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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Und er blickt nach jener Seite --

stimmte sein Kamerad ein.

Rasch brach der Tag vollends an. Ein leichter Wind setzte den Nebel in
schwankende Bewegung und jagte ihn in dunstigen Wellen davon. Der end¬
lose Horizont stieg allmählich vor uns auf. Leichte Luftspiegelungen zeichneten
sich mit bläulichen Silhouetten auf dem goldglänzenden Hintergründe ab. Die
Sonnenscheibe stieg leuchtend empor und Rosse und Reiter warfen lange, end¬
los hinfliegende Schatten in die Steppe.

"Die sind in einem Tage weit gekommen, der Teufel soll sie holen!" be¬
merkte der Kosak und unterbrach seinen Gesang. Der zornige Ausruf galt
dem Vortrab, den wir durchaus nicht einholen konnten. Er war uns aller¬
dings nur einen Tagemarsch voraus, aber was für einen! Solche Tagemnrsche
können nur turkestanische Soldaten zurücklegen, welche offenbar von ihren
Kameelen Geduld, Kraft und Ausdauer gelernt haben. "Jetzt geht es schlimm
-- es ist schon so", flüsterten die Kosaken hinter mir. "Das sind keine Anti¬
lopen wieder, Kamerad; zwanzig Mann ungefähr?" -- "Mehr!" -- "Gott
steh uns bei! Ew. Wohlgeboren!" -- "Ich sehe sie wohl, Kamerad. Vielleicht
schlagen wir uns durch", sagte ich ermuthigend, aber mir selbst zog sich das
Herz krampfhaft zusammen.

Eine lange Reihe rother Punkte kam von der Seite auf uns zu und durch¬
kreuzte unseren Weg. Mit dem Augenglas konnte ich die Farbe der Pferde
und die Rüstung der Reiter unterscheiden -- das waren "keine von den Unsern".

Wenn sich einer von den Dschipeten gegen die Sonne kehrte, so sah man
den runden Metallschild auf seinem Rücken funkeln. Die Turkomanen hatten
uns offenbar nicht bemerkt. Es wäre dies auch schwierig gewesen, denn wir
befanden uns in einer Vertiefung im Schatten, während sie über die Rücken
der angeschwemmten Sandhügel ritten, welche von den schrägen Strahlen der
Morgensonne hell beleuchtet waren. Diese Vertiefung zog sich noch eine ziem¬
liche Strecke schräg in der Richtung unsres Weges hin. Wenn wir uns an
sie hielten, so brauchten wir nicht allzuweit von unserem Wege abzubiegen,
auch durften wir hoffen, auf diese Weise unsern Feinden einen Vorsprung ab¬
zugewinnen. Gelang es uns, den Punkt, wo unser Weg sich mit dem der
Turkomanen kreuzte, vor diesen zu erreichen, so war noch nicht alles verloren.

Ich ließ die Kosaken voraus, um mich nach ihrer Gangart zu richten. Die
Söhne des Urals bückten sich tief auf die Hälse ihrer Pferde und trieben die
Thiere durch Peitschenhiebe in volle Karriere; ich folgte in gemäßigtem Galop
und hielt immer scharf den Punkt im Auge, auf dem uns die Barantatschen
den Weg abschneiden konnten. Fünfzehn Minuten waren wir so geritten. Da
ging die Vertiefung zu Ende, wir waren im Freien.


Und er blickt nach jener Seite —

stimmte sein Kamerad ein.

Rasch brach der Tag vollends an. Ein leichter Wind setzte den Nebel in
schwankende Bewegung und jagte ihn in dunstigen Wellen davon. Der end¬
lose Horizont stieg allmählich vor uns auf. Leichte Luftspiegelungen zeichneten
sich mit bläulichen Silhouetten auf dem goldglänzenden Hintergründe ab. Die
Sonnenscheibe stieg leuchtend empor und Rosse und Reiter warfen lange, end¬
los hinfliegende Schatten in die Steppe.

„Die sind in einem Tage weit gekommen, der Teufel soll sie holen!" be¬
merkte der Kosak und unterbrach seinen Gesang. Der zornige Ausruf galt
dem Vortrab, den wir durchaus nicht einholen konnten. Er war uns aller¬
dings nur einen Tagemarsch voraus, aber was für einen! Solche Tagemnrsche
können nur turkestanische Soldaten zurücklegen, welche offenbar von ihren
Kameelen Geduld, Kraft und Ausdauer gelernt haben. „Jetzt geht es schlimm
— es ist schon so", flüsterten die Kosaken hinter mir. „Das sind keine Anti¬
lopen wieder, Kamerad; zwanzig Mann ungefähr?" — „Mehr!" — „Gott
steh uns bei! Ew. Wohlgeboren!" — „Ich sehe sie wohl, Kamerad. Vielleicht
schlagen wir uns durch", sagte ich ermuthigend, aber mir selbst zog sich das
Herz krampfhaft zusammen.

Eine lange Reihe rother Punkte kam von der Seite auf uns zu und durch¬
kreuzte unseren Weg. Mit dem Augenglas konnte ich die Farbe der Pferde
und die Rüstung der Reiter unterscheiden — das waren „keine von den Unsern".

Wenn sich einer von den Dschipeten gegen die Sonne kehrte, so sah man
den runden Metallschild auf seinem Rücken funkeln. Die Turkomanen hatten
uns offenbar nicht bemerkt. Es wäre dies auch schwierig gewesen, denn wir
befanden uns in einer Vertiefung im Schatten, während sie über die Rücken
der angeschwemmten Sandhügel ritten, welche von den schrägen Strahlen der
Morgensonne hell beleuchtet waren. Diese Vertiefung zog sich noch eine ziem¬
liche Strecke schräg in der Richtung unsres Weges hin. Wenn wir uns an
sie hielten, so brauchten wir nicht allzuweit von unserem Wege abzubiegen,
auch durften wir hoffen, auf diese Weise unsern Feinden einen Vorsprung ab¬
zugewinnen. Gelang es uns, den Punkt, wo unser Weg sich mit dem der
Turkomanen kreuzte, vor diesen zu erreichen, so war noch nicht alles verloren.

Ich ließ die Kosaken voraus, um mich nach ihrer Gangart zu richten. Die
Söhne des Urals bückten sich tief auf die Hälse ihrer Pferde und trieben die
Thiere durch Peitschenhiebe in volle Karriere; ich folgte in gemäßigtem Galop
und hielt immer scharf den Punkt im Auge, auf dem uns die Barantatschen
den Weg abschneiden konnten. Fünfzehn Minuten waren wir so geritten. Da
ging die Vertiefung zu Ende, wir waren im Freien.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/28>, abgerufen am 23.07.2024.