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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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beträchtlicher Summen für den Fall, daß sie die rechtsrheinischen Territorien
für Mainz zu retten vermöchten. Doch während so verhandelt wurde, brach
das Verhängniß auch schon herein: Preußen schickte sich an, das Eichsfeld und
Erfurt, Dalbergs alte Statthalterschaft, zu besetzen. Eine Note Albinis an
Graf Haugwitz (28. Juni), die sich wenigstens um einen förmlichen Vertrag
namentlich über die Regelung der finanziellen Verhältnisse bei der Abtretung
bemühte, wurde ausweichend beantwortet. Am 12. August zog das österreichische
Bataillon, das bisher in Erfurt gelegen hatte, ab, am 21. erfolgte der Einmarsch
der Preußen, zwei Tage später die Verpflichtung der Beamten für den
neuen Herrn.

So war der Kurstaat und mit ihm die ganze Reichsverfassung schon im
Zusammenbrechen, als nach dem Tode des derzeitigen Erzbischofs am 25. Juli 1802
sein Koadjutor Dalberg den Thron bestieg. In klägliche Trümmer ging das¬
jenige, in dessen Verehrung er ausgewachsen, emporgekommen war. War es ein
Wunder, wenn er rasch die Haltung verlor? Gewiß war die Vernichtung der
geistlichen Fürstenthümer eine Nothwendigkeit, aber die sie mit unreinen Händen
vollstreckten, die dachten daran nicht, sondern nur an die reiche Beute, die
wehrlos vor ihnen lag. Nicht dem Reiche kam die Vollstreckung zu gute. Und
wie hätte der erste geistliche Fürst des Reiches diesen Raubzug als eine Noth¬
wendigkeit begreifen sollen! Es war das Große in diesem Reichsadel, dem er
entstammte, daß er keinen einzelnen Staat als sein Vaterland anerkennen konnte,
daß er nur dem ganzen Reiche angehörte. Indem dies zusammenbrach, verlor
er den Boden unter den Füßen, er hatte kein Vaterland mehr. Was Wunder
daß ein Sprößling dieses Adels wie ein Verzweifelter für die versinkende Reichs¬
ordnung stritt, mit der seine eigne persönliche und amtliche Position stand und
fiel, und daß er endlich, als sie doch nicht mehr zu retten war, sie in neuen
Formen wieder aufzurichten suchte in Anlehnung an die französische Macht, die
in schreckhafter Ueberlegenheit den Welttheil beherrschte! Daß er nicht begriff,
diese Macht sei dem deutschen Leben prinzipiell entgegengesetzt, daß er in dem
Todfeinde unseres Volkes seinen obersten Schirmherrn zu erkennen glaubte, das
war die Folge seines ganz und gar unpolitischen, gefühlsseligen, leicht bestimm¬
baren Wesens, und das hat er als Schuld gebüßt, ohne freilich jemals zu
begreifen, was er verschuldet.

Gleich in den ersten Wochen seiner Amtsführung sollte er erkennen, daß
der kaiserliche Hof keine Stütze mehr bot. Noch sein Vorgänger hatte gegen die
bevorstehende preußische Occupation Erfurts protestirt und sich um Schutz nach
Wien gewendet; der Nachfolger erhielt von dort die trockne Antwort, das
preußische Verfahren sei zwar "ordnungs-, rechts- und verfassungswidrig", aber
Oesterreich könne es auf keinen Krieg ankommen lassen und müsse sich bemühen,


beträchtlicher Summen für den Fall, daß sie die rechtsrheinischen Territorien
für Mainz zu retten vermöchten. Doch während so verhandelt wurde, brach
das Verhängniß auch schon herein: Preußen schickte sich an, das Eichsfeld und
Erfurt, Dalbergs alte Statthalterschaft, zu besetzen. Eine Note Albinis an
Graf Haugwitz (28. Juni), die sich wenigstens um einen förmlichen Vertrag
namentlich über die Regelung der finanziellen Verhältnisse bei der Abtretung
bemühte, wurde ausweichend beantwortet. Am 12. August zog das österreichische
Bataillon, das bisher in Erfurt gelegen hatte, ab, am 21. erfolgte der Einmarsch
der Preußen, zwei Tage später die Verpflichtung der Beamten für den
neuen Herrn.

So war der Kurstaat und mit ihm die ganze Reichsverfassung schon im
Zusammenbrechen, als nach dem Tode des derzeitigen Erzbischofs am 25. Juli 1802
sein Koadjutor Dalberg den Thron bestieg. In klägliche Trümmer ging das¬
jenige, in dessen Verehrung er ausgewachsen, emporgekommen war. War es ein
Wunder, wenn er rasch die Haltung verlor? Gewiß war die Vernichtung der
geistlichen Fürstenthümer eine Nothwendigkeit, aber die sie mit unreinen Händen
vollstreckten, die dachten daran nicht, sondern nur an die reiche Beute, die
wehrlos vor ihnen lag. Nicht dem Reiche kam die Vollstreckung zu gute. Und
wie hätte der erste geistliche Fürst des Reiches diesen Raubzug als eine Noth¬
wendigkeit begreifen sollen! Es war das Große in diesem Reichsadel, dem er
entstammte, daß er keinen einzelnen Staat als sein Vaterland anerkennen konnte,
daß er nur dem ganzen Reiche angehörte. Indem dies zusammenbrach, verlor
er den Boden unter den Füßen, er hatte kein Vaterland mehr. Was Wunder
daß ein Sprößling dieses Adels wie ein Verzweifelter für die versinkende Reichs¬
ordnung stritt, mit der seine eigne persönliche und amtliche Position stand und
fiel, und daß er endlich, als sie doch nicht mehr zu retten war, sie in neuen
Formen wieder aufzurichten suchte in Anlehnung an die französische Macht, die
in schreckhafter Ueberlegenheit den Welttheil beherrschte! Daß er nicht begriff,
diese Macht sei dem deutschen Leben prinzipiell entgegengesetzt, daß er in dem
Todfeinde unseres Volkes seinen obersten Schirmherrn zu erkennen glaubte, das
war die Folge seines ganz und gar unpolitischen, gefühlsseligen, leicht bestimm¬
baren Wesens, und das hat er als Schuld gebüßt, ohne freilich jemals zu
begreifen, was er verschuldet.

Gleich in den ersten Wochen seiner Amtsführung sollte er erkennen, daß
der kaiserliche Hof keine Stütze mehr bot. Noch sein Vorgänger hatte gegen die
bevorstehende preußische Occupation Erfurts protestirt und sich um Schutz nach
Wien gewendet; der Nachfolger erhielt von dort die trockne Antwort, das
preußische Verfahren sei zwar „ordnungs-, rechts- und verfassungswidrig", aber
Oesterreich könne es auf keinen Krieg ankommen lassen und müsse sich bemühen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/361>, abgerufen am 24.07.2024.