wenn mit der Herrschaft dieser Neigungen
nur nicht eine offenbare Geringschätzung der modernen Kunst Hand in Hand
ginge! Die Klagen unserer Künstler hierüber sind nur zu berechtigt. Trotz des
großen Abstandes zwischen heute und früher entspricht das Budget unserer
Kunstverwaltung noch bei weitem nicht der Würde Preußens. Die Vergleiche
mit Frankreich würden hier so beschämend für uns ausfallen, daß wir ihnen
lieber aus dem Wege gehen. Nur soviel sei zum Verständniß des folgenden
hervorgehoben, daß beispielsweise im französischen Kunstbudget für 1878
500000 Fras. für Ankäufe von Werken lebender Künstler von dem jährlichen
„Salon" ausgeworfen waren. Wenn man sich dabei erinnert, daß die Regie¬
rung bei ihren Erwerbungen in erster Linie die Malerei großen Stils bevor¬
zugt, so hat mau die Erklärung der hohen Blüthe, deren sich gerade die Histo¬
rienmalerei in Frankreich erfreut. Freilich darf dabei nicht verschwiegen werden,
daß dieselbe auch an und für sich in Frankreich einen günstigeren Boden findet
als in Deutschland. Die Gründe dafür sind in der Natur des romanischen
Volkscharakters zu suchen.

Während in Deutschland die Romantik kaum ein halbes Jahrhundert lang
die Geister beherrscht hat, ist sie in dem fast ausschließlich katholischen Frank¬
reich noch heute so mächtig wie zur Zeit des legitimistischen Königthums. So
sehr die Stimmführer der dritten Republik auch mit ihrem Voltairianismus
kokettiren, das Volk in seiner großen Masse sowohl wie die Crome der vor¬
nehmen Gesellschaft ist davon so gut wie ganz freigeblieben und huldigt nach
wie vor dem naivsten Kinderglauben, welcher die wunderbarsten Ereignisse der
Religion, der Sage und der Geschichte mit derselben Unerschütterlichkeit auf¬
nimmt. Die kritische Geschichtsforschung, im Grunde selbst ein Kind der
Romantik, ist in Deutschland zugleich ihr rücksichtslosester Gegner gewesen.
Vor ihrem kalten Lichte zerstoben die magischen Nebel der Romantik in ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/420>, abgerufen am 27.08.2024.