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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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schrift übermittelt. So zeigt sich gleich bei dieser Gelegenheit die totale Un¬
fähigkeit dieses Kopfes, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich waren; von dem
tiefen Gegensatze zwischen Preußen und Oesterreich, von dem lächerlichen Miß-
verhältniß, in welchem das faktische Gewicht dieser beiden Mächte zu der Be¬
deutung stand, die ihnen die Reichsverfassung anwies, von der unrettbaren
Verworrenheit der südwestdeutschen Verhältnisse hatte er keine Ahnung.

Freilich wurde die Sorge um den Gegensatz des Fürstenbundes und
Oesterreichs bald gegenstandslos.. Schon das Verfahren Preußens in dem
Streite zwischen dem Fürstbischof von Lüttich und der revolutionären Partei
in seiner Hauptstadt, bei welchem Preußen, mit der Exekution von Reichswegen
beauftragt, um einen vernünftigen Ausgleich sich bemüht, und als der Bischof
ihn hartnäckig weigerte, seine Truppen schließlich zurückgezogen hatte, war in
Mainz sehr übel aufgenommen worden, und da vollends der Tod Josephs II.
(20. Februar 1790) jede Gefahr für Baiern beseitigte, so entließ der Kurfürst-
Erzbischof sein bisheriges Ministerium und berief den durchaus österreichisch
gesinnten Freiherrn von Albini an die Spitze der Geschäfte. Damit war seine
Trennung vom Fürstenbunde so gut wie entschieden, dieser selbst aber fiel mit
dem Vertrage von Reichenbach (27. Juni 1790) sang- und klanglos aus¬
einander. Nach seiner ganzen Gesinnung konnte Dalberg diese Wendung nur
mit Freuden begrüßen; auch sein Verhältniß zum Kurfürsten besserte sich seit¬
dem, ohne daß er freilich Einfluß auf die Geschäfte zu gewinnen vermocht hätte.

Doch brachten dem Koadjutor die erschütternden Ereignisse der nächsten
Jahre Veranlassung zu sorgenvoller Thätigkeit genug. Nicht daß er persönlich
so gewaltig davon erregt worden wäre. Er stand ihnen vielmehr eher mit
einem Gleichmuth gegenüber, der vielleicht einem Philosophen, niemals aber
dem Staatsmanne, dem künftigen Kurerzkanzler ziemte. Doch hat er es an
pflichtmäßiger Thätigkeit nicht fehlen lassen, weniger für Mainz, als für Worms
und Constanz.

Am 21. Oktober 1792 war Mainz selbst schmachvoll aufgegeben, von
Cüstine ohne Schwertstreich besetzt worden, der Kurfürst nach Heiligenstadt ge¬
flüchtet. Dalberg selbst verweilte im Herbst 1792 in Constanz, um die dorti¬
gen traurigen Finanzverhältnisse einigermaßen zu ordnen, war auch vorüber¬
gehend in Würzburg, wo das Mainzer Domkapitel sich gesammelt hatte; ja in
wunderlicher Verkennung der Verhältnisse erwarteten die Mainzer, er werde
in ihrer -- von den Franzosen besetzten -- Stadt erscheinen, um den Kurfürsten
beseitigen zu helfen, wegen dessen feiger Flucht große Erbitterung herrschte.
Als dann Mainz am 23. Juli 1793 wieder erobert worden war, sorgte er
dafür, die Erfurter zu milden Gaben für die Geschädigten aufzufordern, wobei
es ihm allerdings begegnete, daß er in der überaus schwülstigen und lang-


schrift übermittelt. So zeigt sich gleich bei dieser Gelegenheit die totale Un¬
fähigkeit dieses Kopfes, die Dinge zu sehen, wie sie wirklich waren; von dem
tiefen Gegensatze zwischen Preußen und Oesterreich, von dem lächerlichen Miß-
verhältniß, in welchem das faktische Gewicht dieser beiden Mächte zu der Be¬
deutung stand, die ihnen die Reichsverfassung anwies, von der unrettbaren
Verworrenheit der südwestdeutschen Verhältnisse hatte er keine Ahnung.

Freilich wurde die Sorge um den Gegensatz des Fürstenbundes und
Oesterreichs bald gegenstandslos.. Schon das Verfahren Preußens in dem
Streite zwischen dem Fürstbischof von Lüttich und der revolutionären Partei
in seiner Hauptstadt, bei welchem Preußen, mit der Exekution von Reichswegen
beauftragt, um einen vernünftigen Ausgleich sich bemüht, und als der Bischof
ihn hartnäckig weigerte, seine Truppen schließlich zurückgezogen hatte, war in
Mainz sehr übel aufgenommen worden, und da vollends der Tod Josephs II.
(20. Februar 1790) jede Gefahr für Baiern beseitigte, so entließ der Kurfürst-
Erzbischof sein bisheriges Ministerium und berief den durchaus österreichisch
gesinnten Freiherrn von Albini an die Spitze der Geschäfte. Damit war seine
Trennung vom Fürstenbunde so gut wie entschieden, dieser selbst aber fiel mit
dem Vertrage von Reichenbach (27. Juni 1790) sang- und klanglos aus¬
einander. Nach seiner ganzen Gesinnung konnte Dalberg diese Wendung nur
mit Freuden begrüßen; auch sein Verhältniß zum Kurfürsten besserte sich seit¬
dem, ohne daß er freilich Einfluß auf die Geschäfte zu gewinnen vermocht hätte.

Doch brachten dem Koadjutor die erschütternden Ereignisse der nächsten
Jahre Veranlassung zu sorgenvoller Thätigkeit genug. Nicht daß er persönlich
so gewaltig davon erregt worden wäre. Er stand ihnen vielmehr eher mit
einem Gleichmuth gegenüber, der vielleicht einem Philosophen, niemals aber
dem Staatsmanne, dem künftigen Kurerzkanzler ziemte. Doch hat er es an
pflichtmäßiger Thätigkeit nicht fehlen lassen, weniger für Mainz, als für Worms
und Constanz.

Am 21. Oktober 1792 war Mainz selbst schmachvoll aufgegeben, von
Cüstine ohne Schwertstreich besetzt worden, der Kurfürst nach Heiligenstadt ge¬
flüchtet. Dalberg selbst verweilte im Herbst 1792 in Constanz, um die dorti¬
gen traurigen Finanzverhältnisse einigermaßen zu ordnen, war auch vorüber¬
gehend in Würzburg, wo das Mainzer Domkapitel sich gesammelt hatte; ja in
wunderlicher Verkennung der Verhältnisse erwarteten die Mainzer, er werde
in ihrer — von den Franzosen besetzten — Stadt erscheinen, um den Kurfürsten
beseitigen zu helfen, wegen dessen feiger Flucht große Erbitterung herrschte.
Als dann Mainz am 23. Juli 1793 wieder erobert worden war, sorgte er
dafür, die Erfurter zu milden Gaben für die Geschädigten aufzufordern, wobei
es ihm allerdings begegnete, daß er in der überaus schwülstigen und lang-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/358>, abgerufen am 23.07.2024.