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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Kosak. "Ach, hol sie der Teufel! Bin ich erschrocken!" sagte der Andere,
welcher behauptet hatte, daß es Chiwiner seien.

Zwei Stunden lang setzten wir auf diesen kleinen Schreck unsern Ritt
ungestört fort und mußten nach meiner Berechnung über dreißig Werst von
unserem Lager entfernt sein. Mein Orlik ging Paß, jene eigenthümliche, ver¬
mischte Gangart, in welcher die Barantatschen ihre Pferde gewöhnlich reiten.
Der Paßgang ermüdet das Pferd nicht, ist für den Reiter äußerst angenehm und
dabei doch so rasch, daß ein anderes Pferd, welches nicht an diese Gangart gewöhnt
ist, nur im Trab mit dem Paßgänger Schritt halten kann. Mein Turkomane
war offenbar durchaus nicht ermüdet, er schüttelte munter seinen trockenen Kopf
und klirrte dabei mit den Gehängen und Amuletten, die das Zaumwerk
schmückten. Der leichte Morgenwind wehte angenehm unter die Falten meines
Mantels und erfrischte die drückend schwüle nächtliche Atmosphäre. Selbst die
Kosakenpferde, die sichtlich nicht im mindesten ermattet waren, griffen muthiger
aus und packten einander mit den Zähnen beim Widerrist, sobald nur einer
der Kosaken die Zügel ein wenig nachließ. Alles ging trefflich und versprach
den besten Erfolg unsres Rittes.

Aber was bedeutet diese Nöthe? Das sind doch nicht die Wachtfeuer des
Bivouaks? Ein schmaler Heller Streifen zieht sich blaßroth über den Horizont.
Nein, es ist die Morgenröthe, der Tagesanbruch ist nahe, bald wird die Sonne
aufgehen und dies schützende Dunkel vertreiben, und von der Avant-Garde ist
noch nichts zu sehen und zu hören. Wo steht sie nur? -- Wenn wir uns
verirrt hätten! Aber nein, das kann nicht sein, wir brauchen uns ja nur zu
bücken, so haben wir zahllose Spuren von Fußvolk und Reiterei vor Augen;
die breiten Fußstapfen der Kameele, die Wagenfurchen, kurz alles, alles bezeugt,
daß der Vortrab hier gezogen ist, auf demselben Wege, den jetzt unsre Pferde,
mit Gerte und Sporen vorwärts getrieben, zurücklegen.

Die Ecken der beiden Kouverte, die ich in die Brust gesteckt hatte, waren
mir die ganze Zeit über entsetzlich lästig gewesen. Ich schob sie bald rechts,
bald links, ich lockerte den Gürtel, umsonst -- nach ein paar Minuten empfand
ich ihre Stöße schon wieder. Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin!
dachte ich, indem ich rasch die lederne Satteltasche aufschnallte, die eigentlich
für vorrcithige Hufeisen bestimmt war, und die Papiere hineinsteckte. "So
wirds freilich bequemer sein," sagte einer von den Kosaken, der mein Manöver
bemerkt hatte, "da fallen sie ihr Lebtag nicht heraus."

Auf dem Hügel sitzt der Adler,
In die Steppe blickt er scharf --

summte er vor sich hin.


Kosak. „Ach, hol sie der Teufel! Bin ich erschrocken!" sagte der Andere,
welcher behauptet hatte, daß es Chiwiner seien.

Zwei Stunden lang setzten wir auf diesen kleinen Schreck unsern Ritt
ungestört fort und mußten nach meiner Berechnung über dreißig Werst von
unserem Lager entfernt sein. Mein Orlik ging Paß, jene eigenthümliche, ver¬
mischte Gangart, in welcher die Barantatschen ihre Pferde gewöhnlich reiten.
Der Paßgang ermüdet das Pferd nicht, ist für den Reiter äußerst angenehm und
dabei doch so rasch, daß ein anderes Pferd, welches nicht an diese Gangart gewöhnt
ist, nur im Trab mit dem Paßgänger Schritt halten kann. Mein Turkomane
war offenbar durchaus nicht ermüdet, er schüttelte munter seinen trockenen Kopf
und klirrte dabei mit den Gehängen und Amuletten, die das Zaumwerk
schmückten. Der leichte Morgenwind wehte angenehm unter die Falten meines
Mantels und erfrischte die drückend schwüle nächtliche Atmosphäre. Selbst die
Kosakenpferde, die sichtlich nicht im mindesten ermattet waren, griffen muthiger
aus und packten einander mit den Zähnen beim Widerrist, sobald nur einer
der Kosaken die Zügel ein wenig nachließ. Alles ging trefflich und versprach
den besten Erfolg unsres Rittes.

Aber was bedeutet diese Nöthe? Das sind doch nicht die Wachtfeuer des
Bivouaks? Ein schmaler Heller Streifen zieht sich blaßroth über den Horizont.
Nein, es ist die Morgenröthe, der Tagesanbruch ist nahe, bald wird die Sonne
aufgehen und dies schützende Dunkel vertreiben, und von der Avant-Garde ist
noch nichts zu sehen und zu hören. Wo steht sie nur? — Wenn wir uns
verirrt hätten! Aber nein, das kann nicht sein, wir brauchen uns ja nur zu
bücken, so haben wir zahllose Spuren von Fußvolk und Reiterei vor Augen;
die breiten Fußstapfen der Kameele, die Wagenfurchen, kurz alles, alles bezeugt,
daß der Vortrab hier gezogen ist, auf demselben Wege, den jetzt unsre Pferde,
mit Gerte und Sporen vorwärts getrieben, zurücklegen.

Die Ecken der beiden Kouverte, die ich in die Brust gesteckt hatte, waren
mir die ganze Zeit über entsetzlich lästig gewesen. Ich schob sie bald rechts,
bald links, ich lockerte den Gürtel, umsonst — nach ein paar Minuten empfand
ich ihre Stöße schon wieder. Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin!
dachte ich, indem ich rasch die lederne Satteltasche aufschnallte, die eigentlich
für vorrcithige Hufeisen bestimmt war, und die Papiere hineinsteckte. „So
wirds freilich bequemer sein," sagte einer von den Kosaken, der mein Manöver
bemerkt hatte, „da fallen sie ihr Lebtag nicht heraus."

Auf dem Hügel sitzt der Adler,
In die Steppe blickt er scharf —

summte er vor sich hin.


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[0027] Kosak. „Ach, hol sie der Teufel! Bin ich erschrocken!" sagte der Andere, welcher behauptet hatte, daß es Chiwiner seien. Zwei Stunden lang setzten wir auf diesen kleinen Schreck unsern Ritt ungestört fort und mußten nach meiner Berechnung über dreißig Werst von unserem Lager entfernt sein. Mein Orlik ging Paß, jene eigenthümliche, ver¬ mischte Gangart, in welcher die Barantatschen ihre Pferde gewöhnlich reiten. Der Paßgang ermüdet das Pferd nicht, ist für den Reiter äußerst angenehm und dabei doch so rasch, daß ein anderes Pferd, welches nicht an diese Gangart gewöhnt ist, nur im Trab mit dem Paßgänger Schritt halten kann. Mein Turkomane war offenbar durchaus nicht ermüdet, er schüttelte munter seinen trockenen Kopf und klirrte dabei mit den Gehängen und Amuletten, die das Zaumwerk schmückten. Der leichte Morgenwind wehte angenehm unter die Falten meines Mantels und erfrischte die drückend schwüle nächtliche Atmosphäre. Selbst die Kosakenpferde, die sichtlich nicht im mindesten ermattet waren, griffen muthiger aus und packten einander mit den Zähnen beim Widerrist, sobald nur einer der Kosaken die Zügel ein wenig nachließ. Alles ging trefflich und versprach den besten Erfolg unsres Rittes. Aber was bedeutet diese Nöthe? Das sind doch nicht die Wachtfeuer des Bivouaks? Ein schmaler Heller Streifen zieht sich blaßroth über den Horizont. Nein, es ist die Morgenröthe, der Tagesanbruch ist nahe, bald wird die Sonne aufgehen und dies schützende Dunkel vertreiben, und von der Avant-Garde ist noch nichts zu sehen und zu hören. Wo steht sie nur? — Wenn wir uns verirrt hätten! Aber nein, das kann nicht sein, wir brauchen uns ja nur zu bücken, so haben wir zahllose Spuren von Fußvolk und Reiterei vor Augen; die breiten Fußstapfen der Kameele, die Wagenfurchen, kurz alles, alles bezeugt, daß der Vortrab hier gezogen ist, auf demselben Wege, den jetzt unsre Pferde, mit Gerte und Sporen vorwärts getrieben, zurücklegen. Die Ecken der beiden Kouverte, die ich in die Brust gesteckt hatte, waren mir die ganze Zeit über entsetzlich lästig gewesen. Ich schob sie bald rechts, bald links, ich lockerte den Gürtel, umsonst — nach ein paar Minuten empfand ich ihre Stöße schon wieder. Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin! dachte ich, indem ich rasch die lederne Satteltasche aufschnallte, die eigentlich für vorrcithige Hufeisen bestimmt war, und die Papiere hineinsteckte. „So wirds freilich bequemer sein," sagte einer von den Kosaken, der mein Manöver bemerkt hatte, „da fallen sie ihr Lebtag nicht heraus." Auf dem Hügel sitzt der Adler, In die Steppe blickt er scharf — summte er vor sich hin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/27>, abgerufen am 23.07.2024.