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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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eier finden würden, ließ sich von vornherein erwarten; selbst wenn man darauf
verzichten müßte, die rein ägyptischen und assyrischen Kunstwerke mit phönici-
schen Handel und phönicischer Industrie in Verbindung zu bringen, bleibt
immer noch eine Menge von Erzeugnissen übrig, die den Stempel der Imita¬
tion an der Stirne tragen. Der deutsche Uebersetzer von Cesnolas Werk hat
als Aegyptologe oft genug darauf hinweisen müssen, daß die betreffenden ägyp¬
tischen Charaktere nur das äußere Aussehen von Hieroglyphen haben, und
Mr. King, der die Gemmen und Siegelringe für Cesnola bearbeitet hat, macht
zu wiederholten Malen darauf aufmerksam, wie täuschend die Phönicier nicht
nicht nur den ägyptischen, sondern auch den assyrischen Stil imitirt haben. Je
schlechter die Nachahmung, desto nothwendiger war es, das kaufende Publikum
durch die ausländische Schrift zu täuschen, welche wirklich zu verstehen nur
wenige im Stande waren; mit einem Worte: das kaufende Publikum wollte
im Alterthum ebenso getäuscht sein wie wir heutzutage, wenn wir chinesische
oder orientalische Kunstsachen kaufen, auf die Autorität einiger Schriftzüge hin,
deren Stil uns im allgemeinen nicht ganz fremd ist, während wir vom Sinne
auch nicht ein Wort verstehen. Auf phönicische Imitation führt uns auch die
wunderbare, in ihrer Art ganz einzige Vermengung assyrischer und ägyptischer
Stil-Elemente, wie sie uns z. B. auf Tafel 51, 56, 79, 80 :c. entgegenstarrt. Es
gibt kaum irgend eine nationale Kunst, die so unerbittlich streng, stilisirt hat
wie die assyrische und ägyptische; beide waren so ausschließlich national, daß
sie die Formensprache anderer Völker prinzipiell verschmähten. Eine Ver¬
mischung der Formen Assyriens und Aegyptens konnte daher nur auf dem
zwischen beiden gelegenen neutralen Boden entstehen, wo der Mangel an Stil¬
gefühl bei den Fabrikanten groß genug war, das Unmögliche möglich zu machen.
Ueberhaupt entwickelte sich die phönicische Kunst, soweit wir jetzt die Sachlage
übersehen können, unter den ungünstigsten Verhältnissen. Da Phönicien fast
immer fremden Völkern gehorchte, so war die monumentale Kunst, soweit sie vom
Staate anerkannt wurde, immer eine ausländische, und auch bei der Kleinkunst
ließen sich die Fabrikanten oft genug durch die festen Formen der Assyrer,
Aegypter und später der Griechen imponiren und produzirten in dem Geschmack,
der gerade Mode war. Das ist der Grund, weshalb wir dort alle möglichen
Stile friedlich neben einander finden.

Im Einzelnen bleibt in dieser Frage allerdings noch viel zu thun durch
genauere Untersuchung des Landes, wie sie von den Franzosen, besonders durch
Renan, begonnen worden ist. Aber selbst wenn durch Ausgrabungen auf phö-
nicischen Boden keine Vasen geometrischen Stiles entdeckt werden sollten, so
würde das nichts weiter beweisen, als daß nach den Gebräuchen des Landes
derartige Vasen bei der Bestattungsfeierlichkeit keine Verwendung fanden. Auch


eier finden würden, ließ sich von vornherein erwarten; selbst wenn man darauf
verzichten müßte, die rein ägyptischen und assyrischen Kunstwerke mit phönici-
schen Handel und phönicischer Industrie in Verbindung zu bringen, bleibt
immer noch eine Menge von Erzeugnissen übrig, die den Stempel der Imita¬
tion an der Stirne tragen. Der deutsche Uebersetzer von Cesnolas Werk hat
als Aegyptologe oft genug darauf hinweisen müssen, daß die betreffenden ägyp¬
tischen Charaktere nur das äußere Aussehen von Hieroglyphen haben, und
Mr. King, der die Gemmen und Siegelringe für Cesnola bearbeitet hat, macht
zu wiederholten Malen darauf aufmerksam, wie täuschend die Phönicier nicht
nicht nur den ägyptischen, sondern auch den assyrischen Stil imitirt haben. Je
schlechter die Nachahmung, desto nothwendiger war es, das kaufende Publikum
durch die ausländische Schrift zu täuschen, welche wirklich zu verstehen nur
wenige im Stande waren; mit einem Worte: das kaufende Publikum wollte
im Alterthum ebenso getäuscht sein wie wir heutzutage, wenn wir chinesische
oder orientalische Kunstsachen kaufen, auf die Autorität einiger Schriftzüge hin,
deren Stil uns im allgemeinen nicht ganz fremd ist, während wir vom Sinne
auch nicht ein Wort verstehen. Auf phönicische Imitation führt uns auch die
wunderbare, in ihrer Art ganz einzige Vermengung assyrischer und ägyptischer
Stil-Elemente, wie sie uns z. B. auf Tafel 51, 56, 79, 80 :c. entgegenstarrt. Es
gibt kaum irgend eine nationale Kunst, die so unerbittlich streng, stilisirt hat
wie die assyrische und ägyptische; beide waren so ausschließlich national, daß
sie die Formensprache anderer Völker prinzipiell verschmähten. Eine Ver¬
mischung der Formen Assyriens und Aegyptens konnte daher nur auf dem
zwischen beiden gelegenen neutralen Boden entstehen, wo der Mangel an Stil¬
gefühl bei den Fabrikanten groß genug war, das Unmögliche möglich zu machen.
Ueberhaupt entwickelte sich die phönicische Kunst, soweit wir jetzt die Sachlage
übersehen können, unter den ungünstigsten Verhältnissen. Da Phönicien fast
immer fremden Völkern gehorchte, so war die monumentale Kunst, soweit sie vom
Staate anerkannt wurde, immer eine ausländische, und auch bei der Kleinkunst
ließen sich die Fabrikanten oft genug durch die festen Formen der Assyrer,
Aegypter und später der Griechen imponiren und produzirten in dem Geschmack,
der gerade Mode war. Das ist der Grund, weshalb wir dort alle möglichen
Stile friedlich neben einander finden.

Im Einzelnen bleibt in dieser Frage allerdings noch viel zu thun durch
genauere Untersuchung des Landes, wie sie von den Franzosen, besonders durch
Renan, begonnen worden ist. Aber selbst wenn durch Ausgrabungen auf phö-
nicischen Boden keine Vasen geometrischen Stiles entdeckt werden sollten, so
würde das nichts weiter beweisen, als daß nach den Gebräuchen des Landes
derartige Vasen bei der Bestattungsfeierlichkeit keine Verwendung fanden. Auch


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[0416] eier finden würden, ließ sich von vornherein erwarten; selbst wenn man darauf verzichten müßte, die rein ägyptischen und assyrischen Kunstwerke mit phönici- schen Handel und phönicischer Industrie in Verbindung zu bringen, bleibt immer noch eine Menge von Erzeugnissen übrig, die den Stempel der Imita¬ tion an der Stirne tragen. Der deutsche Uebersetzer von Cesnolas Werk hat als Aegyptologe oft genug darauf hinweisen müssen, daß die betreffenden ägyp¬ tischen Charaktere nur das äußere Aussehen von Hieroglyphen haben, und Mr. King, der die Gemmen und Siegelringe für Cesnola bearbeitet hat, macht zu wiederholten Malen darauf aufmerksam, wie täuschend die Phönicier nicht nicht nur den ägyptischen, sondern auch den assyrischen Stil imitirt haben. Je schlechter die Nachahmung, desto nothwendiger war es, das kaufende Publikum durch die ausländische Schrift zu täuschen, welche wirklich zu verstehen nur wenige im Stande waren; mit einem Worte: das kaufende Publikum wollte im Alterthum ebenso getäuscht sein wie wir heutzutage, wenn wir chinesische oder orientalische Kunstsachen kaufen, auf die Autorität einiger Schriftzüge hin, deren Stil uns im allgemeinen nicht ganz fremd ist, während wir vom Sinne auch nicht ein Wort verstehen. Auf phönicische Imitation führt uns auch die wunderbare, in ihrer Art ganz einzige Vermengung assyrischer und ägyptischer Stil-Elemente, wie sie uns z. B. auf Tafel 51, 56, 79, 80 :c. entgegenstarrt. Es gibt kaum irgend eine nationale Kunst, die so unerbittlich streng, stilisirt hat wie die assyrische und ägyptische; beide waren so ausschließlich national, daß sie die Formensprache anderer Völker prinzipiell verschmähten. Eine Ver¬ mischung der Formen Assyriens und Aegyptens konnte daher nur auf dem zwischen beiden gelegenen neutralen Boden entstehen, wo der Mangel an Stil¬ gefühl bei den Fabrikanten groß genug war, das Unmögliche möglich zu machen. Ueberhaupt entwickelte sich die phönicische Kunst, soweit wir jetzt die Sachlage übersehen können, unter den ungünstigsten Verhältnissen. Da Phönicien fast immer fremden Völkern gehorchte, so war die monumentale Kunst, soweit sie vom Staate anerkannt wurde, immer eine ausländische, und auch bei der Kleinkunst ließen sich die Fabrikanten oft genug durch die festen Formen der Assyrer, Aegypter und später der Griechen imponiren und produzirten in dem Geschmack, der gerade Mode war. Das ist der Grund, weshalb wir dort alle möglichen Stile friedlich neben einander finden. Im Einzelnen bleibt in dieser Frage allerdings noch viel zu thun durch genauere Untersuchung des Landes, wie sie von den Franzosen, besonders durch Renan, begonnen worden ist. Aber selbst wenn durch Ausgrabungen auf phö- nicischen Boden keine Vasen geometrischen Stiles entdeckt werden sollten, so würde das nichts weiter beweisen, als daß nach den Gebräuchen des Landes derartige Vasen bei der Bestattungsfeierlichkeit keine Verwendung fanden. Auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/416>, abgerufen am 26.08.2024.