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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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setzen alle aufgeklärten Leute. Aber es ist eitel Heuchelei oder Unverstand, die
Berechtigung der Körperstrafen absolut in Abrede zu stellen und zu thun, als
ob die Freiheitsstrafe blos um ihres schönen Namens willen, als ob die Ein¬
pferchung in engen Raum, als ob Gefängnißluft, Gefängnißkost und der überall
drückende Physische Zwang schlechterdings nichts von körperlicher Pein enthielten.
Häufig ist lange Gefangenschaft eine viel quälendere Körperstrafe als jede
andere Form physischer Züchtigung. Nur die Selbsttäuschung des Besserungs¬
zweckes, der in den Zuchthäusern seine glorreiche Offenbarung feiern sollte, mit
der Prügelstrafe aber nicht vereinbar schien, konnte eine so klar daliegende
Thatsache verdunkeln. Sind wir erst durch Erfahrung von der Abgeschmackt¬
heit des schulmeisterlichen Systems bei der Gesängnißpflege überzeugt -- was
bald allgemein der Fall sein wird --, so wird es nur noch eine einfache Frage
der Zweckmäßigkeit sein, ob und wie weit das Strafiibel der Freiheitsentziehung
durch das einfachere, drastischere und wohlfeilere Strafübel körperlicher Züch¬
tigung ersetzt werden kann.

"Die Prügelstrafe," so äußert sich der Verfasser, "ist, in den kalten,
schwerfälligen Formen staatlichen Strafvollzugs gehandhabt, himmelweit noch
ein ander Ding als die einfache Züchtigung in Haus und Familie. Sitte
und herrschende Gefiihlsrichtung verlangen darin wie überall ihr Recht. Es
kann nicht mehr davon die Rede sein, ohne Unterschied des Lebensalters und
des Geschlechts körperliche Züchtigung als normale Strafart einführen zu
wollen. Wohl aber ist es eine ernsthafte, durch leere Phrasen von Menschen¬
würde nicht zu beseitigende Frage, ob für besonders freche und bubenhafte
Frevel, für boshafte Sachbeschädigungen, Körperverletzungen und ähnliche Nieder¬
trächtigkeiten halbwüchsiger Jugend ein Quantum von Ruthenhieben nicht ein
natürlicheres und wirkungsvolleres Strafmittel wäre als ein paar Tage,
Wochen oder Monate Einsparung. Weshalb auch in den Grenzen, in denen
Recht und Sitte in Hans, Schule und Werkstätte die Züchtigungsbefngniß des
erwachsenen Menschen über den unerwachsenen anerkennt, dieselbe Befugniß
dem Staate versagt bleiben soll, bleibt ein Räthsel." Aber man ist schon weiter
zurückgekehrt von bisherigen Irrwegen. K 38 des Entwurfs der Strafvoll-
zugs-Ordnung für das Reich will gegen ehrlose Zuchthausstrüflinge männlichen
Geschlechts die körperliche Züchtigung als Disziplinarmittel ganz allgemein
wieder zulassen. Damit ist im Prinzip alles anerkannt, was billigerweise zu¬
nächst gefordert werden kann. Es käme dann nur auf die Entschlossenheit der
Gefängnißverwaltung an, wenn dem Buchstaben des Gesetzes das rechte Leben
werden sollte. Stehen nur erst unsere Zuchthäuser wieder ein paar Jahre
unter dem Regime des Hungers und der Prügel, so wird das jetzt verschwundene
Gefühl, Strafe sei Schmerz und Schmach, sich auch wieder einstellen. Das


Grenzboten IV. 1879. 32

setzen alle aufgeklärten Leute. Aber es ist eitel Heuchelei oder Unverstand, die
Berechtigung der Körperstrafen absolut in Abrede zu stellen und zu thun, als
ob die Freiheitsstrafe blos um ihres schönen Namens willen, als ob die Ein¬
pferchung in engen Raum, als ob Gefängnißluft, Gefängnißkost und der überall
drückende Physische Zwang schlechterdings nichts von körperlicher Pein enthielten.
Häufig ist lange Gefangenschaft eine viel quälendere Körperstrafe als jede
andere Form physischer Züchtigung. Nur die Selbsttäuschung des Besserungs¬
zweckes, der in den Zuchthäusern seine glorreiche Offenbarung feiern sollte, mit
der Prügelstrafe aber nicht vereinbar schien, konnte eine so klar daliegende
Thatsache verdunkeln. Sind wir erst durch Erfahrung von der Abgeschmackt¬
heit des schulmeisterlichen Systems bei der Gesängnißpflege überzeugt — was
bald allgemein der Fall sein wird —, so wird es nur noch eine einfache Frage
der Zweckmäßigkeit sein, ob und wie weit das Strafiibel der Freiheitsentziehung
durch das einfachere, drastischere und wohlfeilere Strafübel körperlicher Züch¬
tigung ersetzt werden kann.

„Die Prügelstrafe," so äußert sich der Verfasser, „ist, in den kalten,
schwerfälligen Formen staatlichen Strafvollzugs gehandhabt, himmelweit noch
ein ander Ding als die einfache Züchtigung in Haus und Familie. Sitte
und herrschende Gefiihlsrichtung verlangen darin wie überall ihr Recht. Es
kann nicht mehr davon die Rede sein, ohne Unterschied des Lebensalters und
des Geschlechts körperliche Züchtigung als normale Strafart einführen zu
wollen. Wohl aber ist es eine ernsthafte, durch leere Phrasen von Menschen¬
würde nicht zu beseitigende Frage, ob für besonders freche und bubenhafte
Frevel, für boshafte Sachbeschädigungen, Körperverletzungen und ähnliche Nieder¬
trächtigkeiten halbwüchsiger Jugend ein Quantum von Ruthenhieben nicht ein
natürlicheres und wirkungsvolleres Strafmittel wäre als ein paar Tage,
Wochen oder Monate Einsparung. Weshalb auch in den Grenzen, in denen
Recht und Sitte in Hans, Schule und Werkstätte die Züchtigungsbefngniß des
erwachsenen Menschen über den unerwachsenen anerkennt, dieselbe Befugniß
dem Staate versagt bleiben soll, bleibt ein Räthsel." Aber man ist schon weiter
zurückgekehrt von bisherigen Irrwegen. K 38 des Entwurfs der Strafvoll-
zugs-Ordnung für das Reich will gegen ehrlose Zuchthausstrüflinge männlichen
Geschlechts die körperliche Züchtigung als Disziplinarmittel ganz allgemein
wieder zulassen. Damit ist im Prinzip alles anerkannt, was billigerweise zu¬
nächst gefordert werden kann. Es käme dann nur auf die Entschlossenheit der
Gefängnißverwaltung an, wenn dem Buchstaben des Gesetzes das rechte Leben
werden sollte. Stehen nur erst unsere Zuchthäuser wieder ein paar Jahre
unter dem Regime des Hungers und der Prügel, so wird das jetzt verschwundene
Gefühl, Strafe sei Schmerz und Schmach, sich auch wieder einstellen. Das


Grenzboten IV. 1879. 32
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[0249] setzen alle aufgeklärten Leute. Aber es ist eitel Heuchelei oder Unverstand, die Berechtigung der Körperstrafen absolut in Abrede zu stellen und zu thun, als ob die Freiheitsstrafe blos um ihres schönen Namens willen, als ob die Ein¬ pferchung in engen Raum, als ob Gefängnißluft, Gefängnißkost und der überall drückende Physische Zwang schlechterdings nichts von körperlicher Pein enthielten. Häufig ist lange Gefangenschaft eine viel quälendere Körperstrafe als jede andere Form physischer Züchtigung. Nur die Selbsttäuschung des Besserungs¬ zweckes, der in den Zuchthäusern seine glorreiche Offenbarung feiern sollte, mit der Prügelstrafe aber nicht vereinbar schien, konnte eine so klar daliegende Thatsache verdunkeln. Sind wir erst durch Erfahrung von der Abgeschmackt¬ heit des schulmeisterlichen Systems bei der Gesängnißpflege überzeugt — was bald allgemein der Fall sein wird —, so wird es nur noch eine einfache Frage der Zweckmäßigkeit sein, ob und wie weit das Strafiibel der Freiheitsentziehung durch das einfachere, drastischere und wohlfeilere Strafübel körperlicher Züch¬ tigung ersetzt werden kann. „Die Prügelstrafe," so äußert sich der Verfasser, „ist, in den kalten, schwerfälligen Formen staatlichen Strafvollzugs gehandhabt, himmelweit noch ein ander Ding als die einfache Züchtigung in Haus und Familie. Sitte und herrschende Gefiihlsrichtung verlangen darin wie überall ihr Recht. Es kann nicht mehr davon die Rede sein, ohne Unterschied des Lebensalters und des Geschlechts körperliche Züchtigung als normale Strafart einführen zu wollen. Wohl aber ist es eine ernsthafte, durch leere Phrasen von Menschen¬ würde nicht zu beseitigende Frage, ob für besonders freche und bubenhafte Frevel, für boshafte Sachbeschädigungen, Körperverletzungen und ähnliche Nieder¬ trächtigkeiten halbwüchsiger Jugend ein Quantum von Ruthenhieben nicht ein natürlicheres und wirkungsvolleres Strafmittel wäre als ein paar Tage, Wochen oder Monate Einsparung. Weshalb auch in den Grenzen, in denen Recht und Sitte in Hans, Schule und Werkstätte die Züchtigungsbefngniß des erwachsenen Menschen über den unerwachsenen anerkennt, dieselbe Befugniß dem Staate versagt bleiben soll, bleibt ein Räthsel." Aber man ist schon weiter zurückgekehrt von bisherigen Irrwegen. K 38 des Entwurfs der Strafvoll- zugs-Ordnung für das Reich will gegen ehrlose Zuchthausstrüflinge männlichen Geschlechts die körperliche Züchtigung als Disziplinarmittel ganz allgemein wieder zulassen. Damit ist im Prinzip alles anerkannt, was billigerweise zu¬ nächst gefordert werden kann. Es käme dann nur auf die Entschlossenheit der Gefängnißverwaltung an, wenn dem Buchstaben des Gesetzes das rechte Leben werden sollte. Stehen nur erst unsere Zuchthäuser wieder ein paar Jahre unter dem Regime des Hungers und der Prügel, so wird das jetzt verschwundene Gefühl, Strafe sei Schmerz und Schmach, sich auch wieder einstellen. Das Grenzboten IV. 1879. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/249>, abgerufen am 23.07.2024.