Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

nahmegerichten, Vertheuerung und Verschlechterung der Verwaltung, fort¬
währender Wechsel der Beamten, willkürliche Einsetzung derselben und Häufung
der Stellen in einer Hand. Ferner begegnen wir da einer Bekleidung der ein¬
zelnen Kommune mit der Souveränetät des Staates, der Zerrüttung aller
Staats- und Gemeindeordnung, der Permanenz der Revolution und Anarchie,
der willkürlichen Verhaftung, dem NichtVerhör der Verhafteten, der allgemeinen
Unsicherheit wie der Person so auch des Eigenthums, der Unterordnung aller
Verwaltungszweige unter eine unkontrolirte Polizei, der Zerstörung der Familie
und der Verallgemeinerung der Prostitution, der Freigebung und Anstellung
von Dieben und sonstigen gemeinen Verbrechern, der Besoldung der Hefe des
Volkes im Dienste der Kommune-Regenten und der Entwöhnung Aller von Arbeit
und gemeinnütziger Beschäftigung. Weitere schöne Gaben der Revolutionäre
von 1871 waren: gehässige Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, Knebelung
der Presse, Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit, Zertrümmerung
des einheitlich-staatlichen Stimmrechts vermittelst der Wahlen nach ungleichen
Gemeindegebieten und Gleichstellung des kleinsten von den letzteren mit dem
größten, folglich Verneinung des Grundsatzes, daß, rechtlich genommen, alle
Menschen gleich sind, mit dem falschen Satze: alle Kommunegebiete sind gleich;
sodann: Zurücknahme der Rechtspflege, des Militärwesens und der Polizei an
die einzelne Gemeinde und Zerstückelung des staatlichen und internationalen
Verbandes in abgeschlossene, ans sich allein beschränkte Kommunen; ferner: Auf¬
hebung der schützenden Formen im Gerichtswesen, systematische Täuschung des
Volkes mit groben Lügen, EinPressung aller Männer bis zum vierzigsten Lebens¬
jahre in das Söldnerheer der örtlichen Nationalgarde und Nöthigung derselben
zu mörderischen Kampfe mit Landsleuten, Anverwandten und Gesinnungsge¬
nossen, endlich: Zulassung der Frauen in den Heeresdienst, Aufstellung von
aus liederlichen Dirnen bestehenden besoldeten Amazonenkorps, Wiedereinfüh¬
rung der Vermögenskonfiskationen, Vertilgung der Gegner und ihrer Habe,
Zerstörung der Monumente und Symbole der Vergangenheit, Verwilderung
und Entsittlichung des Volkes und Schöpfung eines neuen sehr großen Söld¬
nerheeres. Man sieht, viel Thorheiten in wenigen Wochen, und überall dieselbe
verkehrte Welt.

Dauban, dem Becker hier beistimme, faßt die Kommune als allgemeine
Franzosenseuche auf. Er sagt: "Wir beschreiben eine soziale Krankheit, zu
welcher die verschiedenen Klassen der Gesellschaft in verschiedenen Verhältnissen
beigetragen haben, und für welche eine jede derselben die Verantwortlichkeit in
fast gleichem Maße trifft." Noch schärfer hörten wir oben stosset sich äußern.
Unser Verfasser endlich bemerkt: "Die Erhebung der Kommune war, sofern
die Pariser Proletarier in Betracht kommen, kein prinzipieller Aufstand, aber


nahmegerichten, Vertheuerung und Verschlechterung der Verwaltung, fort¬
währender Wechsel der Beamten, willkürliche Einsetzung derselben und Häufung
der Stellen in einer Hand. Ferner begegnen wir da einer Bekleidung der ein¬
zelnen Kommune mit der Souveränetät des Staates, der Zerrüttung aller
Staats- und Gemeindeordnung, der Permanenz der Revolution und Anarchie,
der willkürlichen Verhaftung, dem NichtVerhör der Verhafteten, der allgemeinen
Unsicherheit wie der Person so auch des Eigenthums, der Unterordnung aller
Verwaltungszweige unter eine unkontrolirte Polizei, der Zerstörung der Familie
und der Verallgemeinerung der Prostitution, der Freigebung und Anstellung
von Dieben und sonstigen gemeinen Verbrechern, der Besoldung der Hefe des
Volkes im Dienste der Kommune-Regenten und der Entwöhnung Aller von Arbeit
und gemeinnütziger Beschäftigung. Weitere schöne Gaben der Revolutionäre
von 1871 waren: gehässige Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, Knebelung
der Presse, Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit, Zertrümmerung
des einheitlich-staatlichen Stimmrechts vermittelst der Wahlen nach ungleichen
Gemeindegebieten und Gleichstellung des kleinsten von den letzteren mit dem
größten, folglich Verneinung des Grundsatzes, daß, rechtlich genommen, alle
Menschen gleich sind, mit dem falschen Satze: alle Kommunegebiete sind gleich;
sodann: Zurücknahme der Rechtspflege, des Militärwesens und der Polizei an
die einzelne Gemeinde und Zerstückelung des staatlichen und internationalen
Verbandes in abgeschlossene, ans sich allein beschränkte Kommunen; ferner: Auf¬
hebung der schützenden Formen im Gerichtswesen, systematische Täuschung des
Volkes mit groben Lügen, EinPressung aller Männer bis zum vierzigsten Lebens¬
jahre in das Söldnerheer der örtlichen Nationalgarde und Nöthigung derselben
zu mörderischen Kampfe mit Landsleuten, Anverwandten und Gesinnungsge¬
nossen, endlich: Zulassung der Frauen in den Heeresdienst, Aufstellung von
aus liederlichen Dirnen bestehenden besoldeten Amazonenkorps, Wiedereinfüh¬
rung der Vermögenskonfiskationen, Vertilgung der Gegner und ihrer Habe,
Zerstörung der Monumente und Symbole der Vergangenheit, Verwilderung
und Entsittlichung des Volkes und Schöpfung eines neuen sehr großen Söld¬
nerheeres. Man sieht, viel Thorheiten in wenigen Wochen, und überall dieselbe
verkehrte Welt.

Dauban, dem Becker hier beistimme, faßt die Kommune als allgemeine
Franzosenseuche auf. Er sagt: „Wir beschreiben eine soziale Krankheit, zu
welcher die verschiedenen Klassen der Gesellschaft in verschiedenen Verhältnissen
beigetragen haben, und für welche eine jede derselben die Verantwortlichkeit in
fast gleichem Maße trifft." Noch schärfer hörten wir oben stosset sich äußern.
Unser Verfasser endlich bemerkt: „Die Erhebung der Kommune war, sofern
die Pariser Proletarier in Betracht kommen, kein prinzipieller Aufstand, aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143460"/>
          <p xml:id="ID_1200" prev="#ID_1199"> nahmegerichten, Vertheuerung und Verschlechterung der Verwaltung, fort¬<lb/>
währender Wechsel der Beamten, willkürliche Einsetzung derselben und Häufung<lb/>
der Stellen in einer Hand. Ferner begegnen wir da einer Bekleidung der ein¬<lb/>
zelnen Kommune mit der Souveränetät des Staates, der Zerrüttung aller<lb/>
Staats- und Gemeindeordnung, der Permanenz der Revolution und Anarchie,<lb/>
der willkürlichen Verhaftung, dem NichtVerhör der Verhafteten, der allgemeinen<lb/>
Unsicherheit wie der Person so auch des Eigenthums, der Unterordnung aller<lb/>
Verwaltungszweige unter eine unkontrolirte Polizei, der Zerstörung der Familie<lb/>
und der Verallgemeinerung der Prostitution, der Freigebung und Anstellung<lb/>
von Dieben und sonstigen gemeinen Verbrechern, der Besoldung der Hefe des<lb/>
Volkes im Dienste der Kommune-Regenten und der Entwöhnung Aller von Arbeit<lb/>
und gemeinnütziger Beschäftigung. Weitere schöne Gaben der Revolutionäre<lb/>
von 1871 waren: gehässige Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, Knebelung<lb/>
der Presse, Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit, Zertrümmerung<lb/>
des einheitlich-staatlichen Stimmrechts vermittelst der Wahlen nach ungleichen<lb/>
Gemeindegebieten und Gleichstellung des kleinsten von den letzteren mit dem<lb/>
größten, folglich Verneinung des Grundsatzes, daß, rechtlich genommen, alle<lb/>
Menschen gleich sind, mit dem falschen Satze: alle Kommunegebiete sind gleich;<lb/>
sodann: Zurücknahme der Rechtspflege, des Militärwesens und der Polizei an<lb/>
die einzelne Gemeinde und Zerstückelung des staatlichen und internationalen<lb/>
Verbandes in abgeschlossene, ans sich allein beschränkte Kommunen; ferner: Auf¬<lb/>
hebung der schützenden Formen im Gerichtswesen, systematische Täuschung des<lb/>
Volkes mit groben Lügen, EinPressung aller Männer bis zum vierzigsten Lebens¬<lb/>
jahre in das Söldnerheer der örtlichen Nationalgarde und Nöthigung derselben<lb/>
zu mörderischen Kampfe mit Landsleuten, Anverwandten und Gesinnungsge¬<lb/>
nossen, endlich: Zulassung der Frauen in den Heeresdienst, Aufstellung von<lb/>
aus liederlichen Dirnen bestehenden besoldeten Amazonenkorps, Wiedereinfüh¬<lb/>
rung der Vermögenskonfiskationen, Vertilgung der Gegner und ihrer Habe,<lb/>
Zerstörung der Monumente und Symbole der Vergangenheit, Verwilderung<lb/>
und Entsittlichung des Volkes und Schöpfung eines neuen sehr großen Söld¬<lb/>
nerheeres. Man sieht, viel Thorheiten in wenigen Wochen, und überall dieselbe<lb/>
verkehrte Welt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1201" next="#ID_1202"> Dauban, dem Becker hier beistimme, faßt die Kommune als allgemeine<lb/>
Franzosenseuche auf. Er sagt: &#x201E;Wir beschreiben eine soziale Krankheit, zu<lb/>
welcher die verschiedenen Klassen der Gesellschaft in verschiedenen Verhältnissen<lb/>
beigetragen haben, und für welche eine jede derselben die Verantwortlichkeit in<lb/>
fast gleichem Maße trifft." Noch schärfer hörten wir oben stosset sich äußern.<lb/>
Unser Verfasser endlich bemerkt: &#x201E;Die Erhebung der Kommune war, sofern<lb/>
die Pariser Proletarier in Betracht kommen, kein prinzipieller Aufstand, aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0405] nahmegerichten, Vertheuerung und Verschlechterung der Verwaltung, fort¬ währender Wechsel der Beamten, willkürliche Einsetzung derselben und Häufung der Stellen in einer Hand. Ferner begegnen wir da einer Bekleidung der ein¬ zelnen Kommune mit der Souveränetät des Staates, der Zerrüttung aller Staats- und Gemeindeordnung, der Permanenz der Revolution und Anarchie, der willkürlichen Verhaftung, dem NichtVerhör der Verhafteten, der allgemeinen Unsicherheit wie der Person so auch des Eigenthums, der Unterordnung aller Verwaltungszweige unter eine unkontrolirte Polizei, der Zerstörung der Familie und der Verallgemeinerung der Prostitution, der Freigebung und Anstellung von Dieben und sonstigen gemeinen Verbrechern, der Besoldung der Hefe des Volkes im Dienste der Kommune-Regenten und der Entwöhnung Aller von Arbeit und gemeinnütziger Beschäftigung. Weitere schöne Gaben der Revolutionäre von 1871 waren: gehässige Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, Knebelung der Presse, Beschränkung der Rede- und Versammlungsfreiheit, Zertrümmerung des einheitlich-staatlichen Stimmrechts vermittelst der Wahlen nach ungleichen Gemeindegebieten und Gleichstellung des kleinsten von den letzteren mit dem größten, folglich Verneinung des Grundsatzes, daß, rechtlich genommen, alle Menschen gleich sind, mit dem falschen Satze: alle Kommunegebiete sind gleich; sodann: Zurücknahme der Rechtspflege, des Militärwesens und der Polizei an die einzelne Gemeinde und Zerstückelung des staatlichen und internationalen Verbandes in abgeschlossene, ans sich allein beschränkte Kommunen; ferner: Auf¬ hebung der schützenden Formen im Gerichtswesen, systematische Täuschung des Volkes mit groben Lügen, EinPressung aller Männer bis zum vierzigsten Lebens¬ jahre in das Söldnerheer der örtlichen Nationalgarde und Nöthigung derselben zu mörderischen Kampfe mit Landsleuten, Anverwandten und Gesinnungsge¬ nossen, endlich: Zulassung der Frauen in den Heeresdienst, Aufstellung von aus liederlichen Dirnen bestehenden besoldeten Amazonenkorps, Wiedereinfüh¬ rung der Vermögenskonfiskationen, Vertilgung der Gegner und ihrer Habe, Zerstörung der Monumente und Symbole der Vergangenheit, Verwilderung und Entsittlichung des Volkes und Schöpfung eines neuen sehr großen Söld¬ nerheeres. Man sieht, viel Thorheiten in wenigen Wochen, und überall dieselbe verkehrte Welt. Dauban, dem Becker hier beistimme, faßt die Kommune als allgemeine Franzosenseuche auf. Er sagt: „Wir beschreiben eine soziale Krankheit, zu welcher die verschiedenen Klassen der Gesellschaft in verschiedenen Verhältnissen beigetragen haben, und für welche eine jede derselben die Verantwortlichkeit in fast gleichem Maße trifft." Noch schärfer hörten wir oben stosset sich äußern. Unser Verfasser endlich bemerkt: „Die Erhebung der Kommune war, sofern die Pariser Proletarier in Betracht kommen, kein prinzipieller Aufstand, aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/405
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/405>, abgerufen am 03.07.2024.