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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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ist. Nur im Schatten der Mythe, der Legende und der Anekdote, nicht im
scharfen Lichte kritischer Forschung kann die historische Malerei ihr Dasein
fristen. Und die Romantik war es gerade, welche, indem sie mit der einen
Hand den Künstlern eine neue Welt eröffnete, mit der andern die Leuchte dem
forschenden Geiste hielt, welcher den dichten Sagennebel durchdrang und damit
begann, dem der Kunst neu gewonnenen Gebiete seine romantischen Reize zu
nehmen. Die Begeisterung für das Mittelalter und die Antike war ohnehin
eine künstliche, von der die weiteren Kreise des Volkes niemals berührt wurden.
Und allmählich verschwand diese Begeisterung auch unter den Künstlern selbst,
die nur noch historische Stoffe wählten, weil ihnen die durch sie bedingte,
kostümliche Folie der Gestalten die erwünschte Gelegenheit zur Entfaltung
koloristischen Glanzes bot. Heute ist unsere große Historienmalerei wenig mehr
als Kostüm-- und Theatermalerei. Tiefere Wirkungen, die durch das Auge in
die Seele bringen, vermag der Künstler nur durch die Wahl von Stoffen zu
erreichen, welche unserem Herzen nahe liegen. Die Ideale der klassischen Epochen
haben sich ausgelebt. Wozu sich hartnäckig dieser Einsicht verschließen und
unsere Zeit der Produktions-Unfähigkeit, unsere Künstler des Mangels an idealem
Streben beschuldigen?

Ein weites, fruchtbares Gebiet, welches der Kunst der klassischen Italiener
des 15. und 16. Jahrhunderts ganz verschlossen war, hat die des neunzehnten,
nach dem Vorbilde der Niederländer, mit Erfolgen kultivirt, welche nur von
blinden und befangenen Vergötterern der Klassizität geleugnet werden können:
die Landschafts- und die Genre-, insbesondere die Sittenmalerei. Indem die
letztere in vergangene Zeiten zurückgreift und "in alte Gewänder neu athmende
Leiber" schafft, die sich ohne die hohle Wichtigthuerei von Haupt- und Staats¬
akteuren dem Beschauer Präsentiren, schafft sie uns zugleich einen Ersatz für die
Historienmalerei, welche heute nur noch eine tiefere Erregung hervorzurufen ver¬
mag, wenn sie sich auf die Verherrlichung patriotischer, also nur für einen engeren
Kreis von Volksgenossen verstündlicher und sympathischer Ereignisse beschränkt.

Die Franzosen und die Deutschen haben diesen Ersatz auch in der Kriegs¬
malerei gefunden, welche hüben wie drüben gleich herrliche Früchte gezeitigt
hat. Während aber die Franzosen sich aus leicht erklärlichen Gründen ans
die Darstellung von Episoden beschränkten, in welchen sich die persönliche Tapfer¬
keit des Einzelnen entfalten konnte, lieferten einige deutsche Maler, besonders
der Münchener Adam und der Düsseldorfer Hunden, den Beweis, daß die
moderne Schlacht in ihren mannigfaltigen, räumlich von einander entfernten
Momenten sich keineswegs der künstlerischen Bewältigung entzieht. Seinem
berühmten Reiterangriff von Se. Floing (Sedan) hat Adam inzwischen ein
vollkommen ebenbürtiges, malerisch höchst wirksames Meisterwerk an die Seite


ist. Nur im Schatten der Mythe, der Legende und der Anekdote, nicht im
scharfen Lichte kritischer Forschung kann die historische Malerei ihr Dasein
fristen. Und die Romantik war es gerade, welche, indem sie mit der einen
Hand den Künstlern eine neue Welt eröffnete, mit der andern die Leuchte dem
forschenden Geiste hielt, welcher den dichten Sagennebel durchdrang und damit
begann, dem der Kunst neu gewonnenen Gebiete seine romantischen Reize zu
nehmen. Die Begeisterung für das Mittelalter und die Antike war ohnehin
eine künstliche, von der die weiteren Kreise des Volkes niemals berührt wurden.
Und allmählich verschwand diese Begeisterung auch unter den Künstlern selbst,
die nur noch historische Stoffe wählten, weil ihnen die durch sie bedingte,
kostümliche Folie der Gestalten die erwünschte Gelegenheit zur Entfaltung
koloristischen Glanzes bot. Heute ist unsere große Historienmalerei wenig mehr
als Kostüm-- und Theatermalerei. Tiefere Wirkungen, die durch das Auge in
die Seele bringen, vermag der Künstler nur durch die Wahl von Stoffen zu
erreichen, welche unserem Herzen nahe liegen. Die Ideale der klassischen Epochen
haben sich ausgelebt. Wozu sich hartnäckig dieser Einsicht verschließen und
unsere Zeit der Produktions-Unfähigkeit, unsere Künstler des Mangels an idealem
Streben beschuldigen?

Ein weites, fruchtbares Gebiet, welches der Kunst der klassischen Italiener
des 15. und 16. Jahrhunderts ganz verschlossen war, hat die des neunzehnten,
nach dem Vorbilde der Niederländer, mit Erfolgen kultivirt, welche nur von
blinden und befangenen Vergötterern der Klassizität geleugnet werden können:
die Landschafts- und die Genre-, insbesondere die Sittenmalerei. Indem die
letztere in vergangene Zeiten zurückgreift und „in alte Gewänder neu athmende
Leiber" schafft, die sich ohne die hohle Wichtigthuerei von Haupt- und Staats¬
akteuren dem Beschauer Präsentiren, schafft sie uns zugleich einen Ersatz für die
Historienmalerei, welche heute nur noch eine tiefere Erregung hervorzurufen ver¬
mag, wenn sie sich auf die Verherrlichung patriotischer, also nur für einen engeren
Kreis von Volksgenossen verstündlicher und sympathischer Ereignisse beschränkt.

Die Franzosen und die Deutschen haben diesen Ersatz auch in der Kriegs¬
malerei gefunden, welche hüben wie drüben gleich herrliche Früchte gezeitigt
hat. Während aber die Franzosen sich aus leicht erklärlichen Gründen ans
die Darstellung von Episoden beschränkten, in welchen sich die persönliche Tapfer¬
keit des Einzelnen entfalten konnte, lieferten einige deutsche Maler, besonders
der Münchener Adam und der Düsseldorfer Hunden, den Beweis, daß die
moderne Schlacht in ihren mannigfaltigen, räumlich von einander entfernten
Momenten sich keineswegs der künstlerischen Bewältigung entzieht. Seinem
berühmten Reiterangriff von Se. Floing (Sedan) hat Adam inzwischen ein
vollkommen ebenbürtiges, malerisch höchst wirksames Meisterwerk an die Seite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/32>, abgerufen am 23.07.2024.