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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Punktationen zu einem solchen wurden in Rom nicht angenommen, und auch
die Wiederaufnahme der Sache in Regensburg durch Kolborn, den kaiserlichen
Bevollmächtigten Frank und den päpstlichen Vertreter della Ganga führte zu
keinem Resultate. Stand doch den Römern kein geschlossener Wille, keine Macht
gegenüber, sondern wenig mehr als der Eifer eines Privatmanns. So blieben
die Angelegenheiten der katholisch-deutschen Kirche ebenso in der Schwebe wie
die des deutschen Reiches.

Neben diesen unerquicklichen Dingen beschäftigte den Erzkanzler vor allem
die Aufgabe, seinen "Kurstaat" zu organisiren, d. h. den ohne jede Rücksicht
auf geographische Lage, Geschichte und Stammesart zusammengeworfenen Ge¬
bietstrümmern eine erträgliche Verwaltung zu geben. Freilich lebte dieser
Sohn des 18. Jahrhunderts so völlig in der mechanischen Staatsanschauung
des Absolutismus, daß ihm die Willkür der Zusammensetzung die geringsten
Bedenken machte; schienen doch noch in dieser ganzen Zeit, und in ihr mehr
als jemals, Menschen und Gebiete wie weiches Wachs in den Händen der
Gewaltigen dieser Erde zu sein. Schon am 18. Juli 1803 wurde die neue
Verfassung des Kurstaats publizirt, zum guten Theil gewiß aus Dalbergs
Feder. Gemeinsam war den zerstreuten Gebieten nur das Ministerium, das
Oberappellationsgericht, die Militärverfassung und die Universität (in Aschaffen¬
burg); sonst erhielt jeder der drei Theile eine abgesonderte Verwaltung. Die
so entstehende große Zahl von Aemtern diente wesentlich zur Versorgung der
früheren kurmainzischen Beamten, und soweit sie nicht im aktiven Dienste des
Erzkanzlers oder anderer Fürsten unterkamen, zahlte ihnen Dalberg ihren vollen
bisherigen Gehalt, wenn sie in seinem Territorium blieben, zwei Drittel des¬
selben, wenn sie anderswo lebten, gewiß ein Beweis persönlicher Hochherzigkeit,
der mit manchem andern in seinem Leben versöhnen könnte. Die wichtigste
Aufgabe dieser so geordneten Verwaltung blieb die Regelung der Finanzen;
lastete doch auf diesem kleinen Gebiet eine Kriegsschuld von 1^2 Millionen si.,
während z. B. die Einkünfte aus den Rheinzöllen keineswegs vollständig und
rechtzeitig eingingen. Während Preußen von seinen Zollstätten pünktlich zahlte,
sogar mehr, als wozu es verpflichtet war, leistete Baiern von seinem Düssel¬
dorfer Bureau nichts. Trotz dieser beschränkten Mittel geschah namentlich in
Regensburg manches selbst für scheinbar entfernter liegende Zwecke; nicht nur
ein Waisenhaus, ein evangelisches und ein katholisches Krankenhaus entstanden hier,
sondern auch ein botanischer Garten und eine Zeichenschule für Gewerbtreibende.

Auf der andern Seite erhoben sich wieder Hoffnungen auf eine Ver¬
größerung des Kurstaats, etwa durch Osnabrück, als Hannover im Juli 1803
von den Franzosen occupirt worden war und das Gerücht sich verbreitete,
es solle "vertheilt" werden. Auch Dalberg, der doch sonst jeden Gedanken


Punktationen zu einem solchen wurden in Rom nicht angenommen, und auch
die Wiederaufnahme der Sache in Regensburg durch Kolborn, den kaiserlichen
Bevollmächtigten Frank und den päpstlichen Vertreter della Ganga führte zu
keinem Resultate. Stand doch den Römern kein geschlossener Wille, keine Macht
gegenüber, sondern wenig mehr als der Eifer eines Privatmanns. So blieben
die Angelegenheiten der katholisch-deutschen Kirche ebenso in der Schwebe wie
die des deutschen Reiches.

Neben diesen unerquicklichen Dingen beschäftigte den Erzkanzler vor allem
die Aufgabe, seinen „Kurstaat" zu organisiren, d. h. den ohne jede Rücksicht
auf geographische Lage, Geschichte und Stammesart zusammengeworfenen Ge¬
bietstrümmern eine erträgliche Verwaltung zu geben. Freilich lebte dieser
Sohn des 18. Jahrhunderts so völlig in der mechanischen Staatsanschauung
des Absolutismus, daß ihm die Willkür der Zusammensetzung die geringsten
Bedenken machte; schienen doch noch in dieser ganzen Zeit, und in ihr mehr
als jemals, Menschen und Gebiete wie weiches Wachs in den Händen der
Gewaltigen dieser Erde zu sein. Schon am 18. Juli 1803 wurde die neue
Verfassung des Kurstaats publizirt, zum guten Theil gewiß aus Dalbergs
Feder. Gemeinsam war den zerstreuten Gebieten nur das Ministerium, das
Oberappellationsgericht, die Militärverfassung und die Universität (in Aschaffen¬
burg); sonst erhielt jeder der drei Theile eine abgesonderte Verwaltung. Die
so entstehende große Zahl von Aemtern diente wesentlich zur Versorgung der
früheren kurmainzischen Beamten, und soweit sie nicht im aktiven Dienste des
Erzkanzlers oder anderer Fürsten unterkamen, zahlte ihnen Dalberg ihren vollen
bisherigen Gehalt, wenn sie in seinem Territorium blieben, zwei Drittel des¬
selben, wenn sie anderswo lebten, gewiß ein Beweis persönlicher Hochherzigkeit,
der mit manchem andern in seinem Leben versöhnen könnte. Die wichtigste
Aufgabe dieser so geordneten Verwaltung blieb die Regelung der Finanzen;
lastete doch auf diesem kleinen Gebiet eine Kriegsschuld von 1^2 Millionen si.,
während z. B. die Einkünfte aus den Rheinzöllen keineswegs vollständig und
rechtzeitig eingingen. Während Preußen von seinen Zollstätten pünktlich zahlte,
sogar mehr, als wozu es verpflichtet war, leistete Baiern von seinem Düssel¬
dorfer Bureau nichts. Trotz dieser beschränkten Mittel geschah namentlich in
Regensburg manches selbst für scheinbar entfernter liegende Zwecke; nicht nur
ein Waisenhaus, ein evangelisches und ein katholisches Krankenhaus entstanden hier,
sondern auch ein botanischer Garten und eine Zeichenschule für Gewerbtreibende.

Auf der andern Seite erhoben sich wieder Hoffnungen auf eine Ver¬
größerung des Kurstaats, etwa durch Osnabrück, als Hannover im Juli 1803
von den Franzosen occupirt worden war und das Gerücht sich verbreitete,
es solle „vertheilt" werden. Auch Dalberg, der doch sonst jeden Gedanken


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[0366] Punktationen zu einem solchen wurden in Rom nicht angenommen, und auch die Wiederaufnahme der Sache in Regensburg durch Kolborn, den kaiserlichen Bevollmächtigten Frank und den päpstlichen Vertreter della Ganga führte zu keinem Resultate. Stand doch den Römern kein geschlossener Wille, keine Macht gegenüber, sondern wenig mehr als der Eifer eines Privatmanns. So blieben die Angelegenheiten der katholisch-deutschen Kirche ebenso in der Schwebe wie die des deutschen Reiches. Neben diesen unerquicklichen Dingen beschäftigte den Erzkanzler vor allem die Aufgabe, seinen „Kurstaat" zu organisiren, d. h. den ohne jede Rücksicht auf geographische Lage, Geschichte und Stammesart zusammengeworfenen Ge¬ bietstrümmern eine erträgliche Verwaltung zu geben. Freilich lebte dieser Sohn des 18. Jahrhunderts so völlig in der mechanischen Staatsanschauung des Absolutismus, daß ihm die Willkür der Zusammensetzung die geringsten Bedenken machte; schienen doch noch in dieser ganzen Zeit, und in ihr mehr als jemals, Menschen und Gebiete wie weiches Wachs in den Händen der Gewaltigen dieser Erde zu sein. Schon am 18. Juli 1803 wurde die neue Verfassung des Kurstaats publizirt, zum guten Theil gewiß aus Dalbergs Feder. Gemeinsam war den zerstreuten Gebieten nur das Ministerium, das Oberappellationsgericht, die Militärverfassung und die Universität (in Aschaffen¬ burg); sonst erhielt jeder der drei Theile eine abgesonderte Verwaltung. Die so entstehende große Zahl von Aemtern diente wesentlich zur Versorgung der früheren kurmainzischen Beamten, und soweit sie nicht im aktiven Dienste des Erzkanzlers oder anderer Fürsten unterkamen, zahlte ihnen Dalberg ihren vollen bisherigen Gehalt, wenn sie in seinem Territorium blieben, zwei Drittel des¬ selben, wenn sie anderswo lebten, gewiß ein Beweis persönlicher Hochherzigkeit, der mit manchem andern in seinem Leben versöhnen könnte. Die wichtigste Aufgabe dieser so geordneten Verwaltung blieb die Regelung der Finanzen; lastete doch auf diesem kleinen Gebiet eine Kriegsschuld von 1^2 Millionen si., während z. B. die Einkünfte aus den Rheinzöllen keineswegs vollständig und rechtzeitig eingingen. Während Preußen von seinen Zollstätten pünktlich zahlte, sogar mehr, als wozu es verpflichtet war, leistete Baiern von seinem Düssel¬ dorfer Bureau nichts. Trotz dieser beschränkten Mittel geschah namentlich in Regensburg manches selbst für scheinbar entfernter liegende Zwecke; nicht nur ein Waisenhaus, ein evangelisches und ein katholisches Krankenhaus entstanden hier, sondern auch ein botanischer Garten und eine Zeichenschule für Gewerbtreibende. Auf der andern Seite erhoben sich wieder Hoffnungen auf eine Ver¬ größerung des Kurstaats, etwa durch Osnabrück, als Hannover im Juli 1803 von den Franzosen occupirt worden war und das Gerücht sich verbreitete, es solle „vertheilt" werden. Auch Dalberg, der doch sonst jeden Gedanken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/366>, abgerufen am 23.07.2024.